Freitag, 30. Dezember 2011

Warum nicht mal wieder Böll?

Ist Heinrich Bölls Literatur unbrauchbar für die heutige Zeit geworden? Ich würde sagen - bis auf wenige Ausnahmen: Nein. Ein famoses Beispiel ist die satirische Erzählung "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" (1955/1958).

Rundfunkredakteur Murke muss aus dem Vortrag des Star-Wendehals-Autoren Bur-Malottke 27-mal das Wort "Gott" herausschneiden und es auf neuerlichen Wunsch des Schriftstellers durch die Phrase "jenes höhere Wesen, das wir verehren" ersetzen.

Das Ganze ist einerseits eine nostalgische Reise in alte Rundfunkwelten. Man arbeitete "beim Rundfunk" wie in einer Behörde, rauchte immer und überall und schnippelte und klebte am guten alten Tonband herum. Auch dem Paternoster-Aufzug hat Böll hier ein literarisches Denkmal gesetzt.

Vor allem ist die kleine Story eine schöne Hommage an das Schweigen. Wörter werden gedreht und gewendet, ausgetauscht und ausgeschnitten, dem Zeitgeist angepasst, "entnazifiziert", korrigiert, "richtiggestellt". Das gilt heute selbstverständlich auch für Bilder. Wir basteln uns unsere Biografien zurecht - nur, dass das heute eben digital und nicht mehr so augenfällig mit Bandschnipelsn geschieht.

Schweigen ist authentisch. Deshalb sammelt Murke die Schweigesekunden, die er aus verlogenen und inhaltsleeren Radiobeiträgen entfernt hat.

"Bur-Malottkes Bänder geben nicht eine Sekunde Schweigen her." Kein Wunder.

Vielleicht ist Schweigen die eigentlich richtige Entgegnung auf die Fragen, die uns quälen. Murkes Bitte an Freundin Rita: "Beschweige mir wenigstens noch fünf Minuten Band." - "Meinetwegen, aber gib mir wenigstens eine Zigarette."

Schade, das heute nicht mehr so viel geraucht, dafür umso mehr gequasselt wird.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Roman-Erfolg der Saison: Ein schwedischer Schnapsliebhaber namens Allan Karlsson, der "die dumme Angewohnheit hat, Häuser in die Luft zu jagen", schaut à la Forrest Gump auf allen weltgeschichtlichen Schauplätzen vorbei, trifft Franco, Churchill, Stalin, Mao und de Gaulle, erfindet nebenbei die Atombombe und steigt zu seinem 100. Geburtstag aus dem Fenster. Es folgt eine aberwitzige Tour mit immer mehr gleichgesinnten Lebensverlierern und mehreren Leichen als Kollateralschaden.


Einige Passagen sind göttlich, wenn etwa Nordkoreas Diktator Kim Il Sung seinem weinerlichen Sprössling Kim Jong Il eine scheuert, um ihn endlich zur Räson zu bringen. Oder wenn Karlsson im Anflug auf Bali eine Landeerlaubnis aushandelt. "Mein Name ist Dollar, Hunderttausend Dollar." Die Herren im Tower haben Probleme, den Vornamen zu verstehen, bis Karlsson laut und deutlich funkt: "Zweihunderttausend."

Zitat: "Die unablässig fluchende, rothaarige Frau mit dem üppigen Busen kam ihm vor wie einem Paasilinna-Roman entstiegen! Der Finne hatte zwar noch nicht über Elefanten geschrieben, aber das war sicher nur noch eine Frage der Zeit, glaubte Benny."

Tja, Herr Jonasson, aber leider sind  Sie nicht Paasilinna.

Wo nämlich Vielschreiber Paasilinna und seine Figuren lakonisch und schweigsam sind, ist Jonasson mit seinem Loser-Kabinett etwas sehr geschwätzig.  Bei Paasilinna fällt das Unerhörte vom Himmel, bei Jonasson wirkt es zu oft am Reißbrett entworfen. Alles wird ein bisschen zu breit gewalzt. Damit Allan Karlsson jeweils rechtzeitig in die wichtigen weltgeschichtlichen Schauplätze hineinstolpern kann, sind reichlich Verrenkungen nötig.

