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Samstag, 19. Juli 2025

Stuart Turton: Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle

Es ist doch immer das gleiche: Der Held hat den Bösewicht schon überwunden, hat ihn endlich in seiner Gewalt. Doch dann zögert er. Er denkt noch einmal nach, hat Skrupel, lässt sich auf den vermeintlich letzten Wunsch des Bösewichts ein und dann gewinnt dieser durch einen miesen Trick die Oberhand und fackelt nicht lange. Aaahhh! Ich weiß, dass es immer, immer so ist, aber in diesem Fall habe ich den Helden wieder einmal so verflucht, wollte ihm verzweifelt Beine machen. Ein Buch, in dem so etwas passiert, in dem das, in dem ich das Kind bin, dass das Kasperle schreiend vor dem Krokodil warnt, ist richtig gut. Ich weiß, dass die Handlung so konstruiert sein muss, aber ich bin so in ihr gefangen, dass ich genau das verhindern will.

Bei „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ wollte ich den Ich-Erzähler so oft schütteln wie wohl noch nie einen seiner Vorgänger. Und das beweist: Dieses Buch ist in meinen Augen ein Meisterwerk. E.T.A. Hoffmann ist auferstanden und hat zwischenzeitlich Edgar Allan Poe, Wilkie Collins, Anthony Horowitz und Agatha Christie gelesen.

Im viktorianischen England stolpert ein Mann in ein Herrenhaus, wo gerade ein Maskenball vorbereitet wird. Er hat jede Erinnerung an früher verloren. Wie ihm andere Gästen eröffnen, ist er ein skrupelloser Drogenhändler. Oder besser: Er war es bislang, möchte es aber nicht mehr sein. Am Tag darauf erwacht er. Aber er ist nicht mehr der Drogenhändler, sondern ein verstörter Butler. Und es ist auch nicht der Tag darauf, sondern derselbe, den er in anderer Gestalt schon durchlebt hat. Ein seltsamer Herr im Kostüm eines Pestdoktors enthüllt ihm: Achtmal hintereinander wird er an diesem Tag aufwachen,  immer im Körper eines anderen Maskenball-Gastes. Dann beginnt das Spiel von vorne und er verliert wieder sein Gedächtnis. Es sei denn, die acht Gäste, die er bewohnt, können den Kriminalfall lösen: Wer hat Evelyn Hardcastle getötet?

Jeder einzelne Satz ist ein Fest für Fans von Logikrätseln. Wenn die landläufige Logik an ihre Grenzen kommt - und das tut sie bei Zeitreisegeschichten zwangsläufig - schlägt sie kreativ ideenreiche Haken. Und ganz nebenbei ist das ein richtig guter, spannender Krimi. 

Mittwoch, 15. November 2023

Dror Mishani: Vertrauen. Ein Fall für Avi Avraham.


Ein solider, gut konstruierter Krimi mit spannenden Momenten. Nicht gerade haarsträubend plump, wenn auch kein meisterlicher Pageturner.

Polizeioberinspektor Avraham Avraham arbeitet sich in Tel Aviv an kleinen, unbedeutenden Vorkommnissen an. Ein Tourist ist aus seinem Hotel verschwunden, ohne seine Zimmerrechnung zu bezahlen. Ein Baby ist vor einem Krankenhaus ausgesetzt worden.

Kleinigkeiten, Avraham verbeißt sich dennoch. Er interessiert sich für das scheinbar Unbedeutende, die kleinem Unstimmigkeiten, die zu großen kriminalistischen Rätseln werden, aber auch für die kleinen Leute, die den Großem ins Getriebe geraten und dafür bezahlen müssen. War der vermeintliche Tourist, der wenig später tot aus dem Fluss gezogen wird, wirklich ein Drogenhändler? Oder arbeitete er für den Mossad, wie seine Tochter meint? Avraham gibt sich bis zum Schluss nicht mit den einfachen Lösungen zufrieden. Das offene Ende leitet womöglich auf einen weiteren Teil der Krimi-Reihe über.

Das Buch bietet gerade Israel-Fans viel Lokalkolorit, beobachtet den israelischen Alltag, analysiert eine gespaltene, friedlose (derzeit leider sehr aktuell!) Gesellschaft und zählt damit unter den so beliebten landestypischen Krimis zu den besseren.

Mittwoch, 31. Mai 2023

Tana French: Grabes Grün

Auf dem Klappentext dieses Buches loben namhafte Journalistx es als „einen der spannendsten, subtilsten und sprachlich ausgefeiltesten Kriminalromane des Jahres“ (2007), „packend“, „Kriminal-Literatur“, das „Beste, was in diesem Jahr auf den Krimi-Markt gekommen ist“. Hm. Die fast 700 Seiten haben mich nicht überzeugt. Zugegeben, er ist nicht schlecht geschrieben, aber er lohnt sich nicht, zu langatmig, wenig Spannung, zu vorhersehbar. Einfach ein typisch durchkonstruierter Regionalkrimi.

Das Polizistenpaar Rob und Cassie sucht in der irischen Provinz den Mördx eines kleinen Mädchens: Es wurde in einer archäologischen Ausgrabungsstätte gefunden - genau dort, wo Rob (der übrigens als Erzähler auftritt) selbst in seiner Kindheit ein furchtbares Erlebnis hatte: zwei seiner Freunde verschwanden beim Spielen spurlos, ohne, dass Rob sich anschließend an etwas erinnern konnte. 

