Mittwoch, 30. April 2014

Heinz Kraschutzki - Von den Nazis für tot gehalten

Extremer hätte der Wandel nicht sein können: vom Kapitänleutnant der kaiserlichen Reichskriegsmarine zum überzeugten Pazifisten. Heinz Kraschutzki, eine der politischsten und leidgeprüftesten Persönlichkeiten aus dem Kreis der Mallorca-Exilanten, ist fast völlig in Vergessenheit geraten. Jetzt sind – übersetzt in die katalanische Sprache – erstmals seine Memoiren erschienen. 1972 hatte sich der Friedenskämpfer an seine Schreibmaschine gesetzt, unter anderem, um endgültig mit einer Legende aufzuräumen, die seine Person immer noch umrankte: Er war nicht tot. Francos Truppen hatten ihn nicht erschossen.    

Den Entschluss, die Fronten zu wechseln, fasste Kraschutzki unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, in dem der Danziger ein Minensuchboot befehligt hatte: Von nun an hielt er flammende Reden für den Frieden, organisierte Demonstrationen und gründete in Berlin die pazifistische Zeitung „Das andere Deutschland“, für die Größen der Weimarer Republik wie Kurt Tucholsky und Erich Kästner schrieben. Weil er die deutschen Aufrüstungsbestrebungen gegeißelt hatte, wurde Kraschutzki 1932 als Landesverräter angeklagt. Er floh nach Mallorca, wo sich seine Frau und seine vier Kinder bereits 1931 niedergelassen hatten. In Cala Ratjada gründete er die Fabrik „Las Estrellas“, in der mehr als 40 Frauen Körbe und Bastschuhe herstellten.    

Die Ruhe fand 1936 ein jähes Ende: Die faschistischen Truppen rollten Spanien von Süden her auf und hatten Mallorca bald unter ihrer Gewalt. Auf Geheiß des nationalsozialistischen deutschen Konsuls auf den Balearen, Johannes Dede, wurde Kraschutzki verhaftet und seine Familie nach Deutschland deportiert. Obwohl sich deutsche Nazis und die Jünger Francos – wie alte Fotografien beweisen – in Palma regelmäßig zum Umtrunk trafen, klappte ihre Kommunikation offenbar nicht reibungslos: Die Gestapo verlor Kraschutzkis Spur. Sie hielt ihn für tot. Im Volksempfänger habe Kraschutzkis Frau die Nachricht vom Tod ihres Gatten gehört, sagt der mallorquinische Übersetzer und Literaturwissenschaftler Germà Garcìa, der für die neue Veröffentlichung unter anderem einen Briefwechsel mit Kraschutzkis 82-jähriger Tochter führte. Noch 17 Jahre später behauptete Albert Vigoleis Thelen in seinem Mallorca-Schmöker „Die Insel des zweiten Gesichts“, Kraschutzki sei 1936 erschossen worden.   

Aber Kraschutzki lebte, wenn auch unter menschenunwürdigen Bedingungen. Er erlebte eine Odyssee durch die Bürgerkriegsgefängnisse Mallorcas und Lager in Formentera, Málaga, Madrid, Burgos, Gibraltar, Zaragoza und Barcelona. 1938 hatten ihn die Nazis wieder aufgespürt. Auf ihr Geheiß wurde Kraschutzki zu weiteren 30 Jahren Zuchthaus verurteilt.   

Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelang es Sympathisanten im britischen Außenministerium, die Freilassung des Friedensaktivisten zu erwirken. Nach neunjähriger Haft sah Kraschutzki seine Frau wieder, die zur Scheidung gezwungen worden war. Sein Engagement hörte nicht auf. Unermüdlich setzte er sich für Frieden und gegen Aufrüstung ein, unterstützte Willy Brandts Ostpolitik und schrieb sich mit Mahatma Ghandi Briefe. Seine alte Wirkungsstätte Cala Ratjada besuchte er immer wieder. Heinz Kraschutzki starb 1982 im Alter von 90 Jahren im Allgäu.