An den Meister aus Finnland kommt er nicht heran. Dennoch ist Jonassons Buch voller köstlicher Einfälle und bringt eine Menge Lesespaß.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Ich und Kaminski

Von Daniel Kehlmann (2003). Die schöne Geschichte von Sebastian Zöllner, einem Angehörigen der Was-mit-Medien-Söldnergeneration und seiner Begegnung mit einem gealterten Maler namens Manuel Kaminski. Schreiber Zöllner hat die Chance, den zurückgezogenen und erblindeten Maler zu treffen und dessen Biografie zu verfassen. Den Kaminski, bei dem nur noch eine Kleinigkeit fehlt, dass die Illustrierten über ihn schreiben und seine Bilder im Wert steigen: "Er muss natürlich sterben."
Zöllner benimmt sich wie ein Trampel, der mit seiner Dummdreistheit normalerweise alles erreicht bei den Leuten - siehe die Kollegen Popliteraten und Poetry Slammer. Nur bei Kaminski und seiner Entourage beißt Zöllner eben auf Granit. Schön, wenn so einer Figur die dümmstmöglichen Missgeschicke passieren - die gemeinsame Reise zu Kaminskis ehemals großer Liebe wird nämlich zum lustigen Fiasko.

Sympathisch ist dieser Kaminski auch nicht gerade. So wie eben Künstler, die interviewt werden, nie wirklich sympathisch sind. Gerade alternde Künstler sind oft verbiesterte, unausstehliche Lustgreise und dazu spießig bis zum Gehtnichtmehr. Gut getroffen. Während Zöllner das ganze Buch hindurch gedemütigt wird, trifft es den widerlichen Kaminski immer nur ganz kurz. Dann aber heftig. Auf einer Vernissage erkennt ihn keiner. Seine alte Liebe kann partout nichts mit seinem Namen anfangen.

Ich wiederhole mich gerne: Wenn man sich als Leser so über das Verhalten von Romanfiguren aufregt, dann ist dem Autor etwas Großes gelungen. Gute Sprache, kein Wort zuviel, exaktes Timing. Da passt alles.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Umberto Eco: Der Friedhof in Prag

Eco hat wieder einen Roman gebastelt und der beginnt stark: Mit einem bitterbösen Feuerwerk von Vorurteilen über alle nur erdenklichen Nationalitäten und Religionen. Hier - und auch an machen späteren Stellen im Buch - ertappe ich mich als Leser beim Gedanken: "Ein wahrer Kern ist doch dran..." Wer den Leser so manipulieren kann, macht ganz viel richtig.

Dann aber, leider: Es plätschert so dahin – wenn auch unterhaltsam und geistreich -, es hat keinen Höhepunkt und keinen Wendepunkt. Alles schon mal gelesen. Der Erinnerungs- und Identitätsverlust bei Königin Loana, die Verschwörungstheorie im Foucaultschen Pendel. Nur, dass es diesmal eben die Protokolle der Weisen von Zion sind, die sich später als die verhängnisvollste aller Verschwörungstheorien der Weltgeschichte entpuppten.

Spannend ist es allemal, was Umberto Eco zusammengetragen hat in den Büchern zu Freimaurerei, Okkultismus, Magie, Magnetismus, Mesmerismus, die er in den Antiquariaten der ganzen Welt aufgestöbert hat. Aber er fügt es eben nicht zu einem dramatischen, packenden Ganzen zusammen.

Ecos Listenhuberei und Aufzählerei grenzt manchmal schon an Belanglosigkeit. Es wurde ja in den Achtzigerjahren vermutet, dass Umberto Eco keine Einzelperson, sondern ein Autorenkollektiv sei – zumindest glaube ich mich an eine enstprechende Fernsehsendung zu erinnern. Nun, so ist es jetzt doch sehr passend, dass Wikipedia Eco Konkurrenz macht und ihn – als wirklich großes Kollektiv – naturgemäß überflügelt. Wikipedia ist umfangreicher und geht mehr in die Tiefe. Dort gilt außerdem der Zwang, sich kurz zu halten und nicht abzuschweifen. Eco hat niemanden, keine Admins, keine Sichter, keine Löschdisk, der ihm diesen Zwang auferlegt.

