Mittwoch, 14. Juli 2021

Martin Suter: Allmen und der Koi


Martin Suters Allmen-Krimis sind wie ein Seriencomic: Überzeichnete Figuren, die sich durch eine immer neu variierte, gleich ablaufende Handlung wursteln. Der unerträglich versnobte, verschwendungssüchtige und dabei liebenswert treudoofe Allmen ist mal wieder pleite und muss einen grotesken Job annehmen - bei dem ihm sein gutherzig-lebenskluger Adlatus Carlos schließlich den Kopf aus der Schlinge zieht. Dann wird alles gut - bis zur Fortsetzung. Die Krimis haben alles, was Serien so unterhaltsam macht.

In diesem Fall macht sich das Team auf, den gestohlenen Koi-Karpfen eines millionenschweren Musikproduzenten (der sich selbst für einen Koi hält) wiederzubeschaffen. Passenderweise ist das Ganze auf der Insel Ibiza angesiedelt: dem Ort in Europa, der wie kein anderer auf oberflächliche Party, Drogen und Geld fixiert ist. Wie immer liefert Suter sprachlich solide Krimiliteratur, hat gut recherchiert. Obwohl: was soll das?: "Sie saßen wieder am grob behauenen Olivenholztisch unter dem mächtigen Feigenbaum." Muss es so platt wirklich sein? Hatte er keine Zeit zum Überlegen? Keine Lust? Oder ist das gewollter, comichafter Stil?

Sonntag, 13. Juni 2021

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse

 

„Was heißt‘n das eigentlich, wo die Flusskrebse singen?“ (...) „Das heißt bloß, weit draußen, wo die Tiere noch wild sind und sich benehmen wie Tiere.“

Kya lebt schon immer hier. Hier im unzugänglichen Marschland an der Küste North Carolinas, in einer baufälligen Hütte zwischen Sümpfen, Sandbänken, Salzwiesen. Das Mädchen sammelt Federn und Muscheln, zeichnet, malt, liest, wird als junge Frau gefeierte Autorin und Zeichnerin von Bildbänden über die Marsch, die sie zeit Lebens fast nie verlässt. 

Kya ist allein. Der rote Faden, der sich durch ihr Leben zieht, ist das Verlassenwerden. Zuerst flüchtet die Mutter, dann alle vier Geschwister vor dem gewalttätigen Vater, der schließlich alleine mit Kya in der Marsch zurückbleibt, ehe auch er das Weite sucht. 

Auch die beiden Männer in Kyas Leben reihen sich ein: der feinfühlige Tate, der das Marschmädchen für seine Universitätskarriere zurücklässt und der attraktive Chase, der Kya benutzt und betrügt. Als Chase tot unter einem Feuerwachturm gefunden wird, fällt der Verdacht sofort auf das Marschmädchen Kya. Es kommt zum Prozess.

Eindrücklich lesen sich die Naturbeschreibungen. Wo die Natur das Seelenlebens Kyas spiegelt, ist das hervorragend gelungen. Wo es nur um Kyas Seelenleben geht, nervt das Psychologisieren der Autorin manchmal. Was diesem Roman zu großen Literatur fehlt, ist die Tendenz, dass die Autorin Sachverhalte, Gedankengänge lang und breit ausführt, die sie dem Leser selbst überlassen könnte. Es wäre sogar eindringlicher, beim Lesen selbst auf manchen Gedanken zu kommen. („Ein natürliches Begehren hatte sie unverheiratet in ein billiges Motel geführt, aber unbefriedigt gelassen", denkt Kya einmal bei sich). An anderen Stellen gelingt das Ratespiel mit dem Verborgenen.

Sonst aber ist dieser Roman vortrefflich, er spielt mit Ängsten und Erwartungen, manipuliert den Leser gekonnt. Wieso hassen und verlassen nur alle das Marschmädchen? Man will der einzige sein, der zu ihr hält, sie beschützt. Beiläufig eingewoben ist ein spannender Krimi, der an Hakan Nesser erinnert. Besonders die Figur des Sheriffs verdient ein genaues Hinsehen.

Mittwoch, 28. April 2021

Lucy Lucas: Das kleine Hörbuch vom Yoga

Immer wieder hat Yoga meinen Weg gekreuzt, immer habe ich ihm große Sympathie und Neugier entgegengebracht, vieles ausprobiert, mich aber nie tiefergehend mit Yoga befasst. Abgesehen vielleicht von einem Uniseminar, in dem damals die Bhagavad Gita gelesen wurde - wenig ist davon hängengeblieben. 

Für Menschen wie mich bietet dieses Hörbuch einen guten Überblick. Es geht zwar weder in die Tiefe, noch klärt es das große Ganze, Grundsätzliche ganz auf. Das macht aber nichts, zum Einstieg in diese Welt ist es genau richtig. Tas Thema Religion bleibt gänzlich außen vor.

Lucy Lucas stellt verschiedenen Richtungen und Praktiken vor, führt die wichtigsten Begriffe ein und versucht, die Balance zwischen reiner Gymnastik, spiritueller Praxis und dem zugrundeliegenden Denken zu finden. 

