Samstag, 16. Oktober 2021

Liesel Malm: Die Kräuter-Liesel

Dieses Buch hat mir eine sehr gute Freundin geschenkt, um mich bei der Vorbereitung auf meine Prüfung zum Kräuterpädagogen zu unterstützen. Es ist ein wirklicher Schatz, umfassend und spannend, als Nachschlagewerk, aber auch zum Schmökern in den Wintermonaten geeignet.

Liesel Malm, die in diesem Frühling 87-jährig verstorben ist, gibt ihr unglaublich umfangreiches Kräuterwissen in diesem Band weiter. Der Fokus liegt dabei nicht so sehr auf dem Kräutersammeln, sondern darauf, sich die Kräuter selbst in den Garten zu holen, wie es Liesel Malm selbst machte. Sie besaß einen 2000 Quadratmeter großen Kräutergarten im Westerwald, in dem sie vom Beinwell bis zum Heilziest und vom Bertram bis zum Guten Heinrich so ziemlich alles anbaute und finden konnte, was in Küche, Heilkunde, Kosmetik… verwendbar ist - oder einfach nur durch seine Schönheit bezaubert.

Den Mehrwert machen die praktischen Anleitungen und Rezepte aus, aber auch die detailgenauen Fotos, die das Werk zu einer Art Bestimmungsbuch machen. Die Autorin streift botanisches Wissen nur am Rande, teilt dafür einen reichen Schatz an Lebenserfahrung und praktisches Alltagswissen.

Dienstag, 12. Oktober 2021

Thomas Hettche: Herzfaden


Der Roman erzählt die Geschichte der in den Vierzigerjahren gegründeten Augsburger Puppenkiste in breiter Ausführlichkeit. Letzteres ist denn auch schon mein kleiner Kritikpunkt. Wer wirklich Lust auf ein dickes Epos hat, in dem die Protagonisten bei jeder sich bietenden Gelegenheit über das Marionettentheater als moralische Anstalt philosophieren, wird es mögen. Ich habe es gemocht. 

Ein Mädchen verschlägt es auf den geheimnisvollen Dachboden der Augsburger Puppenkiste. Dort begegnet es den lebendig gewordenen Marionetten des legendären Theaters. Urmel, Jim Knopf und Kalle Wirsch helfen ihm gegen das bösen Kasperle, das das IPhone gestohlen hat. Aber sie trifft ist auch die eigentlich schon gestorbene Frau Hatü - so wurde Hannelore Oehmichen, die Tochter des Puppenkiste-Gründers Walter Oehmichen genannt. Innerhalb dieser Rahmenhandlung erzählt Hettche von den Anfängen des Theaters im Krieg  - wie Oehmichen, der Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, in der Gefangenschaft einen Puppenschnitzer kennenlernt und für die eigene Familie ein Marionettentheater baut -, von Neuanfang, Nachkriegszeit, ersten Erfolgen, ersten TV-Produktionen… 

Die Augsburger Puppenkiste ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Kultur im 20. Jahrhundert. Der Roman setzt ihr ein Denkmal.

Sonntag, 29. August 2021

Dave Eggers: Die Parade



Fantastisches Buch, präzise und klare Sprache, großes Thema treffend in eine spannende Geschichte verpackt.  


Zwei Angestellte einer internationalen Baufirma, die einander und dem Leser nur als Nummer Vier und Nummer Neun vorgestellt werden, haben die Aufgabe, in einem bitterarmen Land, das soeben den Bürgerkrieg hinter sich hat, eine Straße zu asphaltieren. 

Kilometer lang soll sie werden und den reichen Norden mit dem armen Süden des Landes verbinden. Den beiden Arbeitern steht eine hochmoderne Asphaltiermaschine zur Verfügung. 

Während Nummer Vier am liebsten stur vor sich hinarbeitet, nach Vorschrift des Arbeitgebers jeden Kontakt zu den Einheimischen vermeidet und so schnell wie möglich wieder nach Hause zu seiner Familie möchte, mischt sich Neun abenteuerlustig unter das Volk, macht Bekanntschaften, versucht den Menschen zu helfen und gefährdet aus Sicht von vier dadurch das ganze Projekt. Schließlich muss die Straße pünktlich fertig werden, damit sie mit einer prächtigen Militärparade eingeweiht werden kann.  