Würde er stattdessen doch nur erzählen! Er kann es ja! Aber so verzettelt er sich. Schade.

Mittwoch, 30. November 2011

Fernando Trujillo: El secreto del tío Óscar

Das ist eine nette kleine Geschichte um einen VW Käfer mit Eigenleben, der Botschaften aus dem Jenseits übermittelt. Liest sich gut, auch wenn das Ganze in eine etwas nervige Campusroman-Rahmenhandlung um spanische Studenten und ihre unbedarften Annäherungsversuche verpackt ist. Das tritt aber glücklicherweise nicht so in den Vordergrund, dass es die ideenreiche Story beeinträchtigen würde. Lesenswert.

Freitag, 28. Oktober 2011

Hugo Bettauer: Der Frauenmörder

Ein Kriminalroman aus den Zwanzigerjahren. Ein erfolgloser Schriftsteller täuscht einen Fünffachmord vor, um Publicity zu erhalten. Es wäre eine nette Geschichte, ist aber keine, weil dieses allzu lehrreiche Lehrstück über die Mechanismen der Öffentlichkeit und des Literaturbetriebs zu durchschaubar und plump konstruiert ist.

 Ein zu Recht vergessenes Buch. Da hätte auch ein fünffacher Mord nichts geholfen.

Montag, 17. Oktober 2011

Tschechow kann was

...bzw. konnte er was und sicher hat der gute Mann sein Leben lang auf dieses Lob von mir an dieser Stelle gewartet.... Bitteschön. Diese Buchkritik nun wird ein einziger Spoiler, denn Tschechows Krimi “Drama auf der Jagd” ist ja ebenfalls ein solcher.

Der Erzähler, der Untersuchungsrichter Sergej, kostet es nämlich aus, Leser zu haben, die er auf die Folter spannen kann - auch wenn er es (bewusst?) ungeschickt anstellt. Auf Seite 91, die Hälfte des Buches ist schon vorbei und bisher war vor allem von echt russischen Wodkagelagen im Hause eines Grafen die Rede, schreibt er: Der Prolog ist zu Ende, das Drama beginnt.

In dieser dramatischen Welt wimmelt es von wunderbar skurrilen Figuren wie dem herrischen Diener Polykarp. “Dass mir das nicht noch einmal vorkommt, Sergej Petrowitsch“, raunzt er seinen Herrn nach einem Damenbesuch an, “ich wünsche das nicht.”

Durch und durch verdorben ist der Graf, der nach und nach alles ausspricht, was Sergej wünscht und denkt, der schamlos jeder Frau nachstellt. “Niemand aber hätte geglaubt, dass der knabenhafte Eroberungsversuch einige der beteiligten Personen in den sittlichen Niedergang, in den Tod und gar ins Verbrechen treiben sollte.” Einer von den zahllosen epischen Vorverweisen, mit denen der Erzähler Sergej seine Leser bei der Stange halten will.

Jeder begreift sehr schnell, wo der Hase läuft, der “Herausgeber” (“Sag ihm, der Herr Redakteur empfängt nur sonnabends”, herrlich!) steht zwar lange auf dem Schlauch, meldet sich aber im letzten Buchviertel lautstark mit zahlreichen Fußnoten zu Wort. Kostprobe:

“Wozu das?” “Wäre es nicht besser gewesen, solche groben Fehler vor dem Leser zu verbergen?”

Schließlich kommt es zum Showdown zwischen Erzähler und Herausgeber, wobei letzterer den Untersuchungsrichter als Mörder überführt. Der lacht nur, hat er die ganze Schau doch absichtlich abgezogen, in der Gewissheit, dass ihm niemand mehr etwas anhaben kann. Tschechow lässt den bösen Sergej mit seinen Opfern spielen und den Leser sich ärgern. Das ist ganz große Kunst.