In den theoretischen Teilen, aber auch wen Om-Singen oder Atemübungen erklärt werden, klappt das recht gut. An seine Grenzen stößt das Medium Hörbuch, wenn verschiedene Yogastellungen erklärt werden und einfache Übungen für Zuhause (etwa morgens im Bett) und Büro vorgestellt werden. Da wäre Anschauung dann doch recht hilfreich und es kann nicht schaden auf Youtube-Videos zurückzugreifen. Im Großen und Ganzen habe ich einiges mitgenommen, dieses Hörbuch war sicherlich keine Zeitverschwendung.

Dienstag, 20. April 2021

Thea Dorn: Trost

 Sind Bücher zur momentanen Lage oft schon bei ihrem Erscheinen obsolet, ist dieses - leider - immer noch hochaktuell: In einem Briefroman thematisiert Thea Dorn die Corona-Pandemie und die vielfältigen Reaktionen und Beschränkungen in ihren Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. In diesem Fall der Zeitungsjournalistin Johanna.


Diese schreibt Briefe an Max, ihren ehemaligen Philosophielehrer, der auf Capri lebt. Die Form des Briefromans: Na ja, sie musste eben irgendetwas wählen, und diesen Essay nicht als Thea Dorn zu schreiben. Natürlich frage ich mich: Gibt es wirklich Menschen, die so geistreiche, ausgefeilte und überlegte Briefe auf die Reise schicken? Aber sei's drum. Max jedenfalls antwortet höchst lakonisch. Manchmal gar nicht, dann wieder in Form einer Kunstpostkarte, auf der er Johanna etwas in zwei, drei Wörtern vor den Latz knallt.

Sehr viel Kluges zum Corona-Irrsinn ist da zu lesen. Manches kommt auch sehr verkopft daher. Diese Johanna holt immer wieder weit aus, möchte wie eine Musterschülerin vor dem verehrten Lehrer mit ihrem Wissen und den Gedankengängen glänzen. Hoffmannsthal und Canetti, Gryphius und  Ernst Jünger werden als Stichwortgeber, Vorbilder und Pandemie-Theoretiker zitiert.

Anfangs herrscht bei Johanna noch Wut auf ihre Mutter vor - eine lebenslustige Theateragentin, die sich von  Warnungen nicht beirren ließ und mitten im Lockdown eine Italienreise unternahm, auf der sie an Covid verstarb. Doch die Stimmung schlägt bald um. Johanna, die ihre Mutter nicht einmal auf dem Sterbebett sehen darf, ist wütend auf die "Maßnahmen", die Politiker nun allerorts verhängen:

„Wie eine Horde durchgegangener Sanitätsnashörner überbieten sie sich im Menschenlebenrettenwollen - und merken nicht, dass sie dabei die Menschlichkeit tottrampeln.“

Sie beobachtet eine Gesellschaft, in der grenzenloser Individualismus in blinden Herdentrieb umschlägt. Alles Namen der großen "Doktrin des Untotseins“. Hauptsache bei guter Gesundheit möglichst lange leben und konsumieren und dabei doch so leblos sein. Wenn der Tod nicht mehr als Teil des Lebens - etwa in Ritualen - wahrgenommen wird, glauben die Menschen an nichts anderes mehr als das (lange) Leben - und verbieten sich paradoxerweise alles, was das Leben lebenswert macht.

Johanna weiß, dass "sich das Leben nur umarmen lässt, wenn ich bereit bin, auch den Tod zu umarmen" und leidet darunter: "Was bringt es, sein Leben in Angst vor dem Tod zu verzittern? Erleben wir nicht gerade, wie das scheinbar Vernünftige ins Absurde umschlägt, wenn ganze Gesellschaften sich und ihren Mitgliedern aus Angst vor dem Tod das Leben verbieten?"

Wütend ist sie auch auf den „Stoa-Spießer“ Max - auf die Stoiker insgesamt, die Ertragen, Hinnehmen, Abfinden - oder heutzutage: "Resilienz" - predigen.

Als Hommage an das Leben, zu dem der Tod gehört, ist Trost auch als eine Art Fortsetzung von Dorns Roman Die Unglückseligen zu lesen. Ein wunderbares Fundstück präsentiert Thea Dorn/Johann aus
Hugo von Hoffmannsthals Der Tor und der Tod:

Du Tor! Du schlimmer Tor, ich will dich lehren, Das Leben, eh du's endest, einmal ehren. 

Sonntag, 11. April 2021

David Schalko: Bad Regina

 

„Unter allem lag Stille.“

Dass sie nicht über allem liegt, macht eben die literarische Qualität aus, so einfach ist das manchmal. Der Erzählstil erinnert an Thomas Kapielski, aber 400 Seiten sind einfach zu viel. Beim besten Willen.