Im Laufe der Ermittlungen kommen sich die beiden Polizisten naher und entfernen sich wieder voneinander. Wer das kleine Mädchen auf dem Gewissen hat, wird leider zu schnell klar. Der Fall aus der Kindheit bleibt ungelöst. 


Mittwoch, 26. April 2023

Guillaume Musso: Und appartement à Paris

 

La vérité, c‘était parfois l‘histoire d‘une demi-seconde, surtout quand vous allez la chercher si loin...


...ich habe beim Lesen ja immer gehofft, dass jetzt mit einem Schlag eine vollkommen, eine komplett andere Wahrheit ans Tageslicht kommt, in einem Halbsatz nur, aber der große Knalleffekt ist diesmal ausgeblieben. Macht nichts, dieser Thriller von Guillaume Musso ist trotzdem von der ersten bis zur letzten Seite spannend, originell und durchdacht.

Witzigerweise habe ich das Buch in Paris (im modernen Antiquariat Book off in der Rue St. Martin, das leider zu seinem Nachteil umgestaltet wurde - Vorher-Nachher-Bilder auf meinem Instagram-Account bernhardhampp) gekauft, während einer Reise, bei der ich zweimal Opfer von Doppelbuchungen in Pensionen wurde: Genauso geht es den beiden Hauptfiguren in Un appartement à Paris: Eine ausgebrannte NewYorker Ex-Polizistin und ein missmutiger Theaterautor buchen ein und dasselbe Luxusappartement in der Rue Montparnasse.

Keiner von beiden will auf das Appartement verzichten, das einst dem gefeierten, aber früh verstorbenen Maler Sean Lorenz gehörte. Dabei tauchen beide in Lorenz' Lebensgeschichte ein, immer tiefer, erfahren von dessen entführtem Sohn, decken Ungereimtheiten auf und machen sich schließlich gemeinsam auf die Suche. 

Gaspard, der Theaterautor, weigert sich, ein Handy zu benutzen - ein schöner Kniff des Autors: Er muss im echten Leben recherchieren. Madeline, die Ex-Polizistin, müsste sich direkt nach dem Eingriff in der Kinderwunschklinik eigentlich schonen... aber wie soll das gehen? Unter den zahlreichen literarischen Anspielungen sind besonders diejenigen auf Goethes Gedicht vom Erlkönig sehr gelungen.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Anne Glenconner: Lady Blake und das Grab im Meer

Der 2020 erschienene Erstlingsroman der 88-jährigen Britin Lady Anne Glenconner, die seit auf der 1958 auf der Privatinsel Mustique in der Karibik lebt und Hofdame von Prinzessin Margaret war, handelt von Lady Veronica Blake, einer ehemaligen Hofdame Prinzessin Margarets, die auf  der Privatinsel Mustique in der Karibik lebt und einen kniffligen Fall löst. 

Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Vielleicht damit: Es fehlt jede Spur von Ironie, kein Funken Humor. Alles ist so bierernst, als Leser fühle ich mich ständig von der strengen Lady Glenconner/Blake gemaßregelt. Aber warum denn? Sie ist doch, so betonen es alle Figuren unaufhörlich, unendlich gütig, gnädig, großzügig und gastfreundlich und trotz ihrer hohen Geburt frei von jedem Dünkel. Aber auch mutig, befreit sich aus der Gefangenschaft und überwältigt den Angreifer.

Der Roman strotzt nur so vor Klischees, und wer sich ein Spiel daraus macht, Stilblüten zu finden, kommt voll auf seine Kosten: „Doch ihre Fröhlichkeit erleidet gleich wieder Schiffbruch.“ „Sein Ärger erhöht förmlich die Raumtemperatur.“ „Seine tadellosen Umgangsformen werden der Freude, ihn als Gast in unserem Haus zu haben, das Sahnehäubchen aufsetzen.“ In jedem zweiten Satz „funkeln Augen vor Freude“, Boote sind „schnittig“, Männer „stattlich“, während Frauen „geschmeidige Bewegungen“ vollziehen. Der Butler kann es nicht gewesen sein: „Er ist uns seit Jahrzehnten treu ergeben.“ Er war es dann auch nicht.

Das Ganze ist einfach furchtbar schlecht geschrieben (und obendrein mit einigen Pannen übersetzt: Wenn jemand Respekt vor dem Meer hat und nicht zur Marine will, dann geht er zum Heer („army“), nicht zur „Armee“). Die Chance, einen Tropensturm packend zu schildern, wird uninspiriert vergeigt,

Ich hatte mir so etwas wie eine Romanversion der witzigen TV-Krimiserie Death in Paradise erhofft, eine Miss Marple in der Karibik. Aber zu allem Überfluss erweist sich dieser Krimi auch noch als extrem vorhersehbar und unschlüssig, Auf die Wendung, die alles auf den Kopf stellt und es gelohnt hätte, sich durch diesen süßlichen Brei zu fressen, habe ich vergeblich gewartet.

Dienstag, 15. November 2022

Martin Suter: Der Teufel von Mailand

Von 2006.