Sonntag, 18. September 2011

Martin Suter: Allmen und die Libellen

Das ist ein sehr unterhaltsames Büchlein, in dem der Autor seinen Vorsatz eine "Hommage an den Serienkrimi" zu schreiben, ganz und gar gerecht wird. Ähnlich wie in Michael Kosers köstlicher Hörspielreihe "Professor van Dusen" gelingt es hier, mit den Klischees und bekannten Handlungsmustern zu spielen. Da geht der Slapstick ab: Wenn der Hosenträger  die tödliche Kugel abwehrt oder die Polizei den Helden genau dann  einer Verkehrskontrolle unterzieht, wenn er gerade Diebesgut auf dem Rücksitz hat.

"Da war er wieder, der Hotelmoment, den er so liebte: Aufwachen im Halbdunkel eines fremden Zimmers, und nicht wissen, wo man ist: in welcher Stadt, in welchem Land, auf welchem Kontinent. " - Das könnten Dashiell Hammett oder Raymond Chandler so geschrieben haben, Privatdetektiv Thomas Magnum würde es aus dem Off einstreuen. Der Bösewicht - der unverkäufliche weil gestohlene Kunstschätze hortet - breitet vor unserem Helden lang und breit seine Schandtaten aus. Herrlich: wie in einem echten James-Bond-Film.

Es macht Spaß, wenn ein Schelmenstück am Schluss ohne Wenn und Aber gelingt. So wie im Film "Der Clou" oder eben in diesem Buch. Als Pilot einer Seriengeschichte ist die Konstellation ideal: Ein versnobter Schönling, der zusammen mit seinem treu ergebenen Diener, der der eigentliche Strippenzieher ist, Antiquitätendieben auf die Spur kommt. Alles ist darauf angelegt, dass der maßlose Held irgendwann wieder in Geldprobleme kommt, dass er wieder verschwundene Schätze aufspüren musss…. Also dann - her mit dem zweiten Teil.

Donnerstag, 25. August 2011

Bücher als Helden

Ich mag Bücher, in denen ein Buch die Hauptfigur ist. Das Buch ist und bleibt ein faszinierendes Medium, auch wenn gestern ein recht kluger Mann in der SWR2-Sendung "Schluss mit Gekritzel" prophezeite, dass das Lesen und Schreiben als Kulturtechniken bald aussterben werden, weil sie nicht mehr nötig sind. Die Funktion, wichtige Informationen aus ihnen zu erhalten, erfüllen Bücher jedenfalls seit einigen Jahren nicht mehr exklusiv - bald werden sie auf diesem Gebiet nur noch eine winzige Nebenrolle spielen.

Dennoch: Es gibt nichts Faszinierenderes als Bücher, die die Information, die sie bergen, nicht gleich preisgeben, weil sie verrätselt und verschlüsselt sind. Zwei solche Bücher, die wirklich existieren, sind das Voynich-Manuskript und die Hypnerotomachia Poliphili. Bei beiden liegt der Verdacht nahe, dass sie eine Art Spielerei sind und gar keinen tieferen Sinn verbergen, aber alleine, dass die Möglichkeit einer geheimen Botschaft besteht, ist doch schon großartig.

Hier soll es um zwei Romane gehen, die sich um die Enträtselung der beiden Geheimnis-Werke drehen. Im Falle des Voynich-Manuskriptes ist das Michael Cordys "Genesis-Verschwörung" (2008), bei der Hypnerotomachia "Das letzte Geheimnis" (2004) von Ian Caldwell und Dustin Thomason. Vorweg: Beides keine Meisterstücke, wobei man Caldwell und Thomason fast Unrecht tut, wenn man sie mit dem hanebüchenen Unfug, den Cordy fabriziert hat, in einen Topf wirft: Da wird das Voynich-Manuskript ruckzuck identifiziert, es beschreibt den Weg zu einem energiereichen Garten Eden mit Gesundbrunnen, wohin die Helden sogleich reisen, aber von einer Truppe der Jesuiten (die es natürlich nicht leiden können, wenn es einen wirklichen Garten Eden gibt) sabotiert werden. Puff, am Schluss fliegt der Garten Eden in die Luft und das Problem ist aus der Welt.

