Mittwoch, 31. Mai 2023

Tana French: Grabes Grün

Auf dem Klappentext dieses Buches loben namhafte Journalistx es als „einen der spannendsten, subtilsten und sprachlich ausgefeiltesten Kriminalromane des Jahres“ (2007), „packend“, „Kriminal-Literatur“, das „Beste, was in diesem Jahr auf den Krimi-Markt gekommen ist“. Hm. Die fast 700 Seiten haben mich nicht überzeugt. Zugegeben, er ist nicht schlecht geschrieben, aber er lohnt sich nicht, zu langatmig, wenig Spannung, zu vorhersehbar. Einfach ein typisch durchkonstruierter Regionalkrimi.

Das Polizistenpaar Rob und Cassie sucht in der irischen Provinz den Mördx eines kleinen Mädchens: Es wurde in einer archäologischen Ausgrabungsstätte gefunden - genau dort, wo Rob (der übrigens als Erzähler auftritt) selbst in seiner Kindheit ein furchtbares Erlebnis hatte: zwei seiner Freunde verschwanden beim Spielen spurlos, ohne, dass Rob sich anschließend an etwas erinnern konnte. 

Im Laufe der Ermittlungen kommen sich die beiden Polizisten naher und entfernen sich wieder voneinander. Wer das kleine Mädchen auf dem Gewissen hat, wird leider zu schnell klar. Der Fall aus der Kindheit bleibt ungelöst. 


Dienstag, 30. Mai 2023

Robert Gernhardt: Was deine Katze wirklich denkt

Robert Gernhardt gehört zweifellos zu den größten deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, auch wenn er im Lauf seiner Karriere manches, naja, Überflüssige fabrizierte. Zu Letzterem gehört dieses vom Meister launig illustrierte Büchlein von 1996.

Nun ist es so, dass ich selbst einen Kater besitze - beziehungsweise besitzt der Kater mich... und das ist auch schon genau der Humor, der diese 13 Mini-Episoden, erzählt aus der Sicht von Gernhardts Kater Schimmi, prägt. Herrchen und  Frauchen beziehungsweise "Chef und Chefin" sind nur dazu da, um Fressen hinzustellen... nach dem Fressen kommt das Fressen und ein bisschen Fressen könnte jetzt nicht schaden - stimmt ja definitiv alles, ist aber wenig originell.

Im Bezug auf kluge Sprache kann Gernhardt ohnehin niemand das Wasser reichen, aber die Genialitäten fehlen in diesen Geschichtchen. Ich glaube, die Psyche einer Katze ist dann doch tiefer und facettenreicher. Schimmi würde beipflichten.

Montag, 22. Mai 2023

Laurent Gaudé: Der Tod des Königs Tsongor

Hört sich seltsam an, ist aber das beste Schlachtenepos, das ich jemals gelesen habe. Erschienen 2002, erzählt dieser Roman von Tsongor, der rücksichtslos ein riesiges (afrikanisches?) Reich erobert, größtes Ansehen genießt, Schätze anhäuft, vier Söhne und eine Tochter hat. 

Dann jedoch ergibt sich ein unlösbarer Konflikt - zwei Männer wollen die Hand von Tsongors Tochter Samilia und sind bereit, Krieg um sie zu führen. Dieser ausweglosen Situation will der alte Tsongor entkommen, indem er sich selbst tötet. Doch sein Leichnam findet keine Ruhe und wird Zeuge, wie die blutige Saat, die er selbst mit seinen Eroberungsfeldzügen gesät hat, aufgeht und alles verschlingt, was ihm etwas bedeutet hat: Es bleiben nur noch Tod und Zerstörung und viele in schöner, episch-biblischer Sprache erzählte philosophische Gedanken über Zeit, Freiheit, Schuld und Hoffnung.

Mittwoch, 26. April 2023

Guillaume Musso: Und appartement à Paris

 

La vérité, c‘était parfois l‘histoire d‘une demi-seconde, surtout quand vous allez la chercher si loin...


...ich habe beim Lesen ja immer gehofft, dass jetzt mit einem Schlag eine vollkommen, eine komplett andere Wahrheit ans Tageslicht kommt, in einem Halbsatz nur, aber der große Knalleffekt ist diesmal ausgeblieben. Macht nichts, dieser Thriller von Guillaume Musso ist trotzdem von der ersten bis zur letzten Seite spannend, originell und durchdacht.

