Donnerstag, 15. Dezember 2022

Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus

Das wohl meistdiskutierte Wirtschaftsbuch des Jahres. Auch, wenn es der Titel nahelegt: Es ist keine keine Streitschrift, kein „Macht Schluss mit dem Kapitalismus“. 

 Stattdessen analysiert Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der Berliner Tageszeitung taz, wie unser – historisch erfolgreiches – Wirtschaftsmodell angesichts von Erderwärmung und Klimakrise an Grenzen stößt. Sie beschränkt sich dabei auf wenige prägnante und eingängige Botschaften – und zeigt sogar einen Ausweg auf. 

Den Kapitalismus verteufeln? Nichts liegt der Autorin ferner. In einem scharfsinnigen historischen Abriss macht sie deutlich, wie erst Massenproduktion und Industrie Wohlstand für möglichst viele bescherten – und im Schlepptau politische Teilhabe und individuelle Rechte. Kapitalismus dürfe nicht als „Marktwirtschaft“ tituliert werden: Märkte und Handel habe es in der Geschichte immer gegeben. Lange, bevor im England des 18. Jahrhunderts erste Maschinen aufkamen, und sich die Art, wie wir arbeiten und wirtschaften radikal änderte.

Seitdem wächst die Wirtschaft. Sie wächst und wächst und kann gar nicht anders. Wenn sie nicht beständig wächst, drohen schwere Krisen. Der Haken: Es werden immer mehr natürliche Ressourcen verbraucht, Abfälle fallen an, Abgase belasten die Atmosphäre.


Plastisch zeigt Ulrike Hermann die Ausmaße dieser Ausbeutung unserer Umwelt auf. Die katastrophalen Folgen von Klimawandel und Erderwärmung deuten sich bereits an. Sie dürften aber noch viel schlimmer werden und alle Lebensbereiche betreffen. Also möglichst aus den fossilen Brennstoffen aussteigen und auf „grüne Energie“ umsatteln? Ja, aber das ist nicht so einfach. Solar- und Windenergie sind unbeständig und reichen nicht aus, Energiespeicher, Wasserstoffnutzung und selbst Kernenergie sind extrem teuer. Es wird, so die Autorin, deutlich weniger Energie zur Verfügung stehen. Und die wird teuer sein. „Grünes Wachstum“, das sich manche vom Umstieg von fossile auf erneuerbare Energien erhoffen, hält die Autorin für eine Illusion.

„Klimaschutz ist nur möglich, wenn die Wirtschaft schrumpft“, so eine Kernthese des Buches. Und schrumpfen bedeutet Verzicht: Flugreisen wären künftig ebenso unmöglich wie private Autofahrten– erst recht mit tonnenschweren, energieintensiven E-Autos. Weniger Fleischkonsum, kleinere Wohnungen, keine neuen Büros und Logistikzentren: Schrumpfen auf allen Ebenen wäre angesagt. Dabei gingen auch Arbeitsplätze verloren. Einige Branchen wie die Banken – sie leben von der Vergabe von Krediten, die nur zurückgezahlt werden können, wenn die Wirtschaft wächst – gingen weitgehend zugrunde. Arbeitsplätze in anderen Branchen würden zwar entstehen, allerdings wären sie lange nicht so gut bezahlt. Die deutsche Wirtschaft würde auf den Stand von 1978 zurückschrumpfen. 

Als Vorbild für ein staatlich gelenktes Schrumpfen macht die Autorin die Kriegswirtschaft Großbritanniens im und nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Die Betriebe blieben privat, aber der Staat legte fest, was produziert wurde und wer welche Rationen zugeteilt bekam. Erstaunlicherweise sei dieses Modell sogar allseits beliebt gewesen, beteuert die Autorin: Alle bekamen dasselbe, niemand fühlte sich benachteiligt. 