Auf einmal bleibt Neun, der in seinem Quad den Weg für die Asphaltiermaschine frei machen soll, weg. Ein Einheimischer sucht Vier auf seinem Fahrzeug auf und sagt ihm, dass Neun irgendwo auf der Strecke im Sterben liegt. Nun ist es auch für Vier aus mit der Unbeteiligtheit. 

Jeder, der schon einmal in Ländern der sogenannten Dritten Welt gereist ist oder gar gearbeitet hat, dürfte einiges nur zu gut wiedererkennen.

Mittwoch, 18. August 2021

Axel Hacke: Im Bann des Eichelhechts

 


Ich gebe zu, ich habe mich weggeschmissen vor Lachen. Dieses Büchlein macht bewusst, welche unfassbare  Poesie und Fantasie in der deutschen Sprache stecken - gerade dann, wenn sie an ihren Enden  ein wenig gebogen wird.


Hacke hat hier Beispiele gesammelt (sie wurden ihm meist zugeschickt), bei denen es mit den Regeln von Rechtschreibung, Grammatik und Ausdruck zwar weniger genau genommen wurde, die aber ihren Charme und ihre eigene Realität entfalten. Letztere ist fast immer lustiger ist als das Profane. 

Hacke macht sich also nicht lustig über falsche Übersetzungen auf italienischen und kroatischen Speisekarten, unverständliche Gebrauchsanweisungen, schiefe Zeitungsüberschriften, seltsame Hinweisschilder oder Songtext-Verhörer (Davon handelten ja schon sein "Der weiße Neger Wumbaba" und dessen Nachfolgebände). 

Bestenfalls versucht er zu erklären, wie sie entstanden sind. Manchmal lässt er sie - ohne dabei zu kapitulieren - einfach nur in ihrer poetischen Schlönheit dastehen. Nun habe ich beim Tippen versehentlich Schlönheit geschrieben. Aber das passt schon so. Schlönheit existiert eben nur im Sprachland, um das es hier geht. Hacke hat hier auch das Tortenhuhn, den Eichelhecht, die Cumberlandwurstkröte, die Gummifrikadellen, das Lachfilet und vieles mehr ausfindig gemacht.

„Man soll nicht alles verstehen. Etwas in der Welt muss uns ein Rätsel bleiben“, schreibt Hacke. Das hält ihn aber nicht davon ab, sich auf die kuriosen Wort- und Satzgebilde einen Reim zu machen, eine sprachländische Weltordnung um sie herum zu schaffen. 

Im Falle einer nicht näher benannten Gefahr etwa empfiehlt der Aushang auf einem französischen Campingplatz: "Sich gruppiert bewegen, den Anweisungen der Mächte bis zum Turnanstalt ,Falorni'". Diese mysteriöse Turnanstalt Falorni ist neben dem Schlafanfallbüro, Müllers Darmgeheimnis und vielen anderen Orten, die nur im Sprachland existieren, auf einer schicken Landkarte auf dem Vorsatz des Buches verzeichnet.

Jedes Kapitel lässt Hacke gleich einem klassischen Musikstück enden, indem er die verschiedenen Themen nochmals aufnimmt, steigert, ineinander verwebt und zu einem absurden Höhepunkt steigert. Köstlich.

Sonntag, 18. Juli 2021

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub

Ein perfekter, englischer Krimi - und ein wahrer Pageturner - um eine Rentnertruppe, die sich in ihrer ländlichen Seniorenwohnanlage einmal pro Woche trifft, um gemeinsam Kriminalfälle zu lösen. Das geht nicht ohne Schrulligkeiten ab. Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron aber sind bei allen ihren Eigenheiten ein wunderbar vielseitiges Detektivquartett und der Polizei immer eine Nasenlänge voraus. 

Dass im Altenheim gestorben wird, soll vorkommen. Hier wird obendrein noch ausgiebig gemordet. Das Besondere jedoch ist der gleichzeitig scharfsinnige und zutiefst liebevolle Blick, den Osman in diesem Whodunnit auf bleischwere Themen wie Altern, Verlust, Demenz - und den verzweifelten Kampf gegen sie - und den nahenden Tod wirft. Er tut es auf die leichte Art, mit einer guten Portion versöhnlichem Galgenhumor. Well done.