Witzigerweise habe ich das Buch in Paris (im modernen Antiquariat Book off in der Rue St. Martin, das leider zu seinem Nachteil umgestaltet wurde - Vorher-Nachher-Bilder auf meinem Instagram-Account bernhardhampp) gekauft, während einer Reise, bei der ich zweimal Opfer von Doppelbuchungen in Pensionen wurde: Genauso geht es den beiden Hauptfiguren in Un appartement à Paris: Eine ausgebrannte NewYorker Ex-Polizistin und ein missmutiger Theaterautor buchen ein und dasselbe Luxusappartement in der Rue Montparnasse.

Keiner von beiden will auf das Appartement verzichten, das einst dem gefeierten, aber früh verstorbenen Maler Sean Lorenz gehörte. Dabei tauchen beide in Lorenz' Lebensgeschichte ein, immer tiefer, erfahren von dessen entführtem Sohn, decken Ungereimtheiten auf und machen sich schließlich gemeinsam auf die Suche. 

Gaspard, der Theaterautor, weigert sich, ein Handy zu benutzen - ein schöner Kniff des Autors: Er muss im echten Leben recherchieren. Madeline, die Ex-Polizistin, müsste sich direkt nach dem Eingriff in der Kinderwunschklinik eigentlich schonen... aber wie soll das gehen? Unter den zahlreichen literarischen Anspielungen sind besonders diejenigen auf Goethes Gedicht vom Erlkönig sehr gelungen.

Donnerstag, 13. April 2023

Hermann Joseph Roth: Schöne alte Klostergärten

Erschienen 1996. Herzstück des Buches ist ein wirklich lesenswerter Essay des Natur- und Kulturwissenschaftlers Hermann Josef Roth, selbst Zisterzienser. Er stellt allgemeine Betrachtungen über das Verhältnis von Pflanze und Mensch seinen Ausführungen über die Entwicklung der Klostergärten vom Mittelalter bis zur Barockzeit voran. Alles, was an Zeugnissen von der Gartenkultur der Mönche und Nonnen erhalten ist - der Klosterplan von St. Gallen, der Plan des Kölner Dominikaners und Universalgelehrten Albertus Magnus, der selbst mit Pflanzen experimentierte, das Kräutergedicht des Reichenauer Abtes Wahlafrid Strabo oder das Kräuterbuch des früheren Kartäusers Otto Brunfels - stellt der Autor vor.

Gärten, das hält er fest, besitzen immer auch einen theologischen Sinn. Sie sind Raum für Betrachtung und Meditation. Den Pflanzen kommt stets religiös-symbolische Bedeutung zu - neben ihrer Nützlichkeit für die Liturgie sowie natürlich Ernährung und Heilkunde. Eine schöne Auflistung (sehenswerter) Klostergärten der in Deutschland, Österreich und der Schweiz rundet das Buch ab.

Dazu hat der Fotograf Werner Richner stimmungsvoll Klosteranlagen, Beete und bewachsene Kreuzgänge in ganz Europa eingefangen. Wirklich schade, dass die Bilder offenbar weitgehend unabhängig vom Text ausgewählt wurden und in keiner wirklichen Beziehung zu diesem stehen. Wäre es doch an einigen Stellen sehr sinnvoll gewesen, das Beschriebene bildlich vor Augen führen. 

Dienstag, 14. März 2023

Wolfgang Büscher: Heimkehr

Leider, ich muss es so deutlich sagen, eine große Enttäuschung. Reiseschriftsteller Büscher hat einen Sommer in der Waldhütte eines Wald besitzenden "Fürsten" in seiner nordhessischen Heimat verbracht.

Das Leben im und mit dem Wald ist sprachlich faszinierend eingefangen, Bilder, die Welten öffnen, Klarheit und Eleganz, die an Thomas Mann denken lassen. Hier poetischer Fichtendämmer und Waldewigkeit, dort sehr nüchterne Forstwirtschaft, Jagd, Borkenkäfer. 

