Mittwoch, 6. November 2019

Albert Maier: Der Antiquitätenhändler

Albert Maier ist ein Schatzjäger. Seine Beute: Rares und Kurioses, Wertvolles und Geschichtsträchtiges. Wenn der Ellwanger Antiquitätenhändler nicht in seinem Laden mit Kunden über Porzellanfiguren, Bauernmöbel oder Ölgemälde fachsimpelt, dann steht er als Experte für die TV-Sendung „Bares für Rares“ vor der Kamera. Nun ist Albert Maier unter die Buchautoren gegangen. In rund 30 reich bebilderten Kapiteln verrät er eine Menge von dem Wissen, den Anekdoten und Geschichten, die sich in einem Leben als Antiquitätenjäger angesammelt haben.

Es geht durch ganz Baden-Württemberg mit dem Experten, der in den einzelnen Kapiteln gesuchte und beliebte Altertümer vorstellt: von gusseisernen Ofenplatten der Schwäbischen Hüttenwerke in Wasseralfingen und exquisitem Silberbesteck der WMF aus Geislingen über Schwarzwaldglas, Stuttgarter Bauhausmöbel, kunstvoll mit Silberfäden aus Gmünd und Keramik aus Lorch ausgestattete Rosenkränze, Gemälde von Sieger Köder, Fayencen aus Schrezheim, Märklin-Blechspielzeug aus Göppingen ... bis zum unverwüstlichen großen Steiff-Bär aus Giengen. Der Leser erfährt, dass Erhard & Söhne in Gmünd – heute als Auto-Zulieferbetrieb Teil des Magna-Konzerns – einst Aschenbecher und luxuriöse Schatullen mit Holz-Messing-Intarsien herstellte.

Die Reise durchs Antiquitätenländle wäre nur halb so unterhaltsam, würde Albert Maier dabei nicht munter aus dem Nähkästchen plaudern. Er erzählt, wie er Zeuge eines fast handgreiflichen Streit unter Gemälde-Erben wurde. Wie bei einer Nachlass-Auflösung ein Sparbuch auftauchte. Wie Kunden in seinem Laden zornig wurden, weil sie nicht glauben wollten, dass das mitgebrachte, naives Nachkriegsgemälde wertlos ist. Oder wie er einen besonderen Fund – einen geschliffenen Deckelpokal aus dem 17. Jahrhundert – stolz seiner Frau präsentieren wollte und dabei das 1000-Mark-Stück fallen ließ. Und er bedauert, dass er heutzutage auf Flohmärkten schnell als Antiquitätenexperte erkannt und daher ordentlich zur Kasse gebeten wird.

Aufgezeichnet hat Maiers Schilderungen der Fernsehjournalist Bernhard Foos. Er hat die Sprache nicht geschliffen, sondern lässt Maier so erzählen, wie man eben redet: einfach, ungekünstelt, lebensecht. Und ohne falsche Romantik: Bibeln sind wertlos, weiß Maier, selbst wenn sie 300 Jahre alt sind. Alter Schmuck wird fast immer nur zum Materialpreis angekaut. Porzellan, Zinn, Tiergemälde, Ofenplatten, Schwarzwälder Uhren – früher teuer, heute Ladenhüter.

Nebenbei schildert Maier auch seine Kindheit in Ellwangen, berichtet von der geliebten Oma, die der zum ungeliebten Rosenkranzgebet begleiten musste, von seinem Opa, dem weit gereisten „China-Michel, vom Kolonialwarenladen der Eltern und vom Palais Adelmann, wo der kleine Albert bei den Großeltern eine Klassenkameraden erstmals Barockmöbel, Gobelins, Porträtgemälden bestaunte.

Anfang der 1970-er, erinnert sich Maier, habe er in Aalen ausgemusterte Gefängnistüren kaufen können. Diese bot er in München zum Verkauf an: Sie fanden reißenden Absatz und sorgten sogar für einer Magazinstory im „Spiegel“. Beflügelt von dem Deal gab der junge Mann sein Jurastudium auf und klapperte fortan im VW-Bus die Flohmärkte ab.
Maiers Faszination steckt an. Sie macht Lust, über Flohmärkte zu streifen, in Antiquitätenläden nach Schätzen zu stöbern oder Museen in vergangene Zeiten zu reisen. Ein tolle Buch für alle Fans von Antiquitäten und Kunst, aber auch ein informatives Kompendium für alle, die an Regional- und Wirtschaftsgeschichte interessiert sind.

Albert Maier: Der Antiquitätenhändler. Auf der Suche nach verborgenen Schätzen. Aufgezeichnet von Bernhard Foos. Silberburg-Verlag. 173 Seiten. 19,99 Euro.