Hellsichtig klingt, wenn die Autorin die Menschen vor eine fatale Alternative stellt. „Entweder sie verzichten freiwillig auf Wachstum – oder die Zeit des Wachstums endet später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sind.“ Wer das liest, denkt fast unweigerlich: Dann wird wohl auf die zweite Variante hinauslaufen. So traurig es ist.

Verzicht, Schrumpfen, Kriegswirtschaft? In Demokratien sind sie nicht mehrheitsfähig und Diktaturen neigen bekanntlich dazu, die Mehrheit zum Verzicht anzuhalten, während eine kleine Clique mit Vorliebe um die Welt jettet. Schränken sich einzelne Länder ein, werden andere umso stärker zugreifen. Global werden sich die Reicheren ein "grünes Wachstum" leisten und die Kosten dafür auf die Ärmeren abwälzen. Vielleicht sind realistischere Szenarien als dieser gelenkte Verzicht möglich, ein Mix aus verschiedenen Energieformen etwa, einzelne Einschränkungen in besonders kritischen Bereichen. Aber vielleicht ist das zu halbherzig, um die Krise aufzuhalten. Prognosen sind schwierig. 

Selbst Leserinnen und Lesern, die keine von Herrmanns Thesen teilen, sei dieses Buch empfohlen. Es weitet auf überraschende Art den Blickwinkel und regt zum Weiterdenken und Diskutieren an.

 

Erschienen in Wirtschaft Regional, Dezember 2022

Sonntag, 11. Dezember 2022

Anne Glenconner: Lady Blake und das Grab im Meer

Der 2020 erschienene Erstlingsroman der 88-jährigen Britin Lady Anne Glenconner, die seit auf der 1958 auf der Privatinsel Mustique in der Karibik lebt und Hofdame von Prinzessin Margaret war, handelt von Lady Veronica Blake, einer ehemaligen Hofdame Prinzessin Margarets, die auf  der Privatinsel Mustique in der Karibik lebt und einen kniffligen Fall löst. 

Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Vielleicht damit: Es fehlt jede Spur von Ironie, kein Funken Humor. Alles ist so bierernst, als Leser fühle ich mich ständig von der strengen Lady Glenconner/Blake gemaßregelt. Aber warum denn? Sie ist doch, so betonen es alle Figuren unaufhörlich, unendlich gütig, gnädig, großzügig und gastfreundlich und trotz ihrer hohen Geburt frei von jedem Dünkel. Aber auch mutig, befreit sich aus der Gefangenschaft und überwältigt den Angreifer.

Der Roman strotzt nur so vor Klischees, und wer sich ein Spiel daraus macht, Stilblüten zu finden, kommt voll auf seine Kosten: „Doch ihre Fröhlichkeit erleidet gleich wieder Schiffbruch.“ „Sein Ärger erhöht förmlich die Raumtemperatur.“ „Seine tadellosen Umgangsformen werden der Freude, ihn als Gast in unserem Haus zu haben, das Sahnehäubchen aufsetzen.“ In jedem zweiten Satz „funkeln Augen vor Freude“, Boote sind „schnittig“, Männer „stattlich“, während Frauen „geschmeidige Bewegungen“ vollziehen. Der Butler kann es nicht gewesen sein: „Er ist uns seit Jahrzehnten treu ergeben.“ Er war es dann auch nicht.

Das Ganze ist einfach furchtbar schlecht geschrieben (und obendrein mit einigen Pannen übersetzt: Wenn jemand Respekt vor dem Meer hat und nicht zur Marine will, dann geht er zum Heer („army“), nicht zur „Armee“). Die Chance, einen Tropensturm packend zu schildern, wird uninspiriert vergeigt,

Ich hatte mir so etwas wie eine Romanversion der witzigen TV-Krimiserie Death in Paradise erhofft, eine Miss Marple in der Karibik. Aber zu allem Überfluss erweist sich dieser Krimi auch noch als extrem vorhersehbar und unschlüssig, Auf die Wendung, die alles auf den Kopf stellt und es gelohnt hätte, sich durch diesen süßlichen Brei zu fressen, habe ich vergeblich gewartet.