Mittwoch, 13. Dezember 2023

William Somerset Maugham: Der Magier

Von 1908. Der widerliche Landadelige Oliver Haddo schnappt dem rechtschaffenen aber reichlich hölzernen Arzt Arthur Burdon die Verlobte Margaret weg -  mutmaßlich, um sie für ein obskures Ritual schwarzer Magie zu opfern. Er benötigt, so Arthurs Verdacht, das Blut einer Jungfrau, um einen Homunculus zu erschaffen.

Die ihm treu ergebene Susie und den in Alchimie bewanderte französischen Arzt Porhoët im Schlepptau, macht sich Arthur aus Paris auf zu Haddos englischem Landsitz, um Margaret zurückzugewinnen...

Die Handlung und der allzu offene Schluss sind - na ja. Trotzdem ein schöner früher Parapsychologie-Schocker mit allen nötigen Zutaten, Geister- und Totenbeschwörung, Hypnose und Telekinese, brodelnde Säuren in Phiolen, hysterische Schreie und unerklärliche Vorahnungen, manch versteckte Ironie... doch, insgesmat lesenswert.

Mittwoch, 15. November 2023

Dror Mishani: Vertrauen. Ein Fall für Avi Avraham.


Ein solider, gut konstruierter Krimi mit spannenden Momenten. Nicht gerade haarsträubend plump, wenn auch kein meisterlicher Pageturner.

Polizeioberinspektor Avraham Avraham arbeitet sich in Tel Aviv an kleinen, unbedeutenden Vorkommnissen an. Ein Tourist ist aus seinem Hotel verschwunden, ohne seine Zimmerrechnung zu bezahlen. Ein Baby ist vor einem Krankenhaus ausgesetzt worden.

Kleinigkeiten, Avraham verbeißt sich dennoch. Er interessiert sich für das scheinbar Unbedeutende, die kleinem Unstimmigkeiten, die zu großen kriminalistischen Rätseln werden, aber auch für die kleinen Leute, die den Großem ins Getriebe geraten und dafür bezahlen müssen. War der vermeintliche Tourist, der wenig später tot aus dem Fluss gezogen wird, wirklich ein Drogenhändler? Oder arbeitete er für den Mossad, wie seine Tochter meint? Avraham gibt sich bis zum Schluss nicht mit den einfachen Lösungen zufrieden. Das offene Ende leitet womöglich auf einen weiteren Teil der Krimi-Reihe über.

Das Buch bietet gerade Israel-Fans viel Lokalkolorit, beobachtet den israelischen Alltag, analysiert eine gespaltene, friedlose (derzeit leider sehr aktuell!) Gesellschaft und zählt damit unter den so beliebten landestypischen Krimis zu den besseren.

Sonntag, 29. Oktober 2023

Gianni Celati: Erzähler der Ebenen

 

Wieso habe ich diese wundersame Geschichtentruhe, die seit Jahrzehnten in meinem Regal schlummert, einst von der Stadtbibliothek ausrangiert und von mir gekauft wurde, zwischenzeitlich in meinem Haus halb verbrannt ist, erst jetzt geöffnet? 

Besser spät als nie. Celati schrieb Anfang der Achtziger diese Geschichten auf, die ihn von Bewohnern der Po-Ebene erzählt wurden. Gute sind dabei, mittlere und schlechte. Von Menschen, die sich ausnutzen und über den Tisch ziehen lassen, von Menschen, die auf Kosten ihrer Eltern leben und als Glücksritter in der Welt unterwegs sind, von einem einsamen Mann, der in allen Büchern seiner Bibliothek per Hand den Schluss korrigierte, um sie glücklich enden zu lassen. Es geht eigentlich immer um die Anderen. 

 Diese Geschichten haben fast nie eine Pointe, keinen Spannungsbogen, keine Wendungen, keine Moral, kein Happy End. Wie Leben eben in Wirklichkeit ist oder was wie man eben vom Leben der anderen landläufig erzählt. Als Steinbruch, die Geschichten weiterzudrehen, sie als Versatzstücke eigener Erzählungen zu verwenden, ist das durchaus geeignet. Viel mehr aber auch nicht.

Wurden diese Geschichten, als sie Anfang der Achtzigerjahre aufgeschrieben wurden, als origineller empfunden als heute, da auf verschiedensten Kanälen Originelles zu finden ist? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wir sind ja heute sehr verwöhnt. Bestätigt hat sich: Wie so oft im Wagenbach-Verlag hält der Inhalt nicht mit der schönen Aufmachung mit.