Sonia will einfach nur weg, dorthin, wo sie dem Arm ihres gewalttätigen Ex-Mannes und den Folgen eines LSD-Trips (sie sieht Geräusche und schmeckt Farben…) entkommt. In einem abgelegenen Berghotel im Unterengadin findet sie eine Anstellung als Physiotherapeutin. 

Doch hier geschieht Seltsames: Morgens schlägt die Turmuhr 12, im Pool liegen Leuchtstäbe und eine Zimmerpflanze verliert alle ihre Blätter. Zufällig hat Sonia gerade das alte Märchen vom „Teufel von Mailand“ gelesen, das all diesen Vorzeichen eine bedrückende Bedeutung verleiht…

Spannend, atmosphärisch und packend erzählt. Und das Besondere an Suter ist doch, dass seine Texte fast nie peinlich sind. Das sei eine Selbstverständlichkeit, sagen Sie? Mitnichten. Das ist schon sehr, sehr viel.  

Donnerstag, 28. Juli 2022

Kazuo Ishiguro: Als wir Waisen waren

 

Erschienen 2000. Als Kind wächst Christopher Banks wohlbehütet in einer britisch-internationalen Siedlung in Shanghai auf. Da verschwindet plötzlich sein Vater spurlos - wurde er entführt? Mit seinem japanischen Freund Akira spielt Christopher Detektiv. Wieder und wieder finden sie den Vater, den die Entführer, da sind sich die zwei Hobbydetektive sicher, gut und respektvoll behandeln. Schließlich verschwindet aber auch die Mutter. Christopher ist nun eine Art Waise und wird nach England geschickt.

Dort spielt der inzwischen junge Mann nur zu gerne weiter - er wird tatsächlich Detektiv, löst einige schwierige Fälle, eine Erbschaft macht ihn finanziell unabhängig. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms macht er sich nach Shanghai auf, um nach seinen verschwundenen Eltern zu fahnden. 

Die unglückliche Frau eines sadistischen englischen Politikers möchte von dort mit ihm durchbrennen. Und kurz sieht es so aus, als würde Christopher aus seiner Detektivspiel-Traumwelt ausbrechen. Doch er zieht es vor, mitten im Schlachtfeld nach dem Haus zu suchen, wo seinen Schlussfolgerungen nach immer noch seine Eltern gefangen gehalten werden. Er spielt also weiter Detektiv, trifft zwischen den Fronten seinen alten Freund Akira wieder und wird trotz tobenden Kriegs von allen Seiten ausnehmend respektvoll behandelt... 

Aber natürlich hat das Spiel irgendwann ein Ende. Von Kazuo Ishiguro meisterhaft doppelbödig inszeniert. Was ist Realität, was ist Spiel? Gerade diese Frage macht die Faszination aus.

Freitag, 22. April 2022

Richard Osman: Der Mann, der zweimal starb


Auch Band zwei der englischen Reihe um den Donnerstagsmordclub, eine ausgebuffte vierköpfige Hobbydetektiv-Truppe im Seniorenheim, ist wieder höchst unterhaltsam und lustig. 

Diesmal hat ein alternder britischer Agent mutmaßlich Juwelen im Wert von 20 Millionen Pfund im Haus eines Mafiapaten mitgehen lassen. Das Ermittlerquartett fahndet mit unkonventionellen Miss-Marple-Methoden nicht nur nach den Juwelen, sondern auch nach dem Agenten - falls er nicht doch schon ermordet wurde. Und nebenbei planen sie die Rache an einem jungen Kleinkriminellen, welcher ihren Mitstreiter Ibrahim bei einem Raubüberfall übel zugerichtet hat.


Vielleicht kommt „Der Mann, der zweimal starb“ nicht ganz an den ersten Band heran. Zum einen ist nicht alles an dieser Handlung zwingend oder glaubwürdig, zum anderen fällt die Schlusspointe, für die sich der Autor im Nachwort noch selbst lobt, eher mau aus. Aber das ist Jammern auf hohen Niveau…

Freitag, 26. November 2021

Anthony Horowitz: Mord in Highgate

 


Anthony Horowitz - das weiß, wer diesen Blog regelmäßig liest - gehört zu meinen literarischen Helden. Und er bleibt es, auch wenn ich mich über diesen zweiten Band der Hawthorne-Reihe regelrecht geärgert habe.

Klar, es ist der Running Gag dieser Reihe, dass der feingeistige Schriftsteller Anthony Horowitz immer die falschen Schlüsse zieht und der raubeinige Ex-Polizist, dessen Abenteuer Horowitz niederschreiben soll, ihm meilenweit voraus ist. Auch, dass der Leser längst alles durchschaut, während der neunmalkluge Horowitz immer noch im Dunkeln tappt (das ist natürlich unzuverlässiges Erzählen at its best). So auch diesmal. Nur, dass diesmal das Spiel nicht aufgeht. Ich war sicher nicht der einzige Leser, der den Mörder oder die Mörderin gleich bei seiner/ihrer ersten Erwähnung erraten hat. Und das schleppt sich dann, leider, ohne den leisesten Knalleffekt bis zum Schluss hin. Ich habe sogar Anhang und Danksagungen noch in der Hoffnung auf eine überraschende Wende gelesen. Kommt die erst im Nachfolgeband? Wie ich sehe, ist vor wenigen Wochen A line to kill erschienen. 

