Samstag, 12. Oktober 2019

Horst Evers: Der König von Berlin

Bester Regionalkrimi ever.

Ja, erstens Regionalkrimi. Es ist zwar gemein, dieses Familienepos, diese Sozialstudie, diese satirische Großstadtsinfonie in eine Reihe mit den humorlosen Kluftinger-Krimis und noch viel, viel schlimmeren Machwerken zu stellen. Trotzdem ist es auch einer von denen. Allerdings einer, der das Genre des Regionalkrimis wunderbar durchschaut, thematisiert, persifliert. Und dennoch seine Stärken nutzt, die Wiedererkennensmomente, die Orte, Situationen, Menschen. Ja, genau, Berlin, det is Balin wa.

Ja, zweitens, ever, auch wenn das nach einem billigen Namenskalauer klingt. Aber Evers selbst hat in sein Buch ja einige plattestmögliche Gags eingebaut, die sich sehr gut in Luke Mockridges diesjährigem Fernsehgarten-Auftritt gemacht hätten, den ich übrigens sehr gut finde, weil er einer Gesellschaft ihren schizophrenen Umgang mit Kindern um die Ohren haut.

Ich schweife ab. Ist egal. Im 2012 erschienenen Roman des Satirikers und Lesebühnen-Stars Horst Evers geht es um eine Rattenplage in Berlin und den Hauptkommissar Carsten Lanner. Lanner war in der niedersächischen Provinz eine große Nummer, versetzt in die Hauptstadt wird er jedoch von den Kollegen gehänselt, als Landei verspottet, ignoriert. Obendrein ist in Berlin ein Polizist so ziemlich das unterste in der sozialen Rangordnung. Hätte Lanner wissen können.

Einzige kurze Moment des Glücks sind dem Kommissar vergönnt, wenn er an der Resopal-Arbeitsplatte seiner Küche steht und von der Mettrauchwurst nascht, die ihm seine Mutter aus Cloppenburg geschickt hat. Wunderbar. So muss ein Krimiheld sein, der mir sympathisch ist.

Und Evers schickt noch mehr so tollen Typen auf die Szenerie: Der mysteriös verstorbene Schädlingsbekämpfer-Großmogul und Unsympath Erwin Michallik, seine beiden unfähigen Söhne Helmut und Max, seine resolute Chefsekretärin Claire Matthes. Dazu der einsilbige, in Breslau aufgewachsene Kammerjäger Toni Karhan, der zum Actionhelden wird und einen geheimnisvoll verrätselten Stadtplan entdeckt. Georg Wolters, ehemaliger Langzeitstudent und jetzt ebenfalls Kammerjäger, Cloppenburger Schulkamerad von Lanner, welcher ihn zähneknirschend um Hilfe bitten muss. Dann der „dreieckige Spurensicherer“ Manfred Kolbe, der mit, ja, "Berliner Schnauze" ausgestattet, den Dorfsherrif Lanner besonders gerne schikaniert. Die patente, aber etwas undurchsichtige Kommissarin Carola Markowitz. Außerdem ein Nerd, der von seinem Computer aus Ratten dirigiert, ein Ausbrecherkönig, eine Runde korrupter Stadtbarone, die mit dem Regierenden Bürgermeister in der Sauna klüngelt, eine Schar unterbelichteter Brandenburger und dann noch der unvermeidbare Ex-Polizist, der den Dienst quittiert, aber noch einige Rechnungen offen hat.

Nebenbei wird noch die Leiche eines unscheinbaren Mannes gefunden, dessen Wohnung voller Bargeld ist - das hat er, so wird bald klar, als Ghostwriter für Regionalkrimi-Reihen verdient.

Die philosophische Botschaft dieser erratischen Heldenreise lautet: Jeder delegiert alles, vor allem Verantwortung, an andere, will aber die Anerkennung selbst einstreichen. Das passiert auf allen Ebenen - der Regierende tut es sowieso, die Unternehmer und der Polizeichef tun es, selbst der kleine Spurensicherer tut es.

Ein schmieriger Bauunternehmer lässt einen Schlüsselsatz fallen:
„Dieser niedersächsische Bauer versteht nicht, was diese Stadt ausmacht!“

Ja was denn? Wer hat nicht schon gerätselt, woher die bizarr-geschmacklose Form des Einkaufszentrums Alexa kommt? Und wozu der Steglitzer Bierpinsel eigentlich dient? Oder ist daran verzweifelt, dass er einfach nicht verstanden hat, wie diese Stadt tickt? Nach der Lektüre dieses Buches hat er es. Horst Evers, gebürtig Gerd Winter aus Evershorst in Niedersachsen, hat es ihm spannend, actionreich, witzig und hintergründig erklärt.

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