Mittwoch, 14. Juli 2021

Martin Suter: Allmen und der Koi


Martin Suters Allmen-Krimis sind wie ein Seriencomic: Überzeichnete Figuren, die sich durch eine immer neu variierte, gleich ablaufende Handlung wursteln. Der unerträglich versnobte, verschwendungssüchtige und dabei liebenswert treudoofe Allmen ist mal wieder pleite und muss einen grotesken Job annehmen - bei dem ihm sein gutherzig-lebenskluger Adlatus Carlos schließlich den Kopf aus der Schlinge zieht. Dann wird alles gut - bis zur Fortsetzung. Die Krimis haben alles, was Serien so unterhaltsam macht.

In diesem Fall macht sich das Team auf, den gestohlenen Koi-Karpfen eines millionenschweren Musikproduzenten (der sich selbst für einen Koi hält) wiederzubeschaffen. Passenderweise ist das Ganze auf der Insel Ibiza angesiedelt: dem Ort in Europa, der wie kein anderer auf oberflächliche Party, Drogen und Geld fixiert ist. Wie immer liefert Suter sprachlich solide Krimiliteratur, hat gut recherchiert. Obwohl: was soll das?: "Sie saßen wieder am grob behauenen Olivenholztisch unter dem mächtigen Feigenbaum." Muss es so platt wirklich sein? Hatte er keine Zeit zum Überlegen? Keine Lust? Oder ist das gewollter, comichafter Stil?

Sonntag, 13. Juni 2021

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse

 

„Was heißt‘n das eigentlich, wo die Flusskrebse singen?“ (...) „Das heißt bloß, weit draußen, wo die Tiere noch wild sind und sich benehmen wie Tiere.“

Kya lebt schon immer hier. Hier im unzugänglichen Marschland an der Küste North Carolinas, in einer baufälligen Hütte zwischen Sümpfen, Sandbänken, Salzwiesen. Das Mädchen sammelt Federn und Muscheln, zeichnet, malt, liest, wird als junge Frau gefeierte Autorin und Zeichnerin von Bildbänden über die Marsch, die sie zeit Lebens fast nie verlässt. 

Kya ist allein. Der rote Faden, der sich durch ihr Leben zieht, ist das Verlassenwerden. Zuerst flüchtet die Mutter, dann alle vier Geschwister vor dem gewalttätigen Vater, der schließlich alleine mit Kya in der Marsch zurückbleibt, ehe auch er das Weite sucht. 

Auch die beiden Männer in Kyas Leben reihen sich ein: der feinfühlige Tate, der das Marschmädchen für seine Universitätskarriere zurücklässt und der attraktive Chase, der Kya benutzt und betrügt. Als Chase tot unter einem Feuerwachturm gefunden wird, fällt der Verdacht sofort auf das Marschmädchen Kya. Es kommt zum Prozess.

Eindrücklich lesen sich die Naturbeschreibungen. Wo die Natur das Seelenlebens Kyas spiegelt, ist das hervorragend gelungen. Wo es nur um Kyas Seelenleben geht, nervt das Psychologisieren der Autorin manchmal. Was diesem Roman zu großen Literatur fehlt, ist die Tendenz, dass die Autorin Sachverhalte, Gedankengänge lang und breit ausführt, die sie dem Leser selbst überlassen könnte. Es wäre sogar eindringlicher, beim Lesen selbst auf manchen Gedanken zu kommen. („Ein natürliches Begehren hatte sie unverheiratet in ein billiges Motel geführt, aber unbefriedigt gelassen", denkt Kya einmal bei sich). An anderen Stellen gelingt das Ratespiel mit dem Verborgenen.

Sonst aber ist dieser Roman vortrefflich, er spielt mit Ängsten und Erwartungen, manipuliert den Leser gekonnt. Wieso hassen und verlassen nur alle das Marschmädchen? Man will der einzige sein, der zu ihr hält, sie beschützt. Beiläufig eingewoben ist ein spannender Krimi, der an Hakan Nesser erinnert. Besonders die Figur des Sheriffs verdient ein genaues Hinsehen.