Natürlich schreibt Horowitz gut, natürlich ist sein Humor vom Feinsten, natürlich liefert er hervorragend treffende Beschreibungen von Personen und Situationen ab. Aber nächstes Mal bitte etwas spannender. Vielleicht überzeugt mich "A line to kill" wieder...

Sonntag, 18. Juli 2021

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub

Ein perfekter, englischer Krimi - und ein wahrer Pageturner - um eine Rentnertruppe, die sich in ihrer ländlichen Seniorenwohnanlage einmal pro Woche trifft, um gemeinsam Kriminalfälle zu lösen. Das geht nicht ohne Schrulligkeiten ab. Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron aber sind bei allen ihren Eigenheiten ein wunderbar vielseitiges Detektivquartett und der Polizei immer eine Nasenlänge voraus. 

Dass im Altenheim gestorben wird, soll vorkommen. Hier wird obendrein noch ausgiebig gemordet. Das Besondere jedoch ist der gleichzeitig scharfsinnige und zutiefst liebevolle Blick, den Osman in diesem Whodunnit auf bleischwere Themen wie Altern, Verlust, Demenz - und den verzweifelten Kampf gegen sie - und den nahenden Tod wirft. Er tut es auf die leichte Art, mit einer guten Portion versöhnlichem Galgenhumor. Well done.



Mittwoch, 14. Juli 2021

Martin Suter: Allmen und der Koi


Martin Suters Allmen-Krimis sind wie ein Seriencomic: Überzeichnete Figuren, die sich durch eine immer neu variierte, gleich ablaufende Handlung wursteln. Der unerträglich versnobte, verschwendungssüchtige und dabei liebenswert treudoofe Allmen ist mal wieder pleite und muss einen grotesken Job annehmen - bei dem ihm sein gutherzig-lebenskluger Adlatus Carlos schließlich den Kopf aus der Schlinge zieht. Dann wird alles gut - bis zur Fortsetzung. Die Krimis haben alles, was Serien so unterhaltsam macht.

In diesem Fall macht sich das Team auf, den gestohlenen Koi-Karpfen eines millionenschweren Musikproduzenten (der sich selbst für einen Koi hält) wiederzubeschaffen. Passenderweise ist das Ganze auf der Insel Ibiza angesiedelt: dem Ort in Europa, der wie kein anderer auf oberflächliche Party, Drogen und Geld fixiert ist. Wie immer liefert Suter sprachlich solide Krimiliteratur, hat gut recherchiert. Obwohl: was soll das?: "Sie saßen wieder am grob behauenen Olivenholztisch unter dem mächtigen Feigenbaum." Muss es so platt wirklich sein? Hatte er keine Zeit zum Überlegen? Keine Lust? Oder ist das gewollter, comichafter Stil?

Sonntag, 13. Juni 2021

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse

 

„Was heißt‘n das eigentlich, wo die Flusskrebse singen?“ (...) „Das heißt bloß, weit draußen, wo die Tiere noch wild sind und sich benehmen wie Tiere.“

Kya lebt schon immer hier. Hier im unzugänglichen Marschland an der Küste North Carolinas, in einer baufälligen Hütte zwischen Sümpfen, Sandbänken, Salzwiesen. Das Mädchen sammelt Federn und Muscheln, zeichnet, malt, liest, wird als junge Frau gefeierte Autorin und Zeichnerin von Bildbänden über die Marsch, die sie zeit Lebens fast nie verlässt. 

Kya ist allein. Der rote Faden, der sich durch ihr Leben zieht, ist das Verlassenwerden. Zuerst flüchtet die Mutter, dann alle vier Geschwister vor dem gewalttätigen Vater, der schließlich alleine mit Kya in der Marsch zurückbleibt, ehe auch er das Weite sucht. 

Auch die beiden Männer in Kyas Leben reihen sich ein: der feinfühlige Tate, der das Marschmädchen für seine Universitätskarriere zurücklässt und der attraktive Chase, der Kya benutzt und betrügt. Als Chase tot unter einem Feuerwachturm gefunden wird, fällt der Verdacht sofort auf das Marschmädchen Kya. Es kommt zum Prozess.

Eindrücklich lesen sich die Naturbeschreibungen. Wo die Natur das Seelenlebens Kyas spiegelt, ist das hervorragend gelungen. Wo es nur um Kyas Seelenleben geht, nervt das Psychologisieren der Autorin manchmal. Was diesem Roman zu großen Literatur fehlt, ist die Tendenz, dass die Autorin Sachverhalte, Gedankengänge lang und breit ausführt, die sie dem Leser selbst überlassen könnte. Es wäre sogar eindringlicher, beim Lesen selbst auf manchen Gedanken zu kommen. („Ein natürliches Begehren hatte sie unverheiratet in ein billiges Motel geführt, aber unbefriedigt gelassen", denkt Kya einmal bei sich). An anderen Stellen gelingt das Ratespiel mit dem Verborgenen.

Sonst aber ist dieser Roman vortrefflich, er spielt mit Ängsten und Erwartungen, manipuliert den Leser gekonnt. Wieso hassen und verlassen nur alle das Marschmädchen? Man will der einzige sein, der zu ihr hält, sie beschützt. Beiläufig eingewoben ist ein spannender Krimi, der an Hakan Nesser erinnert. Besonders die Figur des Sheriffs verdient ein genaues Hinsehen.

