Lobhudeleien und Verrisse
Buchkritiken von Bernhard Hampp
Samstag, 9. September 2023
Roald Dahl: Gesammelte Erzählungen
Donnerstag, 27. Juli 2023
Michael Ende: Die unendliche Geschichte
Kaum ein Buch ist von Verfilmungen so verhunzt und beschädigt worden wie Michael Endes Unendliche Geschichte. Natürlich werden einige damals im Hype um den Film (den von 1984, die diversen Fortsetzungen sind nicht der Rede wert) auch zum Buch von 1979 gegriffen haben. Aber ungleich höher wird die Zahl derjenigen gewesen sein, die dachten: Das Buch spare ich mir, ich kenne ja den Film. Alles auch schon wieder 40 Jahre her.
Ich habe den Roman jedenfalls in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden und wieder gelesen. Und er hat mich noch mehr umgehauen als früher. Was für ein faszinierend durchkomponiertes Stück Weltliteratur! Die wohl größte Ode an die Fantasie, die jemals geschrieben wurde.
Die "Unendliche Geschichte" ist ein sprachgewaltiges, zeitloses Rätselspiel, das bewusst die Grenzen der Logik auslotet, westliche und östliche Weisheit vereint, Heldenreise und amour fou, Grimms Märchen und Washington Irving, Ilias und Parzival, Göttliche Komödie und Herr der Ringe, Hermann Hesse und Dostojewski, Jorge Luis Borges und Italo Calvino...
Während andere Werke (Harry Potters Zeitungen, in denen sich die Figuren auf Fotos bewegen, haben längst nichts Magisches mehr - obwohl, ich gebe es zu, auch Harry Potter ein großes Geschenk an die Menschheit ist) in nur wenigen Jahrzehnten Staub angesetzt haben, ist und bleibt dieses Buch hochaktuell.
Also: unbedingt (noch einmal) lesen und die Magie auf der Zunge zergehen lassen.
Dienstag, 11. Juli 2023
Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter
Das Leben der Mutter wird vom Dirigenten bestimmt: Seinem "Jungen Orchester" widmet sie ihre ganze Schaffenskraft, lässt sich benutzen, darf für eine kurze Affäre herhalten, wird vom Dirigenten, dem diese Affäre eine bedeutungslose Randnotiz ist, zur Abtreibung gedrängt. Oder nicht? Was stimmt von dem, was die Mutter an den Sohn weitergibt? Ist der Dirigent der Vater des Erzählers? Wenn nicht, warum ist von seinem wirklichen Vater an keiner Stelle die Rede? Vieles bleibt geschickt im Unklaren. Widmer schildert in starker Sprache den Verfall der Mutter, die dem Dirigenten auf Gedeih und Verderb - verfallen - ist, bis zu ihrem Selbstmord. Ein lesenswertes Stück deutscher Literatur.
Dienstag, 4. Juli 2023
Matthias Bumiller: Thorbeckes magischer Kräutergarten
Montag, 3. Juli 2023
Christine Becker: Helleborus 1485-1905
Was Autorin und Herausgeberin Christine Becker hier quasi im Alleingang und mit riesigem Aufwand zustande gebracht hat, macht sich unfassbar schön nicht nur in der Gestaltung aus. Im Text werden die Biographien von Herausgebern, Autorinnen und Verleger historischer Pflanzenbücher, aber auch Pflanzenmalern, Illustratorinnen, Kupferstechern usw. abgehandelt.
Dieser Alleingang sorgt aber auch für die kleinen Kritikpunkte, vielleicht wären mehr Lektoratsschritte nötig gewesen. In den Texten sind leider nicht alle Informationen zuverlässig. Manches doppelt sich, manches ist anscheinend kritiklos aus uralten Quellen übernommen.
Beispiele: Ein ominöses „Deutsches Museum Berlin“ wird gleich mehrmals erwähnt, ein Verleger wird als „vorbildlicher Christ“ tituliert (sinngemäß, ich will die genaue Formulierung nicht mehr suchen), statt Arts and Crafts, ist von „Art and Crafts“ die Rede. Dennoch ist dieses Buch ein echter Schatz und ein großer Gewinn für alle bibliophilen Pflanzenfreunde.
Preis bei Amazon neu: 129 Euro.
Mittwoch, 31. Mai 2023
Tana French: Grabes Grün
Das Polizistenpaar Rob und Cassie sucht in der irischen Provinz den Mördx eines kleinen Mädchens: Es wurde in einer archäologischen Ausgrabungsstätte gefunden - genau dort, wo Rob (der übrigens als Erzähler auftritt) selbst in seiner Kindheit ein furchtbares Erlebnis hatte: zwei seiner Freunde verschwanden beim Spielen spurlos, ohne, dass Rob sich anschließend an etwas erinnern konnte.
Im Laufe der Ermittlungen kommen sich die beiden Polizisten naher und entfernen sich wieder voneinander. Wer das kleine Mädchen auf dem Gewissen hat, wird leider zu schnell klar. Der Fall aus der Kindheit bleibt ungelöst.
Dienstag, 30. Mai 2023
Robert Gernhardt: Was deine Katze wirklich denkt
Nun ist es so, dass ich selbst einen Kater besitze - beziehungsweise besitzt der Kater mich... und das ist auch schon genau der Humor, der diese 13 Mini-Episoden, erzählt aus der Sicht von Gernhardts Kater Schimmi, prägt. Herrchen und Frauchen beziehungsweise "Chef und Chefin" sind nur dazu da, um Fressen hinzustellen... nach dem Fressen kommt das Fressen und ein bisschen Fressen könnte jetzt nicht schaden - stimmt ja definitiv alles, ist aber wenig originell.
Im Bezug auf kluge Sprache kann Gernhardt ohnehin niemand das Wasser reichen, aber die Genialitäten fehlen in diesen Geschichtchen. Ich glaube, die Psyche einer Katze ist dann doch tiefer und facettenreicher. Schimmi würde beipflichten.