Doch der Wald nimmt nur einen sehr kleinen Teil ein. Büschers Betrachtungen drehen sich um seine eigene Kindheit, den Menschen an sich, vor allem aber über den „Adel“. Der Autor hält mit seinen - in diesem Fall stockkonservativen - politischen Ansichten nicht hinter dem Berg. Wie offenbar immer

Aber hier verengt sich alles auf ein Thema: seine fast schon devote Verehrung für den "Adel" ("Fürsten" und "Erbprinzen" gibt es in Deutschland seit mehr als 100 Jahren nicht mehr). Ein Buch über diese Familie, in der NS-Zeit gar nicht so verstrickt war, wie allgemein angenommen wird, die aber hervorragende Jäger hervorgebracht hat und ihren Untertanen mildtätig zugetan ist… wollte ich eigentlich nicht lesen. Schade.

Donnerstag, 2. März 2023

Stephen King: Fairy tale

Ich muss gestehen, es war das erste Buch, das ich von Stephen King gelesen habe - aber dieser Mann hat augenscheinlich Spaß am Schreiben. Jeder, der schreibt, erlebt irgendwann Augenblicke, in denen sich alles fügt, in denen die Pointen nur zu genau zünden, wo Details dem Geschehen eine zusätzliche Ebene verleihen, die Figuren von selbst handeln. Streckenweise hat sich das hier auch auf mich als Leser übertragen. Auch wenn Fairy Tale mit fast 900 Seiten sehr, sehr dick ist. Wäre es nicht etwas kürzer gegangen? Sei’s drum. 

King erzählt von einem 17-jährigen Jungen, der mit seinem Hund auszieht, um ein unterirdisches Märchenreich vor dem Untergang zu retten. Der Autor versammelt hier scharenweise Anleihen, Anspielungen und Zitate aus Märchen, aber auch Filmen und Serien - vom Rumpelstilzchen über den Zauberer von Oz bis zum Game of Thrones. Dem Leser begegnen immer  wiederkehrende Märchenmotive - hilf einem Tier aus der Not, dann wird es sich als dankbar erweisen…

Erzählt wird hier nach allen Regeln der Kunst (oder auch nach Lehrbuch). Der Held erlebt mindestens eine Niederlage zu viel, gerät in Not, wird gefangen, muss ein Duell bestehen, flüchten, sich eine waghalsige Verfolgungsjagd liefern, verliebt sich, hat den ersten Sex, verliert Freunde und gewinnt neue… Alles ist auf eine Fortsetzung getrimmt. Und natürlich auf eine Verfilmung - die wird nicht lange auf sich warten lassen (wahrscheinlich läuft sie längst). Vieles liest sich ja auch gleich wie ein Filmdrehbuch:

„Während die Gefangenen den beiden Nachtsoldaten durch den Korridor folgten, sah ich, dass zwei Frauen und zwei Schwarze darunter waren.“ Hat da jemand gleich an die Diversity-Richtlinien gedacht?

Der Ich-Erzähler nervt anfangs dadurch, dass er ein so schrecklich braver und selbstloser Musterknabe ist. Verdämlicht dadurch, dass er ständig erwähnt, was für ein schlimmer Finger er aber doch früher war. Da hat er z.B. Briefkasten zum Explodieren gebracht. Aber, und das ist ein großer Kunstgriff: Dieser Erzähler ist in gewisser Weise unzuverlässig, was seine eigene Person betrifft. Seine leicht sadistische Ader tritt im Verlauf der Handlung unverkennbar hervor. Immerhin. So hatte ich mir das von Stephen King erwartet.

Dienstag, 31. Januar 2023

Arthur Schnitzler: Der Ehrentag

Eine meiner Lieblingserzählungen wiedergelesen und wieder fasziniert davon. Das größte und faszinierendste Geheimnis ist der Mensch - und Arthur Schnitzler ist der unbestrittene Meister des Menschlichen. 

Ein Thema, das in Literatur und Film immer wieder auftaucht, ist in dieser Erzählung von 1897 in seiner ganzen Abgründigkeit eingefangen. Eine Gruppe junger Männer hat sich einen boshaften Spaß ausgedacht: Sie engagieren eine große Zahl bezahlter Beifallklatscher, um in einer Theatervorstellung den unbedeutenden (und für seine Erfolglosigkeit stadtbekannten) alternden Nebendarsteller Friedrich Roland hochleben zu lassen. Der zynische Jux endet fatal. Jedes Wort sitzt. So muss Literatur sein.