Mittwoch, 2. September 2020

Arturo Pérez Reverte: El Club Dumas


Roman Polanskis Verfilmung
Die neun Pforten habe ich bereits mehrmals gesehen, das Original von 1993 erst jetzt gelesen. Natürlich auch unter dem Gesichtspunkt, ob die Verfilmung gelungen ist, der Buchvorlage gerecht wird oder sie sogar - auch das gibt es - veredelt.

Der Bücherjäger ("cazador de libros") Lucas Corso (im Film: Dean Corso) erhält die Aufgabe, die Echtheit des Manuskriptes von Le Vin d'Anjou, des Originals eines Kapitels von Alexandre Dumas' Die drei Musketiere, zu überprüfen. Bei dieser Mission begegnet ihm das uralte Werk über die Neun Pforten, in dem Teile angeblich von Satan selbst stammen und dessen Urheber wegen Teufelsanbetung auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Eine Nebenhandlung, die im Roman gegenüber dem eigentlichen Handlungsstrang rund um Dumas immer wieder in den Hintergrund tritt.

Dieser Dumas-Plot wiederum fehlt im Film völlig, eine mutige und richtige Entscheidung der Drehbuchautoren. Denn diese Handlung um einen illustren Club der Fans von Abenteuergeschichten ist einfach verwirrend, konstruiert, wirkt nicht stringent. Auch, wenn er dem ganzen vielleicht ein Augenzwinkern, eine humorvolle Note und Leichtigkeit hinzufügen sollte.

Im Film gibt es dafür einen völlig bekloppten Schluss um eine Sekte durchgeknallter Teufelsanbeter. An dieser Stelle bleibt das Buch rätselhafter, undurchsichtiger, philosophischer. Wen im Film stört, dass Corso unentwegt Zigaretten raucht, während er wertvollste Bücher durchblättert - das ist im Roman auch so.

Verständlicherweise wird hier ausgiebiger und genüsslicher über das Medium Buch diskutiert und sinniert, das Schreiben und das Erzählen, aber auch über alles, was sich zu Druck, Einband, Illustration, Erhaltungszustand von Büchern sagen lässt, über Marktpreise und Provenienz, Auktionen, Sammlerleidenschaft und die Marotten von Bibliophilen. In vieler Hinsicht wird Umberto Ecos Der Name der Rose als Vorbild für diesen Abenteuerroman überdeutlich. Der "profesor de semiótica en Bolonia" sitzt sogar einmal mit am Tisch, als die Dumas-Jünger sich versammeln.

Besonders schön ist der Bibliomane Victor Fargas gezeichnet. In seiner riesigen Villa hat der jämmerlich verarmende Büchersammler wertvollste Inkunabeln und Handschriften auf dem Boden aufgereiht. In regelmäßigen Abständen muss er unter größten Schmerzen einen seiner Schätze verkaufen, um überhaupt überleben zu können. Es ist, als wähle er eines seiner Kinder aus, das dann zur Schlachtbank geführt wird.

Montag, 9. März 2020

Volker Kutscher: Goldstein

Volker Kutschers dritter Roman um Gereon Rath, Kriminalkommissar in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik (der erste, "Der nasse Fisch", ist Grundlage der Fernsehserie "Babylon Berlin".

Der Chicagoer Auftragskiller Abraham Goldstein ist in der Stadt: Rath erhält den Auftrag, ihn zu bewachen. Währenddessen misslingt der Einbruch eines jugendlichen Diebespaars, Benny und Alex, im Luxuskaufhaus KaDeWe, und Benny wird dabei tödliches Opfer brutaler Polizeigewalt. Dann stirbt ein Hehler, weitere Tote folgen, darunter ein SA-Mann. Ist das ein Werk des - natürlich entwischten -  Gangsters Goldstein?

In weiteren Rollen: Unterweltboss Johann Marlow, rivalisierende Ringvereine, eine verschwiegene Polizistenclique, die Selbstjustiz übt. Das Berlin Anfang der Dreißigerjahre hat Kutscher atmosphärisch gut eingefangen. Und er verwendet einen Kunstgriff, den ich sehr mag: Er erzählt die Handlung nicht in aller Breite aus, sondern überspringt Geschehenes, lässt Kapitel lässt Kapitel erst später einsetzen und den Leser das zwischenzeitlich Geschehene selbst rekonstruieren. Viele Autoren machen genau das Gegenteil, und das ist das Nervtötendendste, was es gibt: alles zehnmal erzählen, weil eine Figur es ja noch nicht weiß in (der Leser aber schon).

Aber gleichzeitig ist das auch das Problem dieses Krimis. Es gibt zu viele Handlungsstränge, die nicht zusammenkommen. Das hat mich am Schluss verwirrt zurückgelassen.