Montag, 23. Oktober 2023

Sheila Heti: Reine Farbe

Drei Sorten Mensch bevölkern die Erde. Die einen stammen von Vögeln ab und betrachten die Welt von oben teilnahmslos als ästhetisches Gesamtkunstwerk. Die zweiten, die Fische, ordnen alles dem Wohlergehen des Schwarms unter. Die dritten, die Bären, lieben nur einen Menschen, den aber unermesslich. 

Sheila Hetis surreal-poetischer Roman, dessen Stil an eine nordische Saga erinnert, erzählt die Geschichte von Mira. Sie ist ein Vogel, liebt Annie, den Fisch, aber auch ihren Vater, den Bären, mit dessen Seele sie sich nach seinem Tod in das Blatt eines Baumes zurückzieht. Die Erzählweise der Kanadierin Heti sprengt die Grenzen der Logik. 

Wenn Sie es lieben, Sätze wieder und wieder zu lesen, sie auf der Zunge zergehen lassen, dazwischen die eigenen Gedanken wandern lassen, dann lesen Sie dieses magisch-philosophische Sprachkunstwerk. Sonst lassen Sie die Finger davon.



Erschienen in Schwäbische Post / Gmünder Tagespost, 20. Oktober 2023

Samstag, 9. September 2023

Roald Dahl: Gesammelte Erzählungen

Keiner, der selbst Geschichten schreibt, kommt an Roald Dahl vorbei.

Seine Handlungen sind ebenso zeitlos wie die Typen, die durch eine undurchdringliche Welt schlurfen: die ewigen Verlierer, denen ihre kleinen Betrügereien über den Kopf wachsen, die viel mehr lostreten, als sie wollen, deren ausgeklügelte Pläne nicht aufgehen, weil die andere  eben auch mit gezinkten Karten spielen, weil die anderen eben noch gerissener oder auch noch dümmer sind - und gerade deshalb gewinnen. 

Dahls Geschichten aus den Vierziger- bis Sechzigerjahren - in diesem Band sind alle versammelt - zelebrieren das „Was wäre wenn“. Selbst die dümmstmögliche Option tritt ja auch in der Realität irgendwann einmal ein, das weiß jeder, der lange genug lebt.

Manchmal dreht sich mit einem einzigen Satz die gesamte Handlung ins Gegenteil. Fast immer ist ein Sprichwort, wie das von der Grube, in die man selbst hinein fällt, das den Plot schon vorwegnimmt.

Sie wollen das Geschäft ihres Lebens machen oder beim illegalen Pferderennen den Jackpot knacken, den Pelzmantel heimlichen Liebhabers verstecken, Fasanen mit Betäubungsmitteln wildern, unmögliche Wetten gewinnen oder eine spottbillige Unterkunft beziehen, sie sind Rattenfänger, Bienennarr, Taxidermistin, sadistische Ehefrau und unterwürfiger Ehemann (oder umgekehrt), Eifersüchtige, radikale Vegetarier, Franz Liszts Reinkarnation als Katze, Adolf Hitlers Mutter…

Und einer entwickelt eine KI, die Geschichten schreibt. 1948!

Donnerstag, 27. Juli 2023

Michael Ende: Die unendliche Geschichte



Kaum ein Buch ist von Verfilmungen so verhunzt und beschädigt worden wie Michael Endes Unendliche Geschichte. Natürlich werden einige damals im Hype um den Film (den von 1984,  die diversen Fortsetzungen sind nicht der Rede wert) auch zum Buch von 1979 gegriffen haben. Aber ungleich höher wird die Zahl derjenigen gewesen sein, die dachten: Das Buch spare ich mir, ich kenne ja den Film. Alles auch schon wieder 40 Jahre her.

Ich habe den Roman jedenfalls in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden und wieder gelesen. Und er hat mich noch mehr umgehauen als früher. Was für ein faszinierend durchkomponiertes Stück Weltliteratur! Die wohl größte Ode an die Fantasie, die jemals geschrieben wurde.