Bad Regina: Ein einst mondäner Kurort in den österreichischen Alpen ist nur noch der Schatten seiner selbst, seit ein mysteriöser chinesischer Investor ein Haus nach dem anderen aufkauft und es leer stehen und verfallen lässt - ebenso die Hotels und Bars. Bad Regina wird zur Geisterstadt und die verbliebenen menschlichen Geister, die dort übrig geblieben sind, spüren den Verfall am eigenen Leib, jeder auf seine Art.

Die letzten Aufrechten beschließen, dem Chinesen zu entführen. Wie sie erst nach dessen Tod in einer verlassenen Berghöhlen-Disco (hat mich sehr an so einen Lost Place, den ich mal bei einer Wanderung an der Küste Mallorcas entdeckt habe, erinnert) herausstellt, war er nur der Handlanger eines jüdischen Bürgers von Bad Regina, der im Dritten Reich vertrieben wurde. 

Um mir Vergnügen zu bereiten, ist dieses Buch schlichtweg zu dick, zu breit und braucht zu lange, um Neues zu bringen. Und es bringt zu wenig davon.

 

Donnerstag, 25. März 2021

Michael Breckwoldt: Essen aus der Natur

Wussten Sie, dass die jungen Blätter der Walderdbeeren zu Salaten und Kräuterquark gegeben werden können? Dass man die Blätter der Fetthenne in Teig ausbacken kann? Dass die Blätter des Frauenmantels eine Flüssigkeit ausscheiden, mit denen Alchimisten Gold gewinnen wollten? Dass der Gute Heinrich, ein Gänsefußgewächs, seinen Namen von alten Erzählungen hat, in denen Elfen und Kobolde mit Vorliebe Heinrich hießen?

Bisher nicht? Dann gibt es in diesem Buch, das sowohl als Führer als auch Schmöker geeignet ist, eine Menge zu erfahren. Grob eingeteilt ist der Inhalt aus kompakten Porträts in essbare Kräuter, Gehölze und Pilze. Thematisiert werden mögliche Fundorte Merkmale, sammelwürdige Pflanzenteile, Inhaltsstoffe, Verwendungsmöglichkeiten und wissenswerte Anekdoten.


Breiten Ruam nehmen die teilweise außergewöhnlichen Kochrezepte ein. Warum nicht Melonen und Parmaschinken mit Gänseblümchen und Löwenzahn verfeinern? Einen Cocktail aus Glockenblumen zubereiten? Spätzle mit Vogelmiere grün machen? Eis aus Sauerampfer herstellen und Schafgarbe in Rührei mischen? Es gibt wirklich eine Menge zu entdecken. Im Anhang finden sich Tipps zum sammeln, aufbewahren und verarbeiten von Wildpflanzen.

Samstag, 13. März 2021

Peter Wohlleben: Wohllebens Waldführer

Was Wohlleben anpackt, endet unterhaltsam und macht Lust, über Natur nachzudenken und in sie einzutauchen. So auch dieser Waldführer. 

In ultraknappen Abschnitten stellt der engagierte Förster und Autor ("Das geheime Leben der Bäume"...) Hunderte Arten vor, die uns mehr oder weniger häufig im Wald begegnen. Dabei stehen biologische Fakten im Hintergrund, Anekdoten im Vordergrund. Das Lesen ist wie ein Spaziergang mit einem erfahrenen, durchaus sympathischen, vielleicht ein wenig desillusionierten und eigenbrötlerischen Waldkauz. Als angehender Kräuterpädagoge haben mich naturgemäß die Pflanzen am meisten interessiert.

Aber auch, was im Wald riecht, schnuppert, flattert, hoppelt, umherstreift, ist aufgezeigt. Vögel, Käfer, Spinnen, Lurche, Schlangen, Dachse, dazu natürlich Bäume, Farne, Blumen, Pilze, Flechten und Co.

Typisch Wohlleben, vermenschlicht er die Lebewesen. Da gibt es einen Architekten (den Schwarzspecht), einen Kobold (den Zaunkönig), einen Bestatter (den Gemeinen Totengräber) und eine Polizistin (die rote Waldameise). Der Buchfink trällert ein Liedchen das klingt wie: "Bin bin bin ich nicht ein schöner Feldmarschall". Und die Bäume sind ohnehin fürsorgliche, eifersüchtige, waghalsige oder auch schüchterne Gesellen.

Eigentlich jedes Kurzkapitel nutzt Wohlleben zur Abrechnung mit der Jagd und der profitorientierten Forstwirtschaft. Wer mit seiner seiner ökologischen  Waldphilosophie, die er besonders im Anhang erläutert, gar nicht klar kommt, dürfte auch an diesem Führer keine Freude haben. Er wettert gegen ein "abgedriftetes Naturverständnis" , das sogar die eingewanderten Roten Waldameisen, die sich doch nur als Kulturfolger in den unnatürlichen Nadelholzplantagen angesiedelt haben, als schützenswert betrachtet. Oder gegen die von Forstwirten in Zeiten des Klimawandels viel gepriesene Douglasie. Der nordamerikanische Nadelbaum sein "für das Ökosystem Wald eine Katastrophe", weil die wenigsten heimischen Tierarten mit ihr etwas anfangen könnten.

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