Info: Gefangeneninsel Mallorca

Als am 19. Juli 1936 Francos Truppen die Kontrolle über Mallorca übernahmen, brachen für die Anhänger der Republik Schreckensjahre an. Unter Federführung von Zivilgouverneur Mateu Torres Bestard und Polizeichef Francesc Barrado wurden auf der Insel hunderte politischer Gegner verhaftet. Man internierte sie u.a. im Castell Bellver, im Gefangenenschiff „Jaume I“, das im Hafen von Palma vor Anker lag, in den Forts San Carlos und Illetas sowie mehreren Gemeinde-Gefängnissen. Besonders unmenschlich sollen die Haftbedingungen im Lager Can Mir – es befand sich dort, wo heute das Kino Sala Augusta steht – gewesen sein. In einem ehemaligen Hospiz in der C/. de Sales, nahe dem Paseo del Borne, waren die Frauen inhaftiert. Ab Dezember 1936 wurden überall entlang der Küste Konzentrationslager gebaut, so in Capdellà, s’Espinegar, Port de Pollença, es Rafals dels Porcs, Sant Joan de la Font Santa, Son Catlar, Reganga, es Cap Gros, Albercutx, Port de Sóller. Als Zwangsarbeiter wurden die Gefangenen zum Beispiel beim Bau der Bahnlinie Sa PoblaAlcúdia eingesetzt.


Heinz Kraschutzki: Memòries a les presons de la guerra civil a Mallorca. Palma (Miquel Font) 2004.


Erschienen - bereits vor zehn Jahren - in Mallorca Zeitung, Nr. 213, Woche 23/2004

Montag, 28. April 2014

Gérard de Sède: Die Templer sind unter uns

Dieses Sachbuch mit dem Untertitel "Das Rätsel von Gisors" ist 1963 erschienen. Und schon damals fand der Autor den den legendären Schatz der Tempelritter. Na ja, nicht ganz. Aber er war eben nah dran. Ort des Geschehens ist die Burg von Gisors, im französischen Vexin, an der Grenze zur Normandie.

Der Journalist Gérard de Sède erzählt zu Beginn von seiner Bekanntschaft mit dem ehemaligen Gärtner und Burgführer Roger Lhomoy, der während des Zweiten Weltkrieges auf eigene Faust unter der Ruine buddelte und dabei eine unterirdische Kapelle mit Steinsärgen und Metalltruhen entdeckt haben will. Leider wurde der sagenhafte Fund von ignoranten und engstirnigen Behördenvertretern wieder zugeschüttet und bleibt bis heute verborgen.

De Sède vermutet nun, dass die Templer während der großen Verhaftungswelle 1307 ihren sagenhaften Schatz über eine alte Römerstraße von Paris zur Küste bringen wollten, um ihn über den Ärmelkanal nach England zu verschiffen. Weil sie aber in Gisors aufgehalten wurden, verbargen sie ihn in der nach geheimen Templerregeln erbauten Burg.

Ausführlich zu Wort kommt in dem Buch der "Hermetiker" Pierre Plantard, der vielen als Erfinder der Templer-Verschwörungstheorien rund um die sogenannte Prieuré de Sion gilt. In den Sechzigerjahren arbeitete er de Sède zusammen. Beide brachten schließlich in ihrem Buch "L'Or de Rennes"  die Gerüchte um Rennes le Château und das mysteriöse  Priorat auf. Damit wiederum schufen sie die Grundlage für die Verschwörungstheorien, die Lincoln, Baigent und Leigh 1982 ihrem Werk "Der heilige Gral und seine Erben" und später auch Dan Brown in seinem Thriller "Sakrileg" ausbreiteten.

Verglichen mit diesen Werken fehlt "Die Templer sind unter uns" noch der Charme, den die verblüffende Einfachheit und der Aha-Effekt dieser Theorien haben. Ist dort ein schillernde Figur wie der plötzlich zu Reichtum gelangte Dorfpfarrer Bérenger Saunière der Protagonist, muss hier noch ein durchgeknallter Gärtner herhalten. Dort ist es eine einleuchtende Verschwörungstheorie um die Nachkommenschaft von Jesus Christus und Maria Magdalena, hier sind es nur vage Spekulationen über eine Burg, die wohl nach komplizierten Sternen-Konstellationen angelegt wurde und einen Schatz, über dessen Substanz nichts weiter gesagt wird. 

"Die Templer sind unter uns"  liest sich spannend, auch wenn gegen Ende - speziell bei Plantards Ausführungen - keiner mehr durchsteigt. Die Geschichte des Templerordens ist aber sehr gut und übersichtlich zusammengefasst. Natürlich kommen auch - wie es sich für ein Werk zum Thema gehört - Hermetiker, Freimaurer, Alchimisten zu ihrem Recht.

Um noch einmal zu Burg von Gisors zu kommen: Wenn es stimmt, was meine oberflächliche Internetrecherche ergeben hat, so wurde unter der Burg offenbar bis heute nie nach der vermuteten Kapelle gegraben. Begründung: Grabungen würden die Statik der Ruine gefährden. Aber gäbe es denn heutzutage nicht - so zumindest meine laienhafte Vorstellung - andere Möglichkeiten, herauszufinden, was sich unter der Burg von Gisors verbirgt?

