Dienstag, 27. Februar 2018

Mikael Niemi: Die Flutwelle

"Noch nördlicher, noch extremer, noch spannender", so steht es im Klappentext dieses Buches. Als ob "nördlich" ein Qualitätskriterium wäre. Aber ich verstehe schon, was gemeint ist: eiskalt, unerbittlich, kein Drumrumgerede. Ein Buch zum Frieren. Das ist hier in weiten Teilen gelungen.

Die Handlung ist schnell erzählt: In Nordschweden bricht ein Staudamm und ausgedehnte Gebiete werden von einer riesigen Flutwelle überschwemmt. Wer sich gerade hier aufhält, wird Opfer der Katastrophe: die tüddeligen Teilnehmerinnen eines Malkurses am Fluss, eine Schwangere, die mit einem Holzhaus durch die Fluten treibt, ein Autofahrer, dem sein ganzer Stolz, der Saab 9000, zur Falle wird. Das Buch wirft in seinen Kapiteln Schlaglichter auf die wechselnden Schauplätze des Unglücks.

Jeder ist auf sich gestellt, die Grenzsituation weckt das Tierische im Menschen. Wozu sind wir fähig? In gleich zwei Szenen werden Sterbende vergewaltigt, Menschen kämpfen, töten und lassen sterben.

Nun entsteht Spannung nicht alleine durch die Beschreibung von Menschen, die in Extremsituationen um ihr Leben kämpfen. Dafür sind besondere Wendungen, Geschichten, nötig. An manchen Stellen gelingt es Niemi, solche Geschichten zu erzählen, an anderen nicht. Stories, die mitreißen: der Hubschrauberpilot, der sich eigentlich umbringen will, dann aber mit seiner wütenden Ex-Frau als Passagierin über die Sintflut fliegt. Die Mutter, die eine halsbrecherische Reise auf sich nimmt, um ihre Tochter aus der Gefahrenzone zu holen, und die schließlich vor der Haustür, während die Tochter im Obergeschoss die Flutwelle einfach verschläft.

Weite Passagen setzen aber bloß auf Effekt, wollen ein möglichst spektakuläres Flut-Kino erzeugen. Dabei nimmt ihnen die stetige Wiederholung viel von der Dramatik. Im Ganzen aber ist es ein packendes Buch.

Freitag, 23. Februar 2018

Hakan Nesser: Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Dieser schwedische Klassiker hat einen Platz unter meinen Top-Ten-Krimis verdient. Er ist faszinierend sommerleicht und bleischwer zugleich, so wie das Leben eben oft gleichzeitig glücklich und traurig ist.

In den Sechzigerjahren verbringen der 14-jährige Erik und sein gleichaltriger Freund Edmund ihre Ferien im "Genezareth" genannten Sommerhaus am Möckeln-See. Als Dritter ist Eriks großer Bruder Henry, der an einem existenziellen Roman schreibt, mit im Haus. Eriks krebskranke Mutter liegt im Sterben, Edmunds alkoholkranke Mutter ist auf Entziehungskur.

Trotzdem verbringen die beiden einen Sommer, so unbeschwert, wie es nur geht. Sie denken sich Geschichten aus, fahren Ruderboot, bauen einen Badesteg, knacken einen Kaugummiautomaten und essen Eis im Vergnügungspark. Im Vergnügungspark werden sie auch Zeugen, wie Star-Handballer Berra Albertsson, genannt Kanonen-Berra, einen Wiedersacher übelst verprügelt und noch unfair zuschlägt, als der Gegner schon im Dreck liegt.

Die Verlobte dieses skrupellosen Kanonen-Berra ist die bildhübsche Lehrerein Ewa Kaludis - Erik fällt sofort die Ähnlichkeit zu US-Filmstar Kim Novak ("Vertigo") auf. Alle Schüler, natürlich auch Edmund und Erik, sind unsterblich in Ewa verliebt. Ewa aber beginnt eine heimliche Beziehung mit Eriks Bruder Henry im Sommerhaus Genezareth, die den Jungs nicht verborgen bleibt.

Eines Tages wird Kanonen-Berra erschlagen auf einem Waldweg nahe dem Sommerhaus gefunden. Wer der Mörder war, bleibt unklar - für die Polizei und alle Beteiligten. Selbst Jahrzehnte später, als  Erik nach einer Scheidung Ewa Kaludis wieder näher kommt, bleibt dieses Rätsel bestehen.

Dass Nesser zehn Jahre nach dem Erscheinen von "Kim Novak..." ein Büchlein veröffentlichte, in dem er den Mörder bekanntgab: überflüssig. Dieser Krimi funktioniert auch ohne Auflösung. Die Atmosphäre, die atemberaubende Spannung und der leichte, aber messerscharfe Erzählton machen ihn zu etwas Besonderem.