Dienstag, 11. Juni 2019

Christian Tielmann: Unsterblichkeit ist auch keine Lösung

Dieser Roman hat in meiner Stadt dieses Jahr die Abstimmung zu Nördlingen liest ein Buch gewonnen und ist nun Gegenstand zahlreicher Aktionen. Eine gute Wahl.

Darum geht's: Goethe und Schiller sind zwar unsterbliche Klassiker, werden aber nicht mehr häufig gelesen, weshalb ihr Verleger Cotta den 270-jährigen Goethe und den zehn Jahre jüngeren Schiller zur Lesereise durch den Harz verdonnert. Vor Grundschülern sollen sie dort ihre Werke präsentieren.

Erzählt ist die Reise-Story aus der Sicht des tragikomischen, aber unheimlich sympathischen Helden Goethe. Der  Dichterfürst verzweifelt an verständnislosen Achtjährigen und Lehrern, die sich vorlaut einmischen oder aus dem Staub machen und die Schriftsteller lärmenden Schülerhorden überlassen. Dazu kommt die fehlende Wertschätzung durch Cottas arrogante Assistentin, Denkmalschutzbehörden, Politik und Presse. Vom devoten, aber unterbelichteten Adlatus Eckermann und seinen Mailbox-Nachrichten aus Weimar ganz zu schweigen.

Trost verspricht sich der Junggebliebene von seinen Eroberungen. Die er allerdings erst vollbringen muss. Zur Wahl stehen attraktive Buchhändlerinnen oder/und Schulrektorinnen. Doch, o weh: Goethe muss mit ansehen, wie der zwar kranke, aber agilere Schiller nicht nur die Damen, sondern auch die Grundschüler restlos bezaubert. Der Schwabe lässt sich sogar herab, eigens für die Lesereise einen Fantasy-Roman samt Elfen und Einhörnern zu fabrizieren. Egal, wie sehr Goethe sich müht: Der Dichterkollege ist ihm immer eine Schillersche Nasenlänge voraus.

Das alles ist absolut lustig. Tielmann, als Kinder- und Jugendbuchautor ausgezeichnet, trifft den Ton perfekt. Er lässt den Klassiker Goethe zwischen Egozentrik und Selbstzweifel, Tatendrang und Dekadenz, Weltverachtung und Geltungssucht, Dünkel und Selbstironie, Genie und menschlichen Schwächen oszillieren. Vollgepackt mit literarischen und historischen Anspielungen, kommt das Buch mal lässig, mal grotesk daher, und setzt noch einen drauf, wenn der Spaß schon auf die Spitze getrieben ist.

So kehren die Dichter in einem Harz-Kaff mal wieder in ein ranziges, von Altfett triefendes Restaurant ein. Ihr Chef habe ihr das Gasthaus empfohlen, beteuert die begleitende Buchhändlerin Fräulein Huggelmann:

"Goethe mochte sich gar nicht vorstellen, wie viele Kilos dieser Chef wohl auf die Waage bringen würde. Geschmacksknospen hatte der aber garantiert nicht mehr - oder er trieb es mit der Küchenchefin, falls das nicht seine Schwester war. Oder beides."

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