Freitag, 18. April 2014

Herbert Rosendorfer: Der Meister

 
"Der Meister" ist einer der letzten unter Rosendorfers zahlreichen Romanen. So zahlreich, so gut, denn der 2012 verstorbene Südtiroler wird chronisch unterschätzt und gehört mit Sicherheit zu den größten deutschsprachigen Erzählern der vergangenen Jahrzehnte.


"Der Meister" ist ein Palaver unter Freunden in einem venezianischen Restaurant. Die beiden erinnern sich an ihren früheren Freundeskreis, eine illustre Runde von Studenten der Musikwissenschaft samt Entourage.

Dazu gehören der göttliche Giselher mit seinen nicht immer fundierten, aber stets beeindruckenden Vorträgen zu allen erdenklichen Themen. Carlone, der aberwitzige Mengen isst, weil er Angst hat, zu verhungern. Die schöne und intelligente Helene Romberg, die mit Vorliebe nackt ist und deren genaue Beziehung zum ebenso tierlieben wie bauernschlauen Monisgnore Rohrdörfer - auch er eine schillernde Randfigur - nicht ganz geklärt wird. Ein kurioses Personal, das teils liebenswert, teils unausstehlich, meist beides ist.

Das gilt im Besonderen für den Titelhelden, den alle den Meister nennen, einen "linkischen, dürren, schwarzstrubbeligen Pedanten und Besserwisser", einen "leicht wurzelzwergischen, rumpelstilzigen ewigen Doktoranden", der ein besonders gefährlicher Besserwisser ist, weil er alles, wovon er spricht, wirklich besser weiß.

Bei allem Genie und unerschöpflichen Wissensschatz ist dieser Meister eine tragische Figur, die unter ärmsten Verhältnissen lebt, an panischer Prüfungangst leidet und obendrein mit Haut und Haar der vorlauten und egozentrischen Emma Raimer verfallen ist.

Ein Verleger hilft dem armen Schlucker zu einem kleinen Verdienst, indem er in Artikel für ein Musiklexikon schreiben lässt. Ab hier nimmt der Plot eine aberwitzige Wendung, wobei dem verkannten Komponisten Thremo Tofandor eine entscheidende Rolle zukommt. Aus den launigen Anekdoten heraus wuchert ein astreiner Krimi.

Wie immer bei Rosendorfer schlägt die Handlung Haken und leuchtet in jeden Winkel des Menschlichen hinein, wo dann allerhand zum Vorschein kommt. Jede Figur, und wird sie auch noch so kurz von der Handlung gestreift, zieht eine Lebensgeschichte nach sich.

"Der Meister" ist einer jener kleinen Romane, mit denen Rosendorfer sich einmal mehr selbst als Meister der Sprache und weiser Geschichtenerzähler erwiesen hat.

Mittwoch, 2. April 2014

Elke Koch: Schwäbische Alb Mitte


Frühling ist Wandersaison: Höchste Zeit, ein zu Unrecht unterschätztes Wandergebiet fast vor der Haustür zu entdecken. Der neue Führer „Schwäbische Alb Mitte“ von Elke Koch hilft dabei: Zwischen den Landkreisen Göppingen im Nordosten, Zollernalbkreis im Westen und Biberach im Süden führt das Buch ein verwunschenes Land der Burgen und Höhlen, Felsschluchten und Wacholderheiden, Albdörfer und Wallfahrtskapellen.

Die Autorin kennt sich bestens aus und macht nicht nur auf die bekannten Anziehungspunkte, sondern auch auf versteckte Kleinode und lohnende Extratouren aufmerksam. Wie wäre es mit einer Tour zum Landgestüt Marbach, einer nächtlichen Sternenwanderung zum dunkelsten Ort der Alb, einer Fahrt mit dem historischen Schienenbus „Ulmer Spatz“ oder einem Besuch bei der schönen Lau am Blautopf? Und wer kennt schon die „Onderhos“ und die „Küssende Sau“?

Zu den 30 Touren gibt es oft einfachere und kinderwagenfreundliche Varianten. Neben einer Fülle von Servicetipps und Hintergrundinformationen hält der Band vor allem für Familien ein besonderes Schmankerl bereit: Rätselfragen zu jeder einzelnen Tour machen die Entdeckungsreise über die Schwäbische Alb zu einer aufregenden Schnitzeljagd.

 Elke Koch: Schwäbische Alb Mitte. Unterwegs mit der ganzen Familie. G. Braun Verlag. 212 Seiten. 16,95 Euro.

 Erschienen in: Ipf- und Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten am 2. April 2014.