Die "Unendliche Geschichte" ist ein sprachgewaltiges, zeitloses Rätselspiel, das bewusst die Grenzen der Logik auslotet, westliche und östliche Weisheit vereint, Heldenreise und amour fou, Grimms Märchen und Washington Irving, Ilias und Parzival, Göttliche Komödie und Herr der Ringe, Hermann Hesse und Dostojewski, Jorge Luis Borges und Italo Calvino...

Während andere Werke (Harry Potters Zeitungen, in denen sich die Figuren auf  Fotos bewegen, haben längst nichts Magisches mehr - obwohl, ich gebe es zu, auch Harry Potter ein großes Geschenk an die Menschheit ist) in nur wenigen Jahrzehnten Staub angesetzt haben, ist und bleibt dieses Buch hochaktuell.

Also: unbedingt (noch einmal) lesen und die Magie auf der Zunge zergehen lassen.

Dienstag, 11. Juli 2023

Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter

In dem 2000 erschienenen Roman des 2014 verstorbenen Schweizer Autors berichtet der Erzähler über genau dies: den Geliebten seiner Mutter. Einen Dirigenten, der es aus armen Verhältnissen zu großem Ruhm und Reichtum bringt. Während die Mutter, die dem Dirigenten lebenslang mehr als zugetan ist, aus einer gesicherten Existenz mehr und mehr ins Bodenlose stürzt.

Das Leben der Mutter wird vom Dirigenten bestimmt: Seinem "Jungen Orchester" widmet sie ihre ganze Schaffenskraft, lässt sich benutzen, darf für eine kurze Affäre herhalten, wird vom Dirigenten, dem diese Affäre eine bedeutungslose Randnotiz ist, zur Abtreibung gedrängt. Oder nicht? Was stimmt von dem, was die Mutter an den Sohn weitergibt? Ist der Dirigent der Vater des Erzählers? Wenn nicht, warum ist von seinem wirklichen Vater an keiner Stelle die Rede? Vieles bleibt geschickt im Unklaren. Widmer schildert in starker Sprache den Verfall der Mutter, die dem Dirigenten auf Gedeih und Verderb - verfallen - ist, bis zu ihrem Selbstmord. Ein lesenswertes Stück deutscher Literatur.

Dienstag, 4. Juli 2023

Matthias Bumiller: Thorbeckes magischer Kräutergarten

Nicht ganz so ausführlich wie dieses Buch zum Thema, dafür wunderbar illustriert mit Abbildungen aus alten Kräuterbüchern. Nach einer allgemeinen Einleitung über Kräuter und ihre Beschreibung in Büchern stellt Bumiller je auf wenigen Seiten eine Pflanze vor, der magische Eigenschaften zugeschrieben wurden und werden, die in Sagen und Märchen, Religion und Aberglaube, Heilkunst und (Rausch-)Ritual eine wichtige Rolle spielt - vom Odermennig bis zur Mistel, von der Herbstzeitlosen bis zum ominösen Boramez. 

Die Illustrationen stammen zumeist aus der Inkunabelzeit oder dem 16. Jahrhundert, sind also Holzschnitte. Aber auch von Kniphofs Naturselbstdrucken sind einige abgebildet.

Montag, 3. Juli 2023

Christine Becker: Helleborus 1485-1905

Untertitel: „Botanische Darstellungen, wissenschaftliche Illustrationen & Biographien.“ Dieses großformatige, unendlich liebevoll und detailreich gestaltete Werk versammelt mehr als 150 Darstellungen der Pflanze Helleborus (bekannt als Christrose) aus fünf Jahrhunderten - begonnen mit der Erfindung des Buchdrucks - und bietet darüber hinaus einen reichhaltigen Textteil.

Was Autorin und Herausgeberin Christine Becker hier quasi im Alleingang und mit riesigem Aufwand zustande gebracht hat, macht sich unfassbar schön nicht nur in der Gestaltung aus. Im Text werden die Biographien von Herausgebern, Autorinnen und Verleger historischer Pflanzenbücher, aber auch Pflanzenmalern, Illustratorinnen, Kupferstechern usw. abgehandelt.

Dieser Alleingang sorgt aber auch für die kleinen Kritikpunkte, vielleicht wären mehr Lektoratsschritte nötig gewesen. In den Texten sind leider nicht alle Informationen zuverlässig. Manches doppelt sich, manches ist anscheinend kritiklos aus uralten Quellen übernommen. 

