Samstag, 29. Oktober 2022

Ein ganz besonderes Buch

Das Buch, das ich Ihnen heute vorstellen möchte, hat es in sich. Es ist zeitlos und gerade dadurch modern. Es beginnt schon mit dem fantasievollen Szenario: So etwas hat man vorher noch nie gelesen. Die Handlung sprüht vor Ideen und „Genau so ist es“-Momenten.  

In betörend schöner Sprache verfasst, sind Spannung und Lesespaß von der ersten bis zur letzten Seite garantiert. Es zieht die Leserinnen und Leser in den Bann, man lacht Tränen und ist dann wieder gepackt vom Schicksal der Figuren. Wer will nicht am liebsten persönlich ins Buch steigen, um ihnen beizustehen? Das Buch beantwortet entscheidende Alltagsfragen, sagt zuverlässig die Börsenkurse voraus und ersetzt den Gang zum Zahnarzt. Man möchte es gar nicht aus der Hand legen - gut, dass die Fortsetzung genauso perfekt ist. 

Wie das Buch heißt? Ich weiß es leider nicht. Es ist eben einfach leichter, eine Rezension zu schreiben als ein Buch. Oder kennen Sie ein solches Buch? Dann verraten Sie es mir. Bitte!


Erschienen in Schwäbische Post, 28. Oktober 2022

Freitag, 28. Oktober 2022

Camilo José Cela: Pascal Duartes Familie

Pascal Duartes Familie aus dem Jahr 1942 ist eines der Bücher, die man gar nicht weiterlesen will, weil man vor Augen hat, dass es immer schlimmer kommt. Das aber dann doch zu gut ist, es wegzulegen. 

Es ist die Geschichte von Pascual, der in einem Kaff in der Extremadura vor sich hinvegetiert, beide Kinder verliert, betrogen und misshandelt wird, genauso sadistisch und triebhaft wie der Rest seiner Familie ist, zum mehrfachen Mörder wird und schließlich auf die Hinrichtung wartend seine Memoiren verfasst.

Faszinierend: die Mitteilsamkeit in der Sprachlosigkeit. Vieles, was entscheidend wäre, lässt der Erzähler (oder aber der fiktive Herausgeber) weg. Starb Pascuals Frau wirklich plötzlich ohne sein Zutun, nachdem sie ihm gestanden hat, dass sie von einem dorfbekannten Zuhälter ein Kind erwartet? 

„In meinem Kopfe verwirren und überstürzen sich die verschiedensten Gedanken“, klagt der Gewalttäter.

Zweitens: die Ahnungen und Vorgriffe. Alles wird schlimmer, das Leben kann gar nicht anders, als erbarmungslos zuzuschlagen.

„Ein Schwarm düsterer Gedanken und unheilvoller Vorzeichen, die ich vergeblich zu verscheuchen suchte, quälte mich.“

„Das Verhängnis schreitet fort, unaufhaltsam, aber langsam, sachte und stetig wie der Pulsschlag.“

Das Dorf ist Pascuals Schicksal und sein Verhängnis. Er kommt nicht davon los. Zweimal hat er die Chance. Als er zu ersten Mal bemerkt, dass er seine Mutter umbringen, will er nach Amerika fliehen. Er schafft es bis in die Hafenstadt La Coruña, von wo aus er nach zwei Jahren wieder zur „Familie“ zurückkehrt. Und er kehrt auch wieder dahin zurück, als er nach einem ersten Gefängnisaufenthalt von drei Jahren entlassen wird.

„Als ich entlassen wurde, fand ich das Land trauriger, weit trauriger, als ich es mir vorgestellt hatte.“

„Aber eines Tages wächst das Böse über uns hinaus wie die Bäume und nimmt ganz von uns Besitz.“






Freitag, 21. Oktober 2022

Santiago Lorenzo: Wir alle sind Widerlinge

Spanien ist Buchmesse-Gastland - und das hier ist spanischer Humor por excelencia. Wie man ihn kennt aus den Filmen von Alex de la Iglesia, den Clever&Smart-Comics und natürlich dem Don Quijote: Jenem 400-jährigen Klassiker ähnelt Lorenzos moderner Schelmenroman auch im Tonfall, selbst in deutscher Übersetzung. 

Lorenzo erzählt vom handwerklich begabten, aber unbeliebten Manuel, der vor einem Missgeschick mit der Polizei aus Madrid in ein komplett verlassenes Bergdorf flieht. Dort richtet sich der 25-Jährige als genügsamer Robinson ein, bis plötzlich neureiche Banausen das Nachbargrundstück als Wochenendhaus beziehen: konsumfreudig, lärmend, primitiv. Manuel muss sich verstecken und beschließt, das Haus der widerlichen Nachbarn kreativ und gehässig zu sabotieren. 

Voller Wortspiele und -schöpfungen. Anarchisch, spanisch, gut. 

 Santiago Lorenzo: Wir alle sind Widerlinge. Heyne Verlag, 2022. 240 Seiten, 20 Euro. 

 

Erschienen in Schwäbische Post / Gmünder Tagespost vom 19. Oktober 2022