Erschienen in: Wirtschaft Regional, 24. Oktober 2019

Samstag, 2. November 2019

Sasha Abramsky: Das Haus der zwanzigtausend Bücher

Bücher, Dokumente, Papierstapel in jedem Raum, jeder Ecke, an jeder Wand bis zur Decke. Das ist Haus der zwanzigtausend Bücher in Hillway 5 in London. Das unscheinbare Reihenhaus, das der jüdische Gelehrte, Antiquar, Sammler, Universitätsprofessor und bibliophile Experte Chimen Abramsky (1916-2010) mit seiner Familie bewohnte. Sein Enkel Sasha hat beide - seinen Großvater und das Bücherhaus - in einer Biographie verewigt. Sie wären ohnehin schwer zu trennen gewesen.

Geboren 1916 als Sohn des berühmten Rabbiners Yehezkel Abramsky in Minsk, emigrierte Chimen Abramsky 1932 mit der Familie nach London. In größtmöglicher Opposition zu seinem frommen Vater wurde Chimen glühender Marxist, das Haus im Hillway 5 avancierte zum lebendigen Treffpunkt für kommunistische Denker. Und es füllte sich mit marxistischen Büchern. Später wandte sich Chimen vom Kommunismus ab. Nun gingen Liberale und Büchersammler im Hillway ein und aus. Und das Haus füllte sich weiter, mit kostbaren Judaica, mit Zeugnissen der riesigen schriftlichen Kultur, die jüdische Gelehrte ab dem frühen Mittelalter geschaffen haben.

Chimen Abramsky trug nicht nur persönlich eine der weltweit bedeutendsten Judaica-Sammlungen zusammen. Er arbeitete auch als Buchexperte für das Auktionshaus Sotheby's und verantwortete maßgeblich mit, dass ein Weltmarkt für seltene Judaica entstand. Auf Vermittlung seines Freundes, des Philosophen Isaiah  Berlin, wurde er Lehrbeauftragter, dann Professor für Hebräisch und Jüdische Studien am Londoner University College.

Viel mehr als heute bedeuteten Bücher in Chimen Abramskys Zeit und Welt Wissen, Erkenntnis, Zugang zu den Geschichten und den Leben anderer Menschen. Und eine Büchersammlung war (und ist zum Teil auch heute noch) viel mehr, denn: Die gesammelten Bücher konstituieren ein Leben, geben Halt, helfen, wie der Enkel schreibt, durch das "Chaos zu navigieren", möblieren die eigene geistige Persönlichkeit.

Eine solche Sammlung geht normalerweise mit dem Sammler unwiederbringlich verloren. Nicht so hier. Denn Sasha Abramsky hat dieses mittlerweile längst ausgeräumte Bücherhaus mit seinen Zimmern und den Büchern darin selbst in einem Buch - und damit einer Zeitkapsel - verewigt. Das Werk ist somit gleichzeitig eine Biographie und eine Bibliographie, ein unvollständiger Bibliothekskatalog in Prosa. Zwar sind besondere Stücke nur vereinzelt beschrieben, wohl aber gibt Abramsky in die Welt der vom Großvater verehrten Denkern wie Moses Mendelssohn oder Baruch Spinoza, stellt Druckerpioniere wie Daniel Bomberg und zahlreiche jüdische - auch marxistische - Gelehrte und Philosophen vor.

Jedes Kapitel ist einem Zimmer und den Büchern darin gewidmet, dem Wohnzimmer, dem Schlafzimmer, der - natürlich mit Bänden vollgestopften - Diele. In der Küche widmet sich Abramsky seiner Großmutter Miriam - Sozialarbeiterin, ebenfalls in jungen Jahren Marxistin - die er aber ausschließlich in ihrer Rolle als Gastgeberin und Köchin preist. Offenbar war sie selbst darauf besonders stolz, und ihre Gastfreundschaft, die dem Haus erst seinen Zauber verliehen habe, wird vom Enkel ja auch über den grünen Klee gelobt.

Es wird klar, dass es Abramsky sehr an Vollständigkeit gelegen ist. Er lässt nichts aus, rekapituliert die Familiengeschichte, nimmt langen Anlauf - der Leser muss deshalb mit vielen Längen leben. Manche Kapitel sind dann wieder wunderbare Perlen: etwa jenes über das obere, mit bibliophilen Kostbarkeiten aus Jahrtausenden jüdischer Geschichte vollgestopfte obere Wohnzimmer.

Ein lesenswertes Essay von Philipp Blom über "Bibliomanie und Emigration" als Nachwort rundet die deutsche Ausgabe ab.