Mittwoch, 17. Dezember 2025

Herta Müller: Atemschaukel


Immer wieder gelangt man in Büchern an Stellen, an denen das Weiterlesen schwer fällt, weil alles trostlos, ungerecht, hoffnungslos scheint. Was dann doch weiterlesen lässt, ist die Hoffnung auf eine glückliche Wendung, die versöhnt.

Hier gibt es keine Hoffnung. Nirgendwo in diesem Buch. Deshalb ist das Lesen, bei aller sprachlichen Wucht, schwer wie Blei. 

Ein 17-jähriger Rumänendeutscher - seinen Namen Leopold Auberg erfahren wir erst auf Seite 43 - wird zum Ende des Zweiten Weltkriegs in ein russisches Arbeitslager deportiert. Fünf Jahre später kehrt er als Fremder heim. Seine Neigung zu Männern bleibt verboten, die Angst frisst unaufhörlich weiter an ihm, das Lager zehrt ihn.

Wie in Paul Celans Gedichten klingen hier Schikanen, Folter, Qual, Entmenschung - und immer wieder Hunger. Sie sind in unvorstellbar poetisches Deutsch gefasst. Diese Sprache, die das Martyrium gleichsam vertont, kann nur als einzigartig empfunden werden.

Über das Kohlenschaufeln steht da: „Es ist schön wie ein Tango, wechselnd spitzwinklig bei gleichbleibendem Takt. (…) und in der Wurfdistanz fliegt die Kohle wie ein Vogelschwarm. Und der Hungerengel fliegt mit. Er ist in der Kohle, in der Herzschaufel, in den Gelenken. Er weiß, nichts wärmt den ganzen Körper mehr als das Schaufeln, das am ganzen Körper zehrt. Er weiß aber auch, dass der Hunger fast die ganze Artistik frisst.“


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