Sonntag, 27. Februar 2022

Siegfried Lenz: Die Maske

Fünf - zumeist maritim angehauchte - Erzählungen sind in diesem Band aus dem Jahr 2011 versammelt. Menschen kollidieren hier teilweise mit der Naturgewalt, viel öfter aber mit ihresgleichen, ihren eigenen Erwartungen und Beschränkungen.

Antonia mit dem blauen Schal ist ein Gemälde, zu dem ein Museumswärter eine sehr - viel zu - enge Beziehung aufbaut, mit allen Konsequenzen. 

Die Maske: Auf einer Insel in der Elbmündung wird nach einem Sturm ein Überseecontainer mit asiatischen Masken angeschwemmt, die für das Völkerkundemuseum  Hamburg bestimmt sind. Im Gasthaus "Blinkfeuer" feiern die Inselbewohner, setzen die Masken auf, die interessanterweise auf einmal ihr wahres - oder zumindest interessantes und liebenswertes - Gesicht offenbaren.

In Die Sitzverteilung wird ein Kapitän geehrt, weil er sein sinkendes Schiff als letzter verlassen hat - allerdings nichts aus hehren Motiven.

In Ein Entwurf erzählt ein Autor seiner Frau die Lebensgeschichte des zur See fahrenden gemeinsamen Sohnes Sven (über den erst im letzten Satz Bedrückendes ans Tageslicht kommt).

Das Interview ein Ehemaliger Obdachloser kreiert für eine Catering-Firma Menüs auf eigens organisierten Feinschmecker-Kreuzfahrten. Diese Geschichte ist leider reichlich ungelenk in eine Rahmenhandlung geschachtelt, in welcher Erzähler berichtet, wie er ein Interview mit dem Regisseur geführt hat, der diesen Stoff verfilmt hatte. Ja, genau so.

Alle Erzählungen bezaubern durch geschickte Wendungen, und Lenz‘, man muss sie so nennen, schöne Sprache.

Freitag, 25. Februar 2022

Michelle Gable: The Bookseller's Secret

 

Dieser Unterhaltungsroman nähert sich der historischen Persönlichkeit Nancy Mitford - Schriftstellerin und eine der skandalumwitterten Mitford-Schwestern. Ihr Leben wird von 1942 bis 1946 in Rückblicken erzählt.

Eingebettet ist das Ganze allerdings in eine recht banale Rahmenhandlung in der Jetzt-Zeit. Eine US-Schriftstellerin hat sich von ihrem langjährigen Partner getrennt, leidet unter einer Schreibblockade und nimmt eine Auszeit bei einer ehemaligen College-Freundin in London. In einem Buchladen - demselben, in dem Nancy Mitford während des Zweiten Weltkriegs arbeitete, trifft sie einen attraktiven Lehrer, mit dem es nicht nur funkt, sondern an dessen Suche nach einem verschollenen, autobiographischen Mitford-Manuskript sie ihn auch gerne unterstützt.

Im Buch finden sich einige unterhaltsame Passagen, aber als Büchermensch, der Bücher über Bücher liebt muss ich sagen: Der Titel verspricht mehr, als er hält.

Dienstag, 15. Februar 2022

Karl Reichle: Überlass dich Ebbe und Flut

Ein liebenswerter Fund, dieses Buch mit Nachdenkereien über das Reisen, die der (laut Google) Pfarrer Karl Reichle 1983 verfasst hat. Was ist der Sinn des Urlaubs, wie kann er uns reicher machen, wie können wir ihn sinnvoll gestalten? Wie kostbar und unverzichtbar das Reisen ist, haben wir in dieser Pandemiezeit ja schmerzlich erfahren.


In seinen Betrachtungen regt Reichle an, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Kirchen, Burgen und Städte neugierig zu entdecken. Lernen, Nachdenken und Weiterdenken. Essen und Trinken, Feste besuchen, Fundstücke und Erinnerungen sammeln. Es gilt, schon die Reisevorbereitungen mit viel Zeit zu genießen und danach die Erinnerungen als Schätze zu hüten. Oder Orte mehrmals im Lauf des Lebens zu besuchen. 

Mit der Zeit ist es freilich so eine Sache. Dieses Buch, Anfang der Achtzigerjahre erschienen, scheint viel mehr aus der Zeit gefallen als viel Älteres, etwa Merian-Hefte aus den Fünfzigern, die einfach alte, ferne Literatur sind. Reichles Buch ist auf eine andere Art überholt, hat eine seltsame Patina angesetzt - ja, so ist es wohl einmal gewesen - die vor Augen führt, dass seit seinem Erscheinen eine regelrechte Zeitenwende stattgefunden hat. Nur ein Beispiel: Zur Wahl des Urlaubsort schreibe man, so der Autor „An den Verkehrsverein“ und „An das Bürgermeisteramt“ und lege einen frankierten Rückumschlag bei, um ein Unterkunftsverzeichnis zu erhalten. Aus diesem wiederum schreibe man fünf Adressen an, wieder mit frankiertem Rückumschlag… Nicht nur der Umgang mit Zeit war damals ein anderer.

Dennoch ein echtes Vergnügen. Bruce Chatwin hat ähnliche Betrachtungen über das Reisen an sich verfasst, die große Klassiker geworden sind.