Beispiele: Ein ominöses „Deutsches Museum Berlin“ wird gleich mehrmals erwähnt, ein Verleger wird als „vorbildlicher Christ“ tituliert (sinngemäß, ich will die genaue Formulierung nicht mehr suchen), statt Arts and Crafts, ist von „Art and Crafts“ die Rede. Dennoch ist dieses Buch ein echter Schatz und ein großer Gewinn für alle bibliophilen Pflanzenfreunde.

Preis bei Amazon neu: 129 Euro.

Mittwoch, 31. Mai 2023

Tana French: Grabes Grün

Auf dem Klappentext dieses Buches loben namhafte Journalistx es als „einen der spannendsten, subtilsten und sprachlich ausgefeiltesten Kriminalromane des Jahres“ (2007), „packend“, „Kriminal-Literatur“, das „Beste, was in diesem Jahr auf den Krimi-Markt gekommen ist“. Hm. Die fast 700 Seiten haben mich nicht überzeugt. Zugegeben, er ist nicht schlecht geschrieben, aber er lohnt sich nicht, zu langatmig, wenig Spannung, zu vorhersehbar. Einfach ein typisch durchkonstruierter Regionalkrimi.

Das Polizistenpaar Rob und Cassie sucht in der irischen Provinz den Mördx eines kleinen Mädchens: Es wurde in einer archäologischen Ausgrabungsstätte gefunden - genau dort, wo Rob (der übrigens als Erzähler auftritt) selbst in seiner Kindheit ein furchtbares Erlebnis hatte: zwei seiner Freunde verschwanden beim Spielen spurlos, ohne, dass Rob sich anschließend an etwas erinnern konnte. 

Im Laufe der Ermittlungen kommen sich die beiden Polizisten naher und entfernen sich wieder voneinander. Wer das kleine Mädchen auf dem Gewissen hat, wird leider zu schnell klar. Der Fall aus der Kindheit bleibt ungelöst. 


Dienstag, 30. Mai 2023

Robert Gernhardt: Was deine Katze wirklich denkt

Robert Gernhardt gehört zweifellos zu den größten deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, auch wenn er im Lauf seiner Karriere manches, naja, Überflüssige fabrizierte. Zu Letzterem gehört dieses vom Meister launig illustrierte Büchlein von 1996.

Nun ist es so, dass ich selbst einen Kater besitze - beziehungsweise besitzt der Kater mich... und das ist auch schon genau der Humor, der diese 13 Mini-Episoden, erzählt aus der Sicht von Gernhardts Kater Schimmi, prägt. Herrchen und  Frauchen beziehungsweise "Chef und Chefin" sind nur dazu da, um Fressen hinzustellen... nach dem Fressen kommt das Fressen und ein bisschen Fressen könnte jetzt nicht schaden - stimmt ja definitiv alles, ist aber wenig originell.

Im Bezug auf kluge Sprache kann Gernhardt ohnehin niemand das Wasser reichen, aber die Genialitäten fehlen in diesen Geschichtchen. Ich glaube, die Psyche einer Katze ist dann doch tiefer und facettenreicher. Schimmi würde beipflichten.

Montag, 22. Mai 2023

Laurent Gaudé: Der Tod des Königs Tsongor

Hört sich seltsam an, ist aber das beste Schlachtenepos, das ich jemals gelesen habe. Erschienen 2002, erzählt dieser Roman von Tsongor, der rücksichtslos ein riesiges (afrikanisches?) Reich erobert, größtes Ansehen genießt, Schätze anhäuft, vier Söhne und eine Tochter hat. 

Dann jedoch ergibt sich ein unlösbarer Konflikt - zwei Männer wollen die Hand von Tsongors Tochter Samilia und sind bereit, Krieg um sie zu führen. Dieser ausweglosen Situation will der alte Tsongor entkommen, indem er sich selbst tötet. Doch sein Leichnam findet keine Ruhe und wird Zeuge, wie die blutige Saat, die er selbst mit seinen Eroberungsfeldzügen gesät hat, aufgeht und alles verschlingt, was ihm etwas bedeutet hat: Es bleiben nur noch Tod und Zerstörung und viele in schöner, episch-biblischer Sprache erzählte philosophische Gedanken über Zeit, Freiheit, Schuld und Hoffnung.

Mittwoch, 26. April 2023

Guillaume Musso: Und appartement à Paris

 

La vérité, c‘était parfois l‘histoire d‘une demi-seconde, surtout quand vous allez la chercher si loin...