Mittwoch, 25. Januar 2023

Harry Mulisch: Die Elemente

142 Seiten nur, aber alles drin, was ein Roman braucht: geniale Einfälle, halsbrecherische Wendungen, Liebe, Verzweiflung, Spiel mit doppeltem Boden und Scheinwelten… Scheinbar unaufgeregt plätschert die Handlung auf ein furioses Finale zu, wie eine Welle, die sich an der Oberfläche erst nur unmerklich hebt, um irgendwann mit voller Wucht zu brechen.

Der Erzähler - und das ist großartig - duzt den Leser, welcher gleichzeitig die Hauptfigur, der Werbetexter Dick, ist. Du verbringst mit deiner hübschen, aber oberflächlichen Frau und den beiden altklugen Kindern einen ereignislosen und irgendwie bedrückenden Sommerurlaub auf Kreta. Am letzten Tag kommt ein Sturm auf, und Du entschließt Dich aus einer Laune heraus, tauchen zu gehen…

Donnerstag, 12. Januar 2023

Heinrich Steinfest: Der betrunkene Berg

Katharina betreibt eine Buchhandlung in den Alpen auf 1765 Metern Höhe und verbringt den Winter, wenn der Laden geschlossen ist, alleine dort. Bei einer Wanderung findet sie einem zusammengekauerten Mann im Schnee, den sie mit in die einsame Buchhandlung nimmt. Seine Erinnerung ist ihm abhanden gekommen, erst langsam kehrt sie stückweise zurück. „Robert“ nennt sie ihn, weil sie findet, das passe zu ihm. Sie lesen sich gegenseitig aus einem Buch vor, das ein Priester - der Erstbesteiger des Berges - vor 100 Jahren verfasst hat.

Robert und Katharina geraten gemeinsam mit Linda, einer hinzugekommenen Lawinenforscherin, bei einer Gipfelwanderung in eine Wolke. Und urplötzlich werden sich alle drei über existenzielle Situationen klar, die sie verdrängt oder von denen sie nichts geahnt hatten.

„Die Natur dieser Wolke, in der alle drei gestanden hatten, war es somit gewesen, die darin Stehenden mit der Vergangenheit zu umfangen.“

Zweien geht auf, dass sie für den Tod von Menschen verantwortlich sind. Die andere spürt, dass sie schwanger ist. Und dann stürzen die beiden Frauen noch mitsamt der Bergbuchhandlung in einen tiefen Hohlraum, der sich hier seit Jahrmillionen unbemerkt unter dem Erdboden befindet. Viel Inhalt bis hierhin, es passiert etwas, Heinrich Steinfest schreibt nicht über nichts. Es sind tolle Ideen dabei.

Aaaber! Aber warum schreibt dieser Mann nur so schlecht? Oder bin ich der einzige, den dieser Stil gnadenlos nervt? Das eben genannte Zitat ist bei weitem nicht das schlimmste. Hier wuchern unfassbar viele Substantive (die mit Vorliebe auf -ung enden), kaum Verben, viel Unkonkretes, inflationär oft das Wörtchen „man“.

Einfach nur ein Satz herausgegriffen: "Bei frischem Espresso sprach man über das Ereignis, über die am Tag zuvor morgendlich abgegangene Lawine auf der Westflanke des Geländes." Geht es noch blutleerer und actionarmer?

Der Erzähler prahlt auf ärgerliche Art mit Wissen. "Nach einem ersten Gespräch und dem Fotografieren von Roberts monumentaler, an einem langen Morgen entstandener Alpendohle - deren Vorbild sich nach und nach seinem Abbild annähern würde, siehe Gertrude Stein -, betrat man das Innere des Buchladens." Was will man mir damit sagen? Gertrude Stein ist an keiner anderen Stelle Thema. 

In einem Buch findet sich eine "Fettecke à la Beuys", ein Kuss fühlt sich an wie "die Mutter aller Berührungen" und "lieferte das Gefühl vollkommener Harmonie". Klischees, Peinlichkeiten, manchmal bis zum Fremdschämen.

Meine Sache ist das nicht, wird aber ganz sicher Liebhaberinnen und Liebhaber finden. Nicht jede/r hat’s mit der deutschen Sprache.