Dienstag, 10. Dezember 2019

Joseph Jefferson Farjeon: Geheimnis in Weiß

Dieser britische Whodunnit-Krimi aus dem Jahr 1937 ist der perfekte Weihnachtsschmöker. Es schneit und schneit und schneit in England an diesem Heiligabend. Und der Zug, der in der Nähe des Dorfes Hemmersby seit geraumer Zeit außerplanmäßig hält, kommt weder vor noch zurück. Einige zufällig zusammengewürfelte Passagiere eines Dritte-Klasse-Abteils nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand und versuchen, den nahe gelegenen Bahnhof zu Fuß zu erreichen.

Doch sie verirren sich heillos im Schneetreiben und sind schließlich froh, in der weißen Einöde ein Haus zu entdecken. Die Tür ist offen, es brennt sogar Feuer im Kamin - aber weit und breit ist kein Mensch zu entdecken. Notgedrungen lassen sie sich in dem heimelig eingerichteten Landhaus nieder. Ein schüchterner Buchhalter, der die kommenden Stunden fieberkrank in einem der Betten verbringen wird (die Beschreibungen von Thomsons skurrilen Fieberträumen haben echte literarische Qualität und machen diesen Krimi zu einem besonderen Juwel), ein Geschwisterpaar, eine Revuetänzerin, ein angeblich weit gereister Aufschneider und Mr. Edward Maltby, Mitglied der Königlich-Parapsychologischen Gesellschaft. Wie aus dem Nichts taucht auch noch ein grobschlächtiger, unsympathischer "Mr. Smith" auf.

An ein Fortkommen ist nicht zu denken. Während der Schnee das Haus immer mehr zudeckt, machen sich die unfreiwilligen Hausgäste daran, über die Rätsel nachzudenken, die sich umgeben. Was hat es mit dem brennenden Feuer und dem heißen Wasser im Teekessel auf sich? Wer ist der geheimnisvolle Mann mit den zynisch leuchtenden Augen auf dem Ölgemälde über dem Kamin? Verbirgt Smith etwas? Und ist der seltsame Schneehügel, den Maltby vor dem Haus entdeckt hat, wirklich eine eingeschneite Leiche? Die Gesellschaft rätselt, und der in übersinnlichen Phänomenen bewanderte Maltby führt dabei die Regie.

Schließlich erhält die illustre Runde in dieser Weihnachtsnacht noch weitere Gesellschaft und kommt, wie könnte es anders sein, mehreren Morden auf die Spur. Nicht alles kann geklärt werden - vieles bleibt ebenso rätselhaft wie Maltbys kühne Gedankengänge. Auch die beiden Polizisten, die sich am nächsten Tag zu dem Haus durchkämpfen, erfahren nur einen kleinen Teil der Wahrheit. Unaufgeregt, vertrackt, hintergründig und absolut unterhaltsam.

Samstag, 12. Oktober 2019

Horst Evers: Der König von Berlin

Bester Regionalkrimi ever.

Ja, erstens Regionalkrimi. Es ist zwar gemein, dieses Familienepos, diese Sozialstudie, diese satirische Großstadtsinfonie in eine Reihe mit den humorlosen Kluftinger-Krimis und noch viel, viel schlimmeren Machwerken zu stellen. Trotzdem ist es auch einer von denen. Allerdings einer, der das Genre des Regionalkrimis wunderbar durchschaut, thematisiert, persifliert. Und dennoch seine Stärken nutzt, die Wiedererkennensmomente, die Orte, Situationen, Menschen. Ja, genau, Berlin, det is Balin wa.

Ja, zweitens, ever, auch wenn das nach einem billigen Namenskalauer klingt. Aber Evers selbst hat in sein Buch ja einige plattestmögliche Gags eingebaut, die sich sehr gut in Luke Mockridges diesjährigem Fernsehgarten-Auftritt gemacht hätten, den ich übrigens sehr gut finde, weil er einer Gesellschaft ihren schizophrenen Umgang mit Kindern um die Ohren haut.

Ich schweife ab. Ist egal. Im 2012 erschienenen Roman des Satirikers und Lesebühnen-Stars Horst Evers geht es um eine Rattenplage in Berlin und den Hauptkommissar Carsten Lanner. Lanner war in der niedersächischen Provinz eine große Nummer, versetzt in die Hauptstadt wird er jedoch von den Kollegen gehänselt, als Landei verspottet, ignoriert. Obendrein ist in Berlin ein Polizist so ziemlich das unterste in der sozialen Rangordnung. Hätte Lanner wissen können.

Einzige kurze Moment des Glücks sind dem Kommissar vergönnt, wenn er an der Resopal-Arbeitsplatte seiner Küche steht und von der Mettrauchwurst nascht, die ihm seine Mutter aus Cloppenburg geschickt hat. Wunderbar. So muss ein Krimiheld sein, der mir sympathisch ist.

Und Evers schickt noch mehr so tollen Typen auf die Szenerie: Der mysteriös verstorbene Schädlingsbekämpfer-Großmogul und Unsympath Erwin Michallik, seine beiden unfähigen Söhne Helmut und Max, seine resolute Chefsekretärin Claire Matthes. Dazu der einsilbige, in Breslau aufgewachsene Kammerjäger Toni Karhan, der zum Actionhelden wird und einen geheimnisvoll verrätselten Stadtplan entdeckt. Georg Wolters, ehemaliger Langzeitstudent und jetzt ebenfalls Kammerjäger, Cloppenburger Schulkamerad von Lanner, welcher ihn zähneknirschend um Hilfe bitten muss. Dann der „dreieckige Spurensicherer“ Manfred Kolbe, der mit, ja, "Berliner Schnauze" ausgestattet, den Dorfsherrif Lanner besonders gerne schikaniert. Die patente, aber etwas undurchsichtige Kommissarin Carola Markowitz. Außerdem ein Nerd, der von seinem Computer aus Ratten dirigiert, ein Ausbrecherkönig, eine Runde korrupter Stadtbarone, die mit dem Regierenden Bürgermeister in der Sauna klüngelt, eine Schar unterbelichteter Brandenburger und dann noch der unvermeidbare Ex-Polizist, der den Dienst quittiert, aber noch einige Rechnungen offen hat.

