Dienstag, 25. Oktober 2016

Erlend Loe: Die Tage müssen anders werden, die Nächte auch

Ein Schatz von Buch aus dem Jahr 1996. Treffender norwegischer Originaltitel: "Naiv. Super." Der 25-jährige Ich-Erzähler verliert nach einer Niederlage im Crocket allen Lebensmut, schmeißt das Studium hin, gibt seine Wohnung auf und lässt alle Gewissheiten sausen. Einfühlsam und knapp erzählt, wie in einem guten Kinderbuch, tastet sich der junge Mann von Neuem an sich selbst heran. 
Er hütet die Wohnung seines verreisten Bruders. Er macht Listen: von Dingen, die er als Kind mochte oder die ihn glücklich machen könnten. Er kauft sich einen Ball, den er stundenlang an die Hauswand wirft, später ein eintöniges Nagelbrett-Spiel der Firma Brio, das ihn ebenfalls tagelang beschäftigt.

Leider findet er zufällig auch ein Buch über Quanten- und Relativitätstheorie, die Unmöglichkeit der Zeit und die Unendlichkeit des Weltalls des Physikers Paul Davies. Das gibt ihm doch arg zu denken. In einer E-Mail stellt er Davies all die Fragen, die ihn umtreiben. Der Professor bleibt eine Antwort schuldig.

Man fragt ihn, ob er schon mal erwogen habe, weniger zu denken: "Ich sage, das erwäge ich täglich, aber es ist gar nicht so leicht." 

Besser geht es definitiv ohne das Buch. Er unterhält sich mit lange Børre, dem aufgeweckten kleinen Jungen aus der Nachbarschaft. Er ruft ein Mädchen an, das ihm gefällt. Er schreibt Faxe (wir sind im Jahr 1996) an einen Freund im Norden. 

Als Höhepunkt nimmt er die Einladung seines Bruders nach New York an. Er entdeckt, was gut und wichtig ist: Wasser, Bäume, Mädchen, Brüder und so einiges mehr. Es hätte auch irgendetwas anderes sein können. Weniger Weltall, mehr Børre. Tut gut, das zu lesen.





Montag, 3. Oktober 2016

Hannes Stein: Der Komet




Was wäre, wenn der österreichische Thronfolger Franz-Ferdinand 1914 nach dem ersten Attentatsversuch in Sarajewo einfach umgekehrt und nach Hause gefahren wäre? Dann hätte es, so die Version in diesem Roman aus dem Jahr 2013, keinen Ersten und keinen Zweiten Weltkrieg gegeben, die k.u.k.-Hauptstadt Wien wäre politisches und kulturelles Zentrum der Welt, in ganz Europa gäbe es blühende jüdische Gemeinden, der Mond wäre eine deutsche Kolonie, die USA eine unbedeutende Republik der Cowboys und Hinterwäldler, Anne Frank Nobelpreisträgerin, der Almdudler das weltweit beliebteste Getränk...

Schauplatz der Handlung ist das Wien der Jetzt-Zeit, wo sich zwischen Klapprechnern, Elektropost und tragbarem Telefon folgendes zuträgt: Der Student Alexej und die Frau des Hofastronomen Dudu Gottlieb, Barbara, haben eine Affäre, während der Gatte auf dem Mond weilt und dort entdeckt, dass ein Komet auf die Erde zurast. Als wäre das alles nicht schon langweilig genug, explodiert der Komet kurz vor dem Auftreffen und verschont die Erde, wo sich die Angehörigen aller Religionen vor Harmonie und gegenseitigem Verständnis nicht mehr einkriegen.

Klar: Stein geht es nicht um eine Handlung, sondern er möchte sein Utopia entwerfen, das aber in seiner aufgesetzten Wiener Seligkeit weder stringent, noch hintersinnig-wienerisch-humorvoll, sondern einfach nur platt und klischeehaft gezeichnet ist. In fast jedem Satz wird auf plumpeste Art und Weise irgendein Wissen vermittelt. Manchmal hat der Autor dabei wohl das Bändchen "Österreichisch für Touristen" zu Rate gezogen, um das Ganze so richtig original klingen zu lassen. Es klingt aber dann so richtig deppert:

 "Er hatte ein Wiener Schnitzel von enormen Ausmaßen verzehrt und hatte dabei die Neue Freie Presse durchgeblättert, er hatte ein Achterl und dann noch ein Achterl vom Blauen Zweigelt getrunken und im Prager Tagblatt geschmökert; er hatte den Pester Lloyd studiert und einen großen Braunen getrunken, er hatte Marillenpalatschinken mit Schlagobers vertilgt und die Morgenzeitung gelesen; quasi als Nachgedanken schickte er einen Slibowitz hinterher."

Was wäre passiert, wenn der Thronfolger in Sarajewo umgekehrt wäre? Dann hätte halt es halt einen anderen Auslöser für den Ersten Weltkrieg gegeben. Meine Meinung.