Montag, 27. November 2017

Manfred Flügge: Die vier Leben der Marta Feuchtwanger


Diese Biografie widmet sich Marta Feuchtwanger. Im Klappentext heißt es, sie sei "Muse, Grand Dame, Ikone des deutschen Exils" und eine der "großen Dichterfrauen des 20. Jahrhunderts" gewesen. Ohne Zweifel, diese Frau hat viel mitgemacht: Zwei Weltkriege, Internierung, Flucht, Exil, ihr einziges Kind starb kurz nach der Geburt, dazu musste sie einen unmöglichen Ehemann ertragen. Im Verlauf dieses Buches wird aber klar: Marta war vor allem anderen die Ehegattin an der Seite des Schriftstellers Lion Feuchtwanger („Erfolg“, „Jud Süß“, „Die Jüdin von Toledo“).

Im Buch heißt es: "Fast fünfzig Jahre hatte sie Lion bemuttert (...) Sie war von ihm abhängig gewesen, sein Erfolg, seine Geltung, seine internationalen Verbindungen hatten auch ihr Dasein bestimmt (...)." Alles, was von Marta geblieben ist, hat Bezug zu Lion Feuchtwanger. Natürlich hatte sie ihr Reich, das Haus und den Garten (nach dem Umzug aus München zuerst in Berlin, dann in Sanary sur Mer, dann in Pacific Palisades), sie hatte ihre Hobbies wie den Skisport und die Gymnastik, war emanzipiert, aber nicht unabhängig. Sie besaß keinen Beruf und keine eigenständige Existenz - das ist ihr weiß Gott nicht vorzuwerfen. Eine Lebensbeschreibung Marta Feuchtwangers ist aber deshalb weniger interessant aus dem Standpunkt, was sie geschaffen hat, sondern danach, was sie miterleben musste.

"Das Schicksal dieser Frau, die unter so vielen Autoren lebte, aber selbst nicht schrieb, war es, alle Erfahrungen zu berühren, die ihr Jahrhundert bereithielt, die schlimmsten wie die besten", schreibt Flügge. Letzte Station des Feuchtwanger-Exils war, als die Nazis Europa völlig überrannt hatten, eine mondäne Villa in Pacific Palisades an der Küste Kaliforniens. Cellist Mstislav Rostropowitch war zu Gast und gab ein Privatkonzert, viele weitere Größen aus Kunst und Kultur gingen bei Feuchtwangers und ein. "Bei den Leseabend trat Marta als hilfreiche und diskrete Gastgeberin in Erscheinung." So viel zu ihrer Bedeutung: Diskret und wichtig, aber im Hintergrund.

Der Leser erfährt in jedem Fall eine Menge über die literarische Bedeutung Lion Feuchtwangers, der als  jüdische Existenzen in seinem von Aktualität geprägten Werk - besonders im Moment der Katastrophe - literarisch verewigt hat. Privat, so wird deutlich, war er ein Erotomane, der ständig mehrere Affären gleichzeitig hatte, seine Sexpartnerin teilweise täglich wechselte, dazu regelmäßig  ins Bordell ging, was er wiederum minutiös in seinem Tagebuch aufzeichnete. Ein zwanghafter Charakter, so scheint es. Marta, das legt zumindest diese Biografie nahe, ist darüber hinweg gegangen.

Sie war - das zeigen Fotos - eine rätselhafte Schönheit, auch wenn sie selbst das bewusst herunterspielte. "Sie fand, sie habe einen Eidechsenkopf und ihr Mund sei zu groß. (...) Ihr Kopf war rundlich, fast oval und wurde durch das meist nach hinten gelegte Haar noch betont."

Schließlich bleibt noch etwas zum Stil dieser Biografie anzumerken. Er ist eigenwillig, fast drollig. Er erinnert manchmal ungewollt an den genialen Kinderbuchautor Janosch, etwa hier:

"In Pompeji wollte sie nicht die obszön bemalten Wände antiker Bordelle sehen. Mit Lion allein hätte sie es getan, aber nicht mit einem fremden Führer. Lion kannte das alles schon aus Büchern. Er kannte auch, aus eigener Anschauen, die modernen Hetären und deren Welt. In Amalfi nahm Marta das erste Meerbad ihres Lebens. Die nächsten sechzig Jahre wurde dies eines ihrer Hauptvergnügen. Als sie nach Lions weggewehter Brille tauchte, wäre sie beinahe ertrunken."

Der Autor ergreift mitunter Partei, mischt sich manchmal mehr ein, als es bei Lesen angenehm ist. "Er war halt doch ein altes Rabenaas", urteilt er über Lion Feuchtwanger. Von Feuchtwangers Weggefährten Bertolt Brecht, an dessen Charakter Flügge kein gutes Haar lässt, ganz zu schweigen.

Samstag, 18. November 2017

Walter Moers: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr

"Dazu waren die Geschichten auch zu läppisch (...) wir griffen beide zu Routinetricks, erzählten alte Geschichten in neuen Variationen, knüpften gegenseitig an Geschichten des anderen an, traten erzählerisch auf der Stelle (...)."

Das ist kein Zitat aus Moers' neuem Roman Prizessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr, sondern aus seinem bahnbrechenden Klassiker der deutschen Literatur Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär von 1999. Es beschreibt, was im legendären Lügenduell zu Atlantis passiert, wenn beide Kontrahenten gezwungen sind, weiterzuerzählen, auch wenn ihnen nicht mehr das geringste einfällt. So wie es leider in diesem neuen Zamonien-Roman der Fall ist.

Prinzessin Dylia leidet an Schlaflosigkeit. Aber eigentlich ist es kein Leiden. Sie empfindet die Stunden, in denen sie vom Lärm des Tages verschont bleibt, wie "Urlaub von allem Unnötigen", denkt sich Pfauenwörter aus und erfindet unnütze Dinge in Regenbogenfarben. Da steht auf einmal ein Wesen vor ihr, das aussieht wie ein verschimmelter, blauer Blumenkohl. Havarius Opal heißt es und ist ein Nachtmahr. Mit dem Ziel, Dylia in den Wahnsinn zu treiben, nimmt Havarius die Prinzessin mit auf die Reise durch ihr eigenes Gehirn durch die Große Fissur,  schließlich in die Amygdala, wo die Angst zu Hause ist. Dylia erfährt dabei, dass das Träumen ein sechster Sinn ist und dass es sogar ein eigenes Traumiversum gibt.


Erwähnenswert sind die kunterbunten Illustrationen der jungen Lydia Rohde, deren Schicksal - sie leidet am chronischen Erschöpfungssyndrom - Moers zu diesem Buch inspiriert hat. Das ist aller Ehren wert. Aber so schablonenhaft und lustlos erzählt wie diese Hirn-Reise ist, eine solch eintönige Aneinanderreihung lascher Einfälle, Wiederholungen noch und nöcher, keinerlei dramatische Höhepunkte.... tja, soll man sagen: einschläfernd?


Natürlich geht Moers wieder unendlich liebevoll mit der deutschen Sprache um und erschafft wunderbare Begriffe wie das Niemalsweh - die Sehnsucht nach einem Ort, den man nie gelangen wird, weil er nicht oder nur in der Fantasie existiert. Leider sind aber diese Spielerein recht zusammenhanglos oder aufzählungsahft eingestreut. Sprachakrobatik alleine reicht eben nicht, wenn einem die Ideen ausgegangen sind, pardon, wenn einen das Orm verlassen hat.