Nebenbei wird noch die Leiche eines unscheinbaren Mannes gefunden, dessen Wohnung voller Bargeld ist - das hat er, so wird bald klar, als Ghostwriter für Regionalkrimi-Reihen verdient.

Die philosophische Botschaft dieser erratischen Heldenreise lautet: Jeder delegiert alles, vor allem Verantwortung, an andere, will aber die Anerkennung selbst einstreichen. Das passiert auf allen Ebenen - der Regierende tut es sowieso, die Unternehmer und der Polizeichef tun es, selbst der kleine Spurensicherer tut es.

Ein schmieriger Bauunternehmer lässt einen Schlüsselsatz fallen:
„Dieser niedersächsische Bauer versteht nicht, was diese Stadt ausmacht!“

Ja was denn? Wer hat nicht schon gerätselt, woher die bizarr-geschmacklose Form des Einkaufszentrums Alexa kommt? Und wozu der Steglitzer Bierpinsel eigentlich dient? Oder ist daran verzweifelt, dass er einfach nicht verstanden hat, wie diese Stadt tickt? Nach der Lektüre dieses Buches hat er es. Horst Evers, gebürtig Gerd Winter aus Evershorst in Niedersachsen, hat es ihm spannend, actionreich, witzig und hintergründig erklärt.

Mittwoch, 21. August 2019

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals

Damaskus, November 2010: In der italienischen Botschaft wird ein Fass Olivenöl abgegeben. Darin schwimmt die Leiche eines Kardinals. Wer steckt hinter dem Mord? Islamisten? Die Mafia? Der Staat? Die katholische Kirche? Kommissar Barudi und sein aus Italien angereister Kollege Mancini ermitteln.

Wer nun einen klassischen Krimi mit knallharten Verhören zwielichtiger Verdächtiger in abgedunkelten Räumen erwartet, kennt den deutsch-syrischen Geschichtenerzähler Rafik Schami schlecht. Seine Kommissare schlürfen erst mal einen Mokka mit Kardamom und erkundigen sich dann nach dem Wohlbefinden der Großmutter. Dann wird ausgiebig geplaudert, gescherzt und sinniert. Das ganze Buch gleicht einem Gang durch einen üppig beladenen Basar der Anekdoten und Nachdenkereien. Die eigentliche Krimihandlung gerät dabei fast zur Nebensache.

Doch ganz so harmlos ist das, was hier in bunten Bildern erzählt ist, nicht: Schami lässt seine Mördergeschichte bewusst am Vorabend des syrischen Bürgerkrieges spielen. Wie beiläufig führt er dem Leser ein undurchschaubares Geflecht von zerstrittenen Religionen, Konfessionen und Sekten, Scharlatanen und Geschäftemachern, korrupten Eliten und brutalen Clan-Strukturen vor Augen – und lässt ahnen, wie das Land in die Katastrophe schlitterte.


Erschienen in Schwäbische Post / Gmünder Tagespost, 20. August 2019

Dienstag, 2. Juli 2019

Ellen Barksdale: Der doppelte Monet (Tee? Kaffee? Mord! 1)

Ein perfektes Krimihörbuch für Auto- oder Zugfahrten, Waldläufe, zum Aufräumen oder Kochen. Högschde Konzentration ist da nicht nötig, es reicht auch, wenn man nur die Hälfte mitbekommt - man verliert den Faden dennoch nicht.

Earlsraven: Das ist English Countryside zwischen Cottage-Gärten, Rosenspalieren und Backstein-Reihenhäuschen. Nathalie Ames erbt in dem Dörfchen von ihrer Tante den Pub "The Black Feather". Zum Erbe gehört auch die Notizensammlung ihrer Tante: Diese hat nämlich den Kneipentratsch minutiös protokolliert und mit diesem Material schon so manchen Kriminalfall gelöst - mithilfe der schlaue Köchin Louise, einer ehemalige Agentin, und zum Leidwesen des trotteligen Dorfinspektors, dem die Damen immer einen Schritt voraus waren.

An der Seite von Louise wird nun auch Nathalie zur Ermittlerin.  Die Erzählungen einer verschrobenen Dorfbewohnerin, die Kopien wertvoller Kunstwerke zu Hause hat, die ihr angeblich gestohlen und durch andere Kopien vertauscht werden, macht sie hellhörig. Der Fall kann beginnen. Die Frauen stellen Verbindungen her, horchen sich um, entdecken Geheimverstecke und Falltüren.