...ich habe beim Lesen ja immer gehofft, dass jetzt mit einem Schlag eine vollkommen, eine komplett andere Wahrheit ans Tageslicht kommt, in einem Halbsatz nur, aber der große Knalleffekt ist diesmal ausgeblieben. Macht nichts, dieser Thriller von Guillaume Musso ist trotzdem von der ersten bis zur letzten Seite spannend, originell und durchdacht.

Witzigerweise habe ich das Buch in Paris (im modernen Antiquariat Book off in der Rue St. Martin, das leider zu seinem Nachteil umgestaltet wurde - Vorher-Nachher-Bilder auf meinem Instagram-Account bernhardhampp) gekauft, während einer Reise, bei der ich zweimal Opfer von Doppelbuchungen in Pensionen wurde: Genauso geht es den beiden Hauptfiguren in Un appartement à Paris: Eine ausgebrannte NewYorker Ex-Polizistin und ein missmutiger Theaterautor buchen ein und dasselbe Luxusappartement in der Rue Montparnasse.

Keiner von beiden will auf das Appartement verzichten, das einst dem gefeierten, aber früh verstorbenen Maler Sean Lorenz gehörte. Dabei tauchen beide in Lorenz' Lebensgeschichte ein, immer tiefer, erfahren von dessen entführtem Sohn, decken Ungereimtheiten auf und machen sich schließlich gemeinsam auf die Suche. 

Gaspard, der Theaterautor, weigert sich, ein Handy zu benutzen - ein schöner Kniff des Autors: Er muss im echten Leben recherchieren. Madeline, die Ex-Polizistin, müsste sich direkt nach dem Eingriff in der Kinderwunschklinik eigentlich schonen... aber wie soll das gehen? Unter den zahlreichen literarischen Anspielungen sind besonders diejenigen auf Goethes Gedicht vom Erlkönig sehr gelungen.

Donnerstag, 13. April 2023

Hermann Joseph Roth: Schöne alte Klostergärten

Erschienen 1996. Herzstück des Buches ist ein wirklich lesenswerter Essay des Natur- und Kulturwissenschaftlers Hermann Josef Roth, selbst Zisterzienser. Er stellt allgemeine Betrachtungen über das Verhältnis von Pflanze und Mensch seinen Ausführungen über die Entwicklung der Klostergärten vom Mittelalter bis zur Barockzeit voran. Alles, was an Zeugnissen von der Gartenkultur der Mönche und Nonnen erhalten ist - der Klosterplan von St. Gallen, der Plan des Kölner Dominikaners und Universalgelehrten Albertus Magnus, der selbst mit Pflanzen experimentierte, das Kräutergedicht des Reichenauer Abtes Wahlafrid Strabo oder das Kräuterbuch des früheren Kartäusers Otto Brunfels - stellt der Autor vor.

Gärten, das hält er fest, besitzen immer auch einen theologischen Sinn. Sie sind Raum für Betrachtung und Meditation. Den Pflanzen kommt stets religiös-symbolische Bedeutung zu - neben ihrer Nützlichkeit für die Liturgie sowie natürlich Ernährung und Heilkunde. Eine schöne Auflistung (sehenswerter) Klostergärten der in Deutschland, Österreich und der Schweiz rundet das Buch ab.

Dazu hat der Fotograf Werner Richner stimmungsvoll Klosteranlagen, Beete und bewachsene Kreuzgänge in ganz Europa eingefangen. Wirklich schade, dass die Bilder offenbar weitgehend unabhängig vom Text ausgewählt wurden und in keiner wirklichen Beziehung zu diesem stehen. Wäre es doch an einigen Stellen sehr sinnvoll gewesen, das Beschriebene bildlich vor Augen führen. 

Dienstag, 14. März 2023

Wolfgang Büscher: Heimkehr

Leider, ich muss es so deutlich sagen, eine große Enttäuschung. Reiseschriftsteller Büscher hat einen Sommer in der Waldhütte eines Wald besitzenden "Fürsten" in seiner nordhessischen Heimat verbracht.

Das Leben im und mit dem Wald ist sprachlich faszinierend eingefangen, Bilder, die Welten öffnen, Klarheit und Eleganz, die an Thomas Mann denken lassen. Hier poetischer Fichtendämmer und Waldewigkeit, dort sehr nüchterne Forstwirtschaft, Jagd, Borkenkäfer. 