So ähnlich endet ja auch  "Das letzte Geheimnis". Das heißt: Nicht ganz. Die Autoren lassen noch eine Hintertür offen. Zwar verbrennt auch hier alles - sogar der menschliche Protagonist mitsamt seiner Entschlüsselung des Buches. Aber es könnte auch alles ganz anders sein...

Minuspunkt von  "Das letzte Geheimnis": Es ist ein Campusroman. Wenn ich das vorher geahnt hätte, hätte ich das Buch nicht zu lesen angefangen. Die endlosen Passagen über das Leben in der Princeton-University sind, naja, ich sag mal: weniger witzig. Jeder Autor erzählt eben aus seiner Lebenswelt, und diese hier erzählen von der Uni. Und selbst das pubertierendst geschilderte US-College ist lebendiger als die dröge Lebenswelt von Leuten wie Martin Walser oder Fritz Raddatz. Trotzdem: Etwas weniger Ballast hätte das Ganze fesselnder gemacht.

Recht spannend ist dagegen der Kampf der Studenten um und gegen das Buch, das sie entschlüsseln möchten, geschildert. Ich liebe Bücher (und Filme), die ich nicht verstehe, deshalb kann ich die Lust an diesem Kampf nachvollziehen. "Meine Matratze war eine zerklüftete Bücherlandschaft", sagt der Student. Schön. Natürlich wird das Buch letzten Endes doch enträtselt und gibt erstaunlich viel Klartext preis, weist den Weg zu einer geheimen Bibliothek (herrlich)  und löst einige Morde aus (muss ja).

Der Leser erfährt einiges über die Hypnerotomachia (wohingegen er bei Cordy über das Voynich-Manuskript kaum Infos erhält) - auch nicht schlecht, aber natürlich nicht notwendig, siehe oben. "Das ultimative Rätselbuch", wie die New York Times im Klappentext zitiert wird, ist es trotzdem nicht.

Mittwoch, 10. August 2011

Nimmermehr

Sprach der Rabe: Nimmermehr, von William Hjortsberg. Natürlich hat mich hier der Titel angezogen. Aber - aua, aua - das Buch ist ärgerlich. Nicht, dass es grottenschlecht wäre. Ich habe es schließlich bis zum Ende durchgelesen. Aus grottenschlechten Büchern wie dem gleichzeitig begonnenen, selbstgefälligen "Ein deutscher Wandersommer" verabschiede ich mich nach wenigen Seiten.

Bei Hjortsberg (das Buch ist von 1994) geht es um den Magier Harry Houdini, den Autoren Sir Arthur Conan Coyle (für den dämlicherweise immer das Synonym "der Ritter" gebraucht wird) und eine Reihe von Morden, die im New York der Zwanzigerjahre nach dem Muster von Edgar-Allan-Poe-Krimis verübt werden.

Hjortsberg hat gut recherchiert, macht aber leider den Fehler, Wissen an unpassenden Stellen einzustreuen. Zwar nicht in dem horrenden Maße, wie es viele andere Krimiautoren tun. Dennoch: Wieso muss man überhaupt Wissen vermitteln in so einem Buch? Da geht es doch nur darum, zu zeigen, was für ein toll gebildeter Hecht der Autor ist. Was bei einem Krimi wie "Der Name der Rose" (1980!) noch anging, im Wikipedia-Zeitalter aber obsolet ist.

Auch Klischees werden in diesem Buch nicht überstrapaziert, einige Vergleiche sind sogar ganz nett: Ihre enge Samtrobe lag an ihrem Körper wie ein Wasserfilm und bildete zu ihren Füßen einen kleinen Teich." oder "Die alte Frau verschwand wie der Schatten einer Krähe, wenn sich eine Wolke vor die Sonne schiebt."

Ärgerlich ist aber - und das ist bei einem Krimi tödlich - die Handlung. Was reitet den Autor, kurz vor Schluss einen Mörder aus dem Hut zu zaubern, der bisher praktisch nicht in Erscheinung getreten ist? Der ein allzu offensichtliches Motiv hat und der zu allem Überfluss auch noch durch das Tagebuch in seinem Nachtschränkchen überführt wird, das Einträge enthält wie: "Ich erwürgte sie, und dann rannte ich und rannte und rannte, ich spürte ihr Gewicht kaum, sie lag schlaff in meinen schmächtigen Armen."

