Sonntag, 13. Juni 2021

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse

 

„Was heißt‘n das eigentlich, wo die Flusskrebse singen?“ (...) „Das heißt bloß, weit draußen, wo die Tiere noch wild sind und sich benehmen wie Tiere.“

Kya lebt schon immer hier. Hier im unzugänglichen Marschland an der Küste North Carolinas, in einer baufälligen Hütte zwischen Sümpfen, Sandbänken, Salzwiesen. Das Mädchen sammelt Federn und Muscheln, zeichnet, malt, liest, wird als junge Frau gefeierte Autorin und Zeichnerin von Bildbänden über die Marsch, die sie zeit Lebens fast nie verlässt. 

Kya ist allein. Der rote Faden, der sich durch ihr Leben zieht, ist das Verlassenwerden. Zuerst flüchtet die Mutter, dann alle vier Geschwister vor dem gewalttätigen Vater, der schließlich alleine mit Kya in der Marsch zurückbleibt, ehe auch er das Weite sucht. 

Auch die beiden Männer in Kyas Leben reihen sich ein: der feinfühlige Tate, der das Marschmädchen für seine Universitätskarriere zurücklässt und der attraktive Chase, der Kya benutzt und betrügt. Als Chase tot unter einem Feuerwachturm gefunden wird, fällt der Verdacht sofort auf das Marschmädchen Kya. Es kommt zum Prozess.

Eindrücklich lesen sich die Naturbeschreibungen. Wo die Natur das Seelenlebens Kyas spiegelt, ist das hervorragend gelungen. Wo es nur um Kyas Seelenleben geht, nervt das Psychologisieren der Autorin manchmal. Was diesem Roman zu großen Literatur fehlt, ist die Tendenz, dass die Autorin Sachverhalte, Gedankengänge lang und breit ausführt, die sie dem Leser selbst überlassen könnte. Es wäre sogar eindringlicher, beim Lesen selbst auf manchen Gedanken zu kommen. („Ein natürliches Begehren hatte sie unverheiratet in ein billiges Motel geführt, aber unbefriedigt gelassen", denkt Kya einmal bei sich). An anderen Stellen gelingt das Ratespiel mit dem Verborgenen.

Sonst aber ist dieser Roman vortrefflich, er spielt mit Ängsten und Erwartungen, manipuliert den Leser gekonnt. Wieso hassen und verlassen nur alle das Marschmädchen? Man will der einzige sein, der zu ihr hält, sie beschützt. Beiläufig eingewoben ist ein spannender Krimi, der an Hakan Nesser erinnert. Besonders die Figur des Sheriffs verdient ein genaues Hinsehen.