Doch der Wald nimmt nur einen sehr kleinen Teil ein. Büschers Betrachtungen drehen sich um seine eigene Kindheit, den Menschen an sich, vor allem aber über den „Adel“. Der Autor hält mit seinen - in diesem Fall stockkonservativen - politischen Ansichten nicht hinter dem Berg. Wie offenbar immer

Aber hier verengt sich alles auf ein Thema: seine fast schon devote Verehrung für den "Adel" ("Fürsten" und "Erbprinzen" gibt es in Deutschland seit mehr als 100 Jahren nicht mehr). Ein Buch über diese Familie, in der NS-Zeit gar nicht so verstrickt war, wie allgemein angenommen wird, die aber hervorragende Jäger hervorgebracht hat und ihren Untertanen mildtätig zugetan ist… wollte ich eigentlich nicht lesen. Schade.

Donnerstag, 2. März 2023

Stephen King: Fairy tale

Ich muss gestehen, es war das erste Buch, das ich von Stephen King gelesen habe - aber dieser Mann hat augenscheinlich Spaß am Schreiben. Jeder, der schreibt, erlebt irgendwann Augenblicke, in denen sich alles fügt, in denen die Pointen nur zu genau zünden, wo Details dem Geschehen eine zusätzliche Ebene verleihen, die Figuren von selbst handeln. Streckenweise hat sich das hier auch auf mich als Leser übertragen. Auch wenn Fairy Tale mit fast 900 Seiten sehr, sehr dick ist. Wäre es nicht etwas kürzer gegangen? Sei’s drum. 

King erzählt von einem 17-jährigen Jungen, der mit seinem Hund auszieht, um ein unterirdisches Märchenreich vor dem Untergang zu retten. Der Autor versammelt hier scharenweise Anleihen, Anspielungen und Zitate aus Märchen, aber auch Filmen und Serien - vom Rumpelstilzchen über den Zauberer von Oz bis zum Game of Thrones. Dem Leser begegnen immer  wiederkehrende Märchenmotive - hilf einem Tier aus der Not, dann wird es sich als dankbar erweisen…

Erzählt wird hier nach allen Regeln der Kunst (oder auch nach Lehrbuch). Der Held erlebt mindestens eine Niederlage zu viel, gerät in Not, wird gefangen, muss ein Duell bestehen, flüchten, sich eine waghalsige Verfolgungsjagd liefern, verliebt sich, hat den ersten Sex, verliert Freunde und gewinnt neue… Alles ist auf eine Fortsetzung getrimmt. Und natürlich auf eine Verfilmung - die wird nicht lange auf sich warten lassen (wahrscheinlich läuft sie längst). Vieles liest sich ja auch gleich wie ein Filmdrehbuch:

„Während die Gefangenen den beiden Nachtsoldaten durch den Korridor folgten, sah ich, dass zwei Frauen und zwei Schwarze darunter waren.“ Hat da jemand gleich an die Diversity-Richtlinien gedacht?

Der Ich-Erzähler nervt anfangs dadurch, dass er ein so schrecklich braver und selbstloser Musterknabe ist. Verdämlicht dadurch, dass er ständig erwähnt, was für ein schlimmer Finger er aber doch früher war. Da hat er z.B. Briefkasten zum Explodieren gebracht. Aber, und das ist ein großer Kunstgriff: Dieser Erzähler ist in gewisser Weise unzuverlässig, was seine eigene Person betrifft. Seine leicht sadistische Ader tritt im Verlauf der Handlung unverkennbar hervor. Immerhin. So hatte ich mir das von Stephen King erwartet.

Dienstag, 31. Januar 2023

Arthur Schnitzler: Der Ehrentag

Eine meiner Lieblingserzählungen wiedergelesen und wieder fasziniert davon. Das größte und faszinierendste Geheimnis ist der Mensch - und Arthur Schnitzler ist der unbestrittene Meister des Menschlichen. 

Ein Thema, das in Literatur und Film immer wieder auftaucht, ist in dieser Erzählung von 1897 in seiner ganzen Abgründigkeit eingefangen. Eine Gruppe junger Männer hat sich einen boshaften Spaß ausgedacht: Sie engagieren eine große Zahl bezahlter Beifallklatscher, um in einer Theatervorstellung den unbedeutenden (und für seine Erfolglosigkeit stadtbekannten) alternden Nebendarsteller Friedrich Roland hochleben zu lassen. Der zynische Jux endet fatal. Jedes Wort sitzt. So muss Literatur sein.

