Mittwoch, 22. Juni 2016

Peter Härtling: Hölderlin

Ich habe mich durchgekämpft. Es war nicht immer leichte Kost, aber wer das geschafft hat, ist amtlicher Experte für das Leben des Dichters Friedrich Hölderlin. Akribisch ist untertrieben: Peter Härtling hat augenscheinlich alles recherchiert, was es zu Hölderlins Leben gab. Dokumente, Briefe, Manuskripte, Verzeichnisse, jedes Stück Sekundärliteratur, jede Lebensbeschreibung, Gemälde, Quittungen, Papierfetzen, beschriebene Bierdeckel, was weiß ich... In diesem biographischen Roman steckt der ganze Hölderlin drin - und noch mehr. Und das muss man mögen.

Die Handlung zeichnet alle Lebensstationen des Dichters nach, die Kindheit in Nürtingen, die Internatsjahre in Denkendorf und Maulbronn, die revolutionäre Phase am strengen Tübinger Stift, die erste Hofmeisterstelle beim sadistischen Sohn der Waltershausener Familie von Kalb, die unglückliche Liebe zu seiner Dienstherrin Susette Gontard in Frankfurt, die Arbeit am "Hyperion", die Stationen in Hauptwil, Bordeaux, Stuttgart und Homburg. Schließlich der geistige Zusammenbruch und die 36 letzten, umnachteten Jahre im Tübinger Turm. Und mehr, mehr, mehr.

Dieses Mehr ist das Problem. Eine Biographie hält sich nämlich entweder ausschließlich an die Fakten, oder der Autor macht einen Roman daraus, der weglässt, ergänzt, fokussiert, zuspitzt. Härtling versucht in seinem "Hölderlin" von 1976 beides, allerdings ist ihm sichtlich unwohl dabei. Warum müsste er sonst ständig thematisieren, dass er Hölderlins "Gedanken nicht nachdenken" kann, es aber dennoch unaufhörlich versucht und in einem fort psychische Regungen rekonstruiert?

"Wäre es nur so, dachte er. Sie rechnen nicht mit dieser Bitterkeit und dem Frost, der mich manchmal steif macht."

Und dann wieder thematisiert der Erzähler, dass er dieses Hineindenken eigentlich nicht darf und kann. Manchmal spielt er selbstbewusst mit dieser Marotte, tritt als auktorialer Erzähler, der bewusst die Fäden zieht in Erscheinung:

"Ich lasse den Jungen hartnäckig sein."

Manchmal geht er vorsichtig zu Werke:

"Es kann sein, dass er wieder das Gefühl hatte, von innen zuzuwachsen".

Das, nebenbei bemerkt, ist eine wunderschöne Formulierung. Von innen zuwachsen. Das Gehetzte, Getriebene, die Flucht, das Fremdsein, der Kontrast zwischen weitem Geist und beengten Verhältnissen, alles das ist eindrücklich beschrieben. Und ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass Härtling richtig liegt, wenn er das zu einem Wesenskern Hölderlins kürt.

Aber, um noch einmal zurückzukommen auf die Erzählweise: Zu oft ist die einfach nur nervig. Dieses Buch atmet den Geist der Siebzigerjahre: Du, was hat sich der Hölder dabei gedacht? Was hat das mit ihm gemacht? Lass uns darüber reden.

Aber auch ein paar Lustigkeiten sind dabei. Wenn Härtling, der selbst in Nürtingen aufwuchs, Hölderlin und Schelling in breitestem Schwäbisch über Hegel sinnieren lässt, das hat was (siehe Foto).

Alles in allem: Hardcore-Hölderlin-Fans - ich oute mich als einer - kommen auf ihre Kosten. Man könnte aber  auch gleich Hölderlin lesen ;-)

"Jede Zeit hat ihre Sprache. Diese irrt zwischen Himmel und Erde. Sie sucht nach Göttern und Geistern, baut arkadische Landschaften, modelt an einem Menschenbild, das bieder und hochfahrend in einem ist. Sie findet Wörter, Begriffe, die sich von dem lösen, was sie fassen sollen."

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