Aua, aua, aua. Oder wie der Rabe sagen würde.....

Donnerstag, 14. Juli 2011

Ghosts of Spain (Kritik vom Februar 2007)

Sehr empfehlenswert ist das Buch "Ghosts of Spain - Travels through a Country's hidden Past" vom britischen Spanienkorrespondeten Giles Tremlett (Verlag Faber&Faber). Es fasst nicht nur Geschichte und aktuelle politische Lage Spaniens sehr kompetent zusammen, sondern beschert allen Lesern, die längere Zeit in Spanien leben oder gelebt haben, unzählige "Genauso ist es"-Erlebnisse.

Was hat es mit der spanischen Sucht nach dem Neuen und der Verachtung für alles Alte und Historische auf sich? Wie verträgt sich der sprichwörtliche spanische Stolz mit dem latenten Minderwertigkeitsgefühl aller Spanier? Was hat es mit dem übertriebenen Sauberkeitswahn, der Liebe zum Lärm, der ungezügelten Bauwut, dem bedingungslosen Hierarchiedenken vieler Spanier auf sich? Warum sind Spanierinnen verrückt nach Schönheitsoperationen? Spukt der alte Franco immer noch in vielen Köpfen herum? Was treibt die Separatisten um? Wieso ist spanische Kultur ohne die verachteten Gitanos nicht denkbar?

Auf 420 informativen Seiten nimmt der Autor schlüssig zu all diesen und vielen weiteren Fragen Stellung. Er entwickelt seine eigenen Theorien, denen man folgen kann oder nicht, die aber immer von einer tiefen Sympathie für Spanien und seine Bewohner geprägt sind.

Montag, 4. Juli 2011

Der Meister des Jüngsten Tages (1923)

Von Leo Perutz. Ein Buch als Mörder und die bange Frage, wem der Leser glauben soll - darf - muss. Dem Erzähler oder dem "Herausgeber", der den Erzähler im Nachwort der Lüge, des Meineids und der Schuld am Selbstmord eines Schauspielers bezichtigt?

Ein Spiel mit dem Miterleben, dem Sich-Einlassen auf die Glaubwürdigkeit des Erzählten (zumal im Kriminalroman) und dem Mitfiebern im wahrsten Sinne - sind es Fieberträume, die der beschuldigte Rittmeister niederschreibt?

Ein Buch, dessen Autor posthum uneingeschränkte Macht über den Leser gewinnt - nicht Unvorstellbares für einen begeisterten Leser. Ein Motiv, das übrigens auch wieder in "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" auftaucht - dort ist es Tom Riddles Tagebuch.

Armand Coppens: Memoiren eines Erotica-Händlers

Es gibt Bücher, die sind noch gar nicht so alt und doch aus einer so vergangenen Zeit, dass man sich bei jedem Satz wie ein Eindringling vorkommt. Ein liebenswertes Relikt aus einer so fernen Zeit sind die "Memoiren eines Erotica-Händlers" von Armand Coppens von 1970 (!) Das war eine Epoche, in der erotische Bücher noch verboten waren, unter dem Ladentisch gehandelt wurden, ähnlich unzugänglich wie heute etwa Drogen.
Es waren aber auch noch Zeiten, in denen das Medium Buch noch eine wirkliche, existenzielle Bedeutung hatte. Heute ist solche Literatur überall und jederzeit zugänglich, allerdings fehlt der Zauber des Verbotenen, der sich damals wohl mit dem jahrhundertealten Zauber des Buches vereinte. Viele Anekdoten aus der Welt des etwas anderen Buchhandels hat Coppens sicher nur aufgeschnappt und wiedergegeben. Anderes ist amüsant, vieles bezeichnend: Für ein gutes Geschäft tut dieser Buchhändler fast alles, wie ein Drogendealer weiß er die Sucht seiner Kunden zu Geld zu machen. Das wiederum ist nicht aus der Mode gekommen.