Mittwoch, 25. Januar 2023

Harry Mulisch: Die Elemente

142 Seiten nur, aber alles drin, was ein Roman braucht: geniale Einfälle, halsbrecherische Wendungen, Liebe, Verzweiflung, Spiel mit doppeltem Boden und Scheinwelten… Scheinbar unaufgeregt plätschert die Handlung auf ein furioses Finale zu, wie eine Welle, die sich an der Oberfläche erst nur unmerklich hebt, um irgendwann mit voller Wucht zu brechen.

Der Erzähler - und das ist großartig - duzt den Leser, welcher gleichzeitig die Hauptfigur, der Werbetexter Dick, ist. Du verbringst mit deiner hübschen, aber oberflächlichen Frau und den beiden altklugen Kindern einen ereignislosen und irgendwie bedrückenden Sommerurlaub auf Kreta. Am letzten Tag kommt ein Sturm auf, und Du entschließt Dich aus einer Laune heraus, tauchen zu gehen…

Donnerstag, 12. Januar 2023

Heinrich Steinfest: Der betrunkene Berg

Katharina betreibt eine Buchhandlung in den Alpen auf 1765 Metern Höhe und verbringt den Winter, wenn der Laden geschlossen ist, alleine dort. Bei einer Wanderung findet sie einem zusammengekauerten Mann im Schnee, den sie mit in die einsame Buchhandlung nimmt. Seine Erinnerung ist ihm abhanden gekommen, erst langsam kehrt sie stückweise zurück. „Robert“ nennt sie ihn, weil sie findet, das passe zu ihm. Sie lesen sich gegenseitig aus einem Buch vor, das ein Priester - der Erstbesteiger des Berges - vor 100 Jahren verfasst hat.

Robert und Katharina geraten gemeinsam mit Linda, einer hinzugekommenen Lawinenforscherin, bei einer Gipfelwanderung in eine Wolke. Und urplötzlich werden sich alle drei über existenzielle Situationen klar, die sie verdrängt oder von denen sie nichts geahnt hatten.

„Die Natur dieser Wolke, in der alle drei gestanden hatten, war es somit gewesen, die darin Stehenden mit der Vergangenheit zu umfangen.“

Zweien geht auf, dass sie für den Tod von Menschen verantwortlich sind. Die andere spürt, dass sie schwanger ist. Und dann stürzen die beiden Frauen noch mitsamt der Bergbuchhandlung in einen tiefen Hohlraum, der sich hier seit Jahrmillionen unbemerkt unter dem Erdboden befindet. Viel Inhalt bis hierhin, es passiert etwas, Heinrich Steinfest schreibt nicht über nichts. Es sind tolle Ideen dabei.

Aaaber! Aber warum schreibt dieser Mann nur so schlecht? Oder bin ich der einzige, den dieser Stil gnadenlos nervt? Das eben genannte Zitat ist bei weitem nicht das schlimmste. Hier wuchern unfassbar viele Substantive (die mit Vorliebe auf -ung enden), kaum Verben, viel Unkonkretes, inflationär oft das Wörtchen „man“.

Einfach nur ein Satz herausgegriffen: "Bei frischem Espresso sprach man über das Ereignis, über die am Tag zuvor morgendlich abgegangene Lawine auf der Westflanke des Geländes." Geht es noch blutleerer und actionarmer?

Der Erzähler prahlt auf ärgerliche Art mit Wissen. "Nach einem ersten Gespräch und dem Fotografieren von Roberts monumentaler, an einem langen Morgen entstandener Alpendohle - deren Vorbild sich nach und nach seinem Abbild annähern würde, siehe Gertrude Stein -, betrat man das Innere des Buchladens." Was will man mir damit sagen? Gertrude Stein ist an keiner anderen Stelle Thema. 

In einem Buch findet sich eine "Fettecke à la Beuys", ein Kuss fühlt sich an wie "die Mutter aller Berührungen" und "lieferte das Gefühl vollkommener Harmonie". Klischees, Peinlichkeiten, manchmal bis zum Fremdschämen.

Meine Sache ist das nicht, wird aber ganz sicher Liebhaberinnen und Liebhaber finden. Nicht jede/r hat’s mit der deutschen Sprache.