Dienstag, 17. September 2019

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex

Der Pariser Schallplattenverkäufer Vernon Subutex geht erst pleite, dann stürzt er vollends ab. "Als ihn die Einsamkeit schon eingemauert hat" fliegt er  aus seiner Wohnung und kriecht unter bei flüchtigen Bekannten, alten Freunden, Frauen, die ihn besitzen wollen, Langweilern, die zu spät Nein sagen, immer entfernteren Bekannten, landet auf Platte. Auf seiner Reise trifft er auf Pseudoerfolgreiche, Kaputte, Illusionslose, wütende Rassisten, transsexuelle Pornostars, unsichere Hipster, Abgestürzte, seit kurzem nicht mehr Angesagte, erwachsene Nerds, die sich noch ernsthaft mit Rockmusik befassen, Abgehalfterte, Sadisten, Jähzornige, Fanatiker, Wütende, Hübsche, Hässliche, Obdachlose.

Über all diesen Personen, allem was sie tun und denken, kreist die Erbarmungslosigkeit: "Niemand hilft dir auf dieser Erde. Weder die Kerle, mit denen du rumhängst, noch die Tussis, die deine Freundinnen sind, auch nicht die Jungs, denen du keinen runterholen wirst." Hier gibt es keine Gnade, kein Mitgefühl, kein Interesse über die eigene Person und die eigene Neurose hinaus.

Scharf beobachtet, gut recherchiert, Sozial- und Kapitalismuskritik dabei, schön auch der Blick durch das Schlüsselloch der Hippen, wenn man sich dafür interessiert. Das erinnert schon ein bisschen an den göttlichen Jean Genet. Aber es ist auch ein bisschen l‘art pour l‘art, ein eitles Gepose um die Eleganz des Kaputten.

Subjektiv muss ich sagen, dass ich immer wieder aus dem Buch geworfen wurde, es auch mal eine Woche liegen ließ, mich teils von Seite zu Seite geschleppt habe. Einfach deshalb, weil ich es als wenig packend empfand. Es werden hier keine originellen Geschichten erzählt, mir fehlen ganz einfach die Ideen, die überraschenden Wendungen, die Spannung, der Witz. Virginie Despentes hat auch noch einen zweiten und dritten Teil geschrieben - schlecht sind die ganz sicher auch nicht.

Samstag, 14. September 2019

Andrea Wulf: Die Abenteuer des Alexander von Humboldt

Diesem besonderen Abenteuer widmet das Buch sogar Ausklappseiten: Alexander von Humboldt und seine Gefährten kraxeln auf den 6300 Meter hohen Chimborazo, der damals als der höchste Berg der Welt gilt. Trotz dünner Luft, Kälte und Verletzungen schaffen sie es bis auf 5917 Meter, dann brechen sie ab. Immerhin sind sie höher geklettert als jemals ein Mensch zuvor. Die Reisegruppe hat bereits eine abenteuerliche Flussfahrt auf dem Orinoco  zwischen Krokodile und Piranhas, die unerträgliche Hitze der Llanos  und viele weitere Strapazen hinter und noch einiges, wie den Abstieg in Mexikos Silberminen, vor sich.

Die deutsch-britische Humboldtexpertin Andrea Wulf erzählt in dieser Graphic Novel von der großen Südamerikaaeise, die der Berliner Gelehrte gemeinsam mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland von 1799 bis 1804 unternahm.

Humboldt (heute vor 250 Jahren geboren), großer Abenteurer unter den deutschen Gelehrten, neugieriger Forscher, ideenreicher Vielschreiber, akribischer Sammler und Beschreiber, der die Natur als Natur als ein lebendiges Ganzes, ein organisches Geflecht begreift, in dem alles Miteinander verbunden ist. Humboldt, von dem Goethe sagt, er lasse die Naturwissenschaften mit heller Flamme leuchten, der die Landschaft da preis "wo der Mensch den Lauf der Natur nicht stört. Der bereits vor mehr als 200 Jahren vor  Klimawandel, Monokulturen und Ausbeutung der Ressourcen warnte (so erkannte Humboldt, dass der Pegel des Valenciasees sinkt, weil um ihn herum Wälder abgeholzt wurden). Der gegen die Sklaverei Stellung bezog. Der sich privat - auch das ist mit Bildern thematisiert -  in der Gesellschaft von Männern wohler fühlte als mit Frauen. Nach dem heute Meeresströme und Pinguine benannt sind.

Die New Yorker Illustratorin Lillian Melcher hat das Buch im Collagestil gestaltet. Humboldts Originalmanuskripte, Reisetagebücher, Kupferstiche, Gemälde, Skizzen, Landkarten und präparierte Pflanzen sind mit Zeichnungen, Texten und Sprechblasen kombiniert. Das Ganze erinnert an die fantasievollen älteren Bilderbücher von Ali Mitgutsch. Dazwischen treten immer wieder die Figuren Humboldt und Bonpland auf und marschieren etwa über eine Landkarte. Leider sind sie ziemlich grob und ungeschickt gezeichnet. Diese Menschgerler könnten auch von einem Drittklässler stammen. Schade.

Und dann ist das Buch obendrein etwas zu ausführlich und in die Länge gezogen. Mit  250 großformatigen Seiten ist es deutlich zu dick und dadurch zu schwer geraten. Wer sich wirklich ernsthaft für  die Details vom Humboldts Südamerika-Reise interessiert, dem ist dieses Buch allerdings wärmstens zu empfehlen.