Samstag, 2. Juli 2011

Das Seifenopern-Quartett

Ich hoffe ja immer darauf, in einem Grabbeltisch auf die große, (von mir) bisher unentdeckte Romanperle zu stoßen. Was fesselt meine Aufmerksamkeit? Schöne Buchgestaltung ist wichtig, denn es geht auch um das Produkt Buch – auch wenn dieses Vorgehen vom eigentlichen Zweck, einen inhaltlich fesselnden, hochwertigen Roman zu finden, manchmal ablenkt. Ins Buch selbst lese ich nur ganz selten hinein, und wenn, dann auch nicht am Anfang, sondern an einer beliebig aufgeschlagenen Stelle. Dabei geht es mir um den Stil, nicht um Handlung oder Story. Für diese ist der Klappentext zuständig.


Der Klappentext ist für mich der wirklich entscheidende Köder. Entweder er wirkt oder eben nicht. Manchmal habe ich damit auch schon daneben gegriffen, wenn also der Klappentextschreiber im Gegensatz zum Buchautoren ein begabter Geschichtenerzähler war, der verdichten und fesseln konnte. Nicht so im Fall von Tonino Benaquistas „Seifernopern-Quartett“, 1997 in Frankreich erschienen, 1998 auf Deutsch, seither vergessen und von mir elf Jahre später auf einem Wühltisch für einen Euro gefunden.


In diesem Fall steht da: „Drei Männer und eine Frau, gebeutelt vom Leben und beruflich am Ende, sind in einem Zimmer zusammengepfercht und schreiben eine Fernsehserie. Die einzige Bedingung des Senders: so billig und schnell wie möglich. Denn die Seifenoper, ausgestrahlt in den frühen  Morgenstunden, wird sowieso keiner sehen. Es geht dem Sender nur um die Anhebung des nationalen Filmanteils, denn wir sind in Frankreich...“ Beim Abtippen bemerke ich, dass ich diese drei Pünktchen – sie sind im Text so enthalten, affig finde. Fiel mir aber vorher nicht auf, und änderte jedenfalls nichts daran, dass mich dieser Klappentext, der dann noch weiter besagt, dass eben diese Serie zum Kult und richtig beliebt wird und damit die Probleme für das Autorengespann beginnen, erreicht hat. Ich habe das Buch also mitgenommen und diesen Schritt nicht bereut.


Der Autor hatte nicht nur – wie der Klappentext beweist – eine gute Idee, sondern er hat sie auch perfekt umgesetzt. „Das Seifernopern-Quartett“ hat alles, was das Leseerlebnis ausmacht. Der Heißhunger, immer noch eine Seite umblättern zu müssen. Das verliebte Gefühl, das sich einstellt, wenn ich an einer entscheidenden Stelle Schluss mache, um das Gelesene wirken zu lassen, mir die mögliche Fortsetzung und Auflösung der Situation auszumalen und sie meinen Tag begleiten zu lassen, nur um die Lektüre dann umso gieriger wieder aufzunehmen.


Den Kunstgriff, zwei Personen-Sets auf zwei Ebenen der Realität auftreten zu lassen, ist zwar uralt. Aber hier macht er Spaß. Die Handlung, die sich die vier Autoren ausdenken ist skurril. Sie ist nicht beschrieben sondern erzählt, man blickt den Skriptschreibern also quasi über die Schultern. Diese Arbeit hat sich der Autor gemacht und das zahlt sich aus.

Fantastereien

E.T.A. Hoffmann ist großartig, schauderhauft, beklemmend, undurchsichtig, ekstatisch, keine Frage. Und er ist ein echter Theatermann.

Was liegt also näher, als sein großes Fantasiemärchen, den Gold(e)nen Topf, als Theaterstück zu inszenieren? Ein Schuss Tim Burton, eine Prise tschechischer Märchenfilm, viel Ausstattung und Musik - voilà.