Klar: Die Dialoge sind mitunter lieblos gestrickt, die Sprache ist mit Klischees vollgepackt, die Handlung voller Redundanzen - kommerzielle Massenproduktion eben. Macht nichts, das Ganze ist auf seine behäbige Art unterhaltsam und spannend konstruiert, hat eine schöne Auflösung, besitzt Flair und macht Laune. Passt schon.

Sonntag, 5. Mai 2019

Anthony Horowitz: The Word is Murder

Goldene Regel: Wo Anthony Horowitz draufsteht, stecken intelligente, vertrackte, doppelbödige Krimis drin, die so spannend sind, dass man sie von der ersten bis zur letzen Seite fressen möchte. So auch The Word is Murder, eine Detektivgeschichte aus dem London der Jetzt-Zeit. Wie in Die Morde von Pye Hall thematisiert der Autor den Prozess des Krimi-Schreibens selbst, spielt mit verschiedenen Ebenen und führt den Leser fies in die Irre. Unzählige Shakespeare-Zitate und Anspielungen zeigen nur zu deutlich, dass wir uns hier in die magische Welt des Theaters begeben.

Hauptfigur ist der Detektiv Daniel Hawthorne, ein ziemlich unsympathischer, schroffer, homophober und unsozialer Ex-Polizist, den sein früherer Arbeitgeber Scotland Yard wegen seines besonderen Riechers bei besonders kniffligen Fällen hinzuzieht. Und da ist sein ahnungsloser, unbedarfter und rechtschaffener Sidekick, der Hawthorne bewundern darf, aber sonst den Mund halten soll und natürlich auf jede zwingende Schlussfolgerung viel, viel später stößt als der Leser. Das klingt nach Dr. Watson oder Hutchinson Hatch, aber es ist (und das ist neu): der Schriftsteller Anthony Horowitz selbst.

Horowitz lässt hier tatsächlich sein reales Ich erzählen, von seinen Buchprojekten, der Arbeit mit der Agentin, Aufritten bei Lesefestivals berichten. Der mürrische Hawthorne hat den renommierten Autor als Chronisten gewonnen, der seinem neuesten Fall ein Buch widmen soll: Hawthorne investigates soll es heißen - wenigstens hier setzt sich Horowitz durch, der sonst wenig zu melden hat: The word is murder, heißt das Buch schließlich.

Geschickt verwebt Horowitz Realität (das meiste, was seine eigene Person und ihr Umfeld betrifft) und Fiktion (den ganzen Rest) - und hält dieses Verwirrspiel sogar bis ins die Danksagungen am Schluss des Buches durch. Herrlich, wie Hawthorne mitten in ein vielversprechendes Treffen Horowitz' mit Steven Spielberg und Peter Jackson platzt und so dessen Karriere als Kino-Autor nachhaltig beschädigt.

Aber der Fall hat Vorrang: Hawthorne soll herausfinden, wer die Witwe Diana Cowper, die Mutter des erfolgreichen Hollywood-Schauspielers Damian Cowper, stranguliert hat. Pikant: Sechs Stunden vorher hatte Diana Cowper bei einem Bestattungsinstitut die Details für ihre eigene Beerdigung regeln lassen. Und noch einmal zehn Jahre früher hatte Diana Cowper mit dem Auto zwei Kinder überfahren - eines starb, das andere überlebte schwerstbehindert - und Fahrerflucht begangen.

Hawthorne ermittelt und Horowitz versucht nachvollziehen, wie er die Fäden entwirrt, zieht aber meist die falschen Schlüsse. Sehr schön, wie selbstironisch sich der Autor hier als ahnungslos, leicht blasiert und etwas dämlich darstellt. Was die Auflösung des Falls angeht, habe ich immer auf den großen Knalleffekt gewartet, der alles bis dahin Gelesene radikal auf den Kopf stellt. Das hat dieser Krimi zwar nicht zu bieten. Trotzdem ist es ein sehr kniffliger und durchdachter Plot, der bis zum Ende spannend bleibt und zig Aha-Erlebnisse bietet.

Montag, 18. März 2019

Martin Suter: Allmen und die Erotik

Neues vom meistbesprochenen Autor in diesem Blog. Der fünfte Teil der Serie um den stilvoll verarmenden Kunst-Ermittler Johann Friedrich von Allmen, die leider, leider immer schwächer wird.

Diesmal ist Allmen so abgebrannt, dass er in der Bibliothek der exklusiven literarischen Gesellschaft ein kleines Fabergé-Ei mitgehen lässt. Leider wird er dabei vom Sicherheits-Dienstleister Bill Krähenbühler gefilmt - und erpresst. Krähenbühler zwingt ihn, in ein Lagerhaus einzusteigen und die Erotica-Sammlung eines ehemals umtriebigen, jetzt aber frömmelnden Porzellanhändlers zu stehlen. Der Diebstahl klappt und fortan geht es darum, die Stücke zu verscherbeln.

Leider fehlt diesem Buch schon wieder alles, was einen guten Suter-Krimi ausmacht: Die zwingende Handlung, die unerträglichen Gefahrsituationen und Peinlichkeiten, die unfassbaren Eskapaden des Helden, die faszinierenden Wendungen, die Doppelbödigkeit und die aberwitzige Schlusspointe. Schade. Aber natürlich werde ich auch den sechsten Teil lesen. Vielleicht wird's ja wieder mal so einer.