Dienstag, 31. Januar 2023

Arthur Schnitzler: Der Ehrentag

Eine meiner Lieblingserzählungen wiedergelesen und wieder fasziniert davon. Das größte und faszinierendste Geheimnis ist der Mensch - und Arthur Schnitzler ist der unbestrittene Meister des Menschlichen. 

Ein Thema, das in Literatur und Film immer wieder auftaucht, ist in dieser Erzählung von 1897 in seiner ganzen Abgründigkeit eingefangen. Eine Gruppe junger Männer hat sich einen boshaften Spaß ausgedacht: Sie engagieren eine große Zahl bezahlter Beifallklatscher, um in einer Theatervorstellung den unbedeutenden (und für seine Erfolglosigkeit stadtbekannten) alternden Nebendarsteller Friedrich Roland hochleben zu lassen. Der zynische Jux endet fatal. Jedes Wort sitzt. So muss Literatur sein.

Mittwoch, 25. Januar 2023

Harry Mulisch: Die Elemente

142 Seiten nur, aber alles drin, was ein Roman braucht: geniale Einfälle, halsbrecherische Wendungen, Liebe, Verzweiflung, Spiel mit doppeltem Boden und Scheinwelten… Scheinbar unaufgeregt plätschert die Handlung auf ein furioses Finale zu, wie eine Welle, die sich an der Oberfläche erst nur unmerklich hebt, um irgendwann mit voller Wucht zu brechen.

Der Erzähler - und das ist großartig - duzt den Leser, welcher gleichzeitig die Hauptfigur, der Werbetexter Dick, ist. Du verbringst mit deiner hübschen, aber oberflächlichen Frau und den beiden altklugen Kindern einen ereignislosen und irgendwie bedrückenden Sommerurlaub auf Kreta. Am letzten Tag kommt ein Sturm auf, und Du entschließt Dich aus einer Laune heraus, tauchen zu gehen…

Donnerstag, 12. Januar 2023

Heinrich Steinfest: Der betrunkene Berg

Katharina betreibt eine Buchhandlung in den Alpen auf 1765 Metern Höhe und verbringt den Winter, wenn der Laden geschlossen ist, alleine dort. Bei einer Wanderung findet sie einem zusammengekauerten Mann im Schnee, den sie mit in die einsame Buchhandlung nimmt. Seine Erinnerung ist ihm abhanden gekommen, erst langsam kehrt sie stückweise zurück. „Robert“ nennt sie ihn, weil sie findet, das passe zu ihm. Sie lesen sich gegenseitig aus einem Buch vor, das ein Priester - der Erstbesteiger des Berges - vor 100 Jahren verfasst hat.

Robert und Katharina geraten gemeinsam mit Linda, einer hinzugekommenen Lawinenforscherin, bei einer Gipfelwanderung in eine Wolke. Und urplötzlich werden sich alle drei über existenzielle Situationen klar, die sie verdrängt oder von denen sie nichts geahnt hatten.

„Die Natur dieser Wolke, in der alle drei gestanden hatten, war es somit gewesen, die darin Stehenden mit der Vergangenheit zu umfangen.“

Zweien geht auf, dass sie für den Tod von Menschen verantwortlich sind. Die andere spürt, dass sie schwanger ist. Und dann stürzen die beiden Frauen noch mitsamt der Bergbuchhandlung in einen tiefen Hohlraum, der sich hier seit Jahrmillionen unbemerkt unter dem Erdboden befindet. Viel Inhalt bis hierhin, es passiert etwas, Heinrich Steinfest schreibt nicht über nichts. Es sind tolle Ideen dabei.

Aaaber! Aber warum schreibt dieser Mann nur so schlecht? Oder bin ich der einzige, den dieser Stil gnadenlos nervt? Das eben genannte Zitat ist bei weitem nicht das schlimmste. Hier wuchern unfassbar viele Substantive (die mit Vorliebe auf -ung enden), kaum Verben, viel Unkonkretes, inflationär oft das Wörtchen „man“.

Einfach nur ein Satz herausgegriffen: "Bei frischem Espresso sprach man über das Ereignis, über die am Tag zuvor morgendlich abgegangene Lawine auf der Westflanke des Geländes." Geht es noch blutleerer und actionarmer?

Der Erzähler prahlt auf ärgerliche Art mit Wissen. "Nach einem ersten Gespräch und dem Fotografieren von Roberts monumentaler, an einem langen Morgen entstandener Alpendohle - deren Vorbild sich nach und nach seinem Abbild annähern würde, siehe Gertrude Stein -, betrat man das Innere des Buchladens." Was will man mir damit sagen? Gertrude Stein ist an keiner anderen Stelle Thema. 

In einem Buch findet sich eine "Fettecke à la Beuys", ein Kuss fühlt sich an wie "die Mutter aller Berührungen" und "lieferte das Gefühl vollkommener Harmonie". Klischees, Peinlichkeiten, manchmal bis zum Fremdschämen.

Meine Sache ist das nicht, wird aber ganz sicher Liebhaberinnen und Liebhaber finden. Nicht jede/r hat’s mit der deutschen Sprache.