Allein: Da sind nicht nur die schaurigschönen Figuren, die das Märchen bevölkern - das runzlichte Apfelweib, die verwunschene Schlange Serpentina mit den blauen Augen, der biedermeierfeiste Konrektor Paulmann, der irrlichternde Student Anselmus, der gandalfeske Alchimist Lindhorst.Da sind auch auf beinahe jeder Buchseite ausschweifende Gedankengänge und Sinnierereien eines Erzählers zum Großen Ganzen à la

Versuche es, geneigter Leser, in dem feenhaften Reiche voll herrlicher Wunder, die die höchste Wonne sowie das tiefste Entsetzen in gewaltigen Schlägen hervorrufen, ja, wo die ernste Göttin ihren Schleier lüftet, dass wir ihr Antlitz zu schauen wähnen – aber ein Lächeln schimmert oft aus dem ernsten Blick, und das ist der neckhafte Scherz, der in allerlei verwirrendem Zauber mit uns spielt, so wie die Mutter oft mit ihren liebsten Kindern tändelt – ja! in diesem Reiche, das uns der Geist so oft, wenigstens im Traume aufschließt, versuche es, geneigter Leser, die bekannten Gestalten, wie sie täglich, wie man zu sagen pflegt im gemeinen Leben, um dich herwandeln, wiederzuerkennen.

Würde man jedem Autoren um die Ohren hauen."Orientalischen Schwulst" würde es Hoffmanns Figur Paulmann nennen. Aber das ist ein Märchen und der genialische Hoffmann ist nicht Hemingway.

Er durfte das. Er konnte das. Soll aus dem Goldnen Topf ein Theaterskript werden, ist das dennoch eine gewaltige Herausforderung. Ob wir sie meistern, wird sich im November zeigen.

Demnächst mehr zum Goldnen Topf.

Lyrik einer nackten Seele

Eine Große der Dichtkunst war sie nicht, die 1984 gestorbene Tänzerin Claire Bauroff. Dafür ist ihr nun erschienener Gedichtband „Wandlung aber ist das Leben“ ein faszinierendes Stück Kunst- und Zeitgeschichte. Er ist die erste Veröffentlichung zu Bauroff, die in den Zwanzigerjahren in Berlin, Wien und München als Pantomimin und Aktmodell triumphierte. Bauroffs späte Gedichte, wohl eher als eine Art privates Tagebuch entstanden, enttäuschen, wo „Bergbäche rauschen“ und das Meer in kleinen Wellen „plaudert“ – sie fesseln aber, wo der menschliche Körper im Mittelpunkt steht, in Anspannung beim Tanz, in seinem Verfall in Krankheit und Alter.

Spannend zu lesen ist das Nachwort, das Bauroffs Rolle in der Bohème der Weimarer Republik in Dokumenten aufleben lässt. Etwa Hermann Brochs Gedicht „Die Tänzerin“. Der Wiener Philosoph und Schriftsteller erlebte eine kurze, intensive Affäre mit Bauroff. In die Kunstgeschichte ging Bauroff, die aus Weißenhorn bei Neu-Ulm stammte, als Modell für Fotografinnen wie Lotte Jacobi oder Trude Fleischmann ein. Einige Fleischmann- Fotografien sind in dem Büchlein zu sehen. Die meisten zeigen Bauroff so, wie sie das Publikum in der Berliner Scala und anderen Tanztheatern bewunderte: splitternackt. Das ähnelt jedoch weder der verklemmten Pornografie jener Zeit, noch der der unfreiwilligen Komik der frühen Nudistenbewegung, schon gar nicht dem plumpen Körperkult der Nazis.
 
Bauroff schuf in ihren Pantomimen, Performances, Stummfilmauftritten und Körperskulpturen eine selbstbewusste, heute noch bezaubernde Nacktheit, die ein Kritiker 1925 die „Lyrik des Körpers“ nannte. Er schrieb: „Ihr ganzer Körper sieht dich an: nackte Seele.“

Bernhard Hampp
(Erschienen in Schwäbische Zeitung, 20. Mai 2011 )

Das bisschen was ich lese, schreibe ich mir selbst

Tucholsky hat es richtig gemacht. Leider lese ich persönlich viel zu gerne, als dass ich auf mein eigenes Geschreibsel angewiesen sein möchte. Also: Das Passive mit dem Aktiven verbinden. An dieser Stelle werde ich deshalb Buchlobhudeleien wie auch Buchverrisse präsentieren.