Im autobiographischen, sehr persönlichen Stil beschreibt Emmanuel Carrère einige Jahre seines Lebens. Was - das betont der Autor immer wieder - ein optimistisches Büchlein über Yoga werden soll, gerät zu einer Collage aus extrem persönlichen Aufzeichnungen einer schwierigen Phase seines Lebens.
Um Material für das Büchlein zu bekommen, zieht sich Carrère in ein Yoga-Retreat in Zentralfrankreich zurück, in dem strenges Schweigen angesagt ist: Die Anschläge auf Charlie Hebdo, bei denen ein Freund getötet wird, reißen ihn aus dieser abgeschotteten Welt. Nach einer Trennung (die aber nicht thematisiert ist) erleidet der Autor eine Depression, die in der psychiatrischen Klinik bei Elektroschockbehandlung endet, schließlich arbeitet er als Freiwilliger in einem Flüchtlingsheim auf der griechischen Insel Leros. Spätestens in dieser Leros-Episode wirft der Autor Zweifel an seiner eigenen Zuverlässigkeit als Erzähler auf: Wie weit kann man ihm trauen? Was lässt er weg, schmückt er aus? Aber der Text ist eben absolut subjektiv und damit wahrhaftiger als ein Text der vorgibt, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu verkünden.
Über weite Strecken des Buches war ich begeistert. Ich hatte mir vorgenommen, es anschließend auf Französisch zu lesen. Begeisternd sind die Anfangskapitel, in der Carrère seinen Zugang zu Yoga beschreibt und der Leser diesen Weg mitgehen darf. Er trägt mehr als 15 Definitionen für Meditation zusammen. "Meditieren heißt, still und unbewegt dazusitzen", zum Beispiel, oder "Meditation heißt, nicht zu urteilen", "Meditation heißt, aufmerksam zu sein", "Meditation heißt, einen geheimen, strahlenden Raum in sic zu finden, in dem es einem gut geht", "Meditation heißt, loszulassen, nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu tun versuchen", "Meditation heißt, zu pinkeln und zu scheißen, wenn man pinkelt und scheißt, und nur das".
Und wenn Yoga das Zusammenspannen von Gegensätzlichem - etwa Freude und Leid - unter einem Joch ist, dann kommt das in diesem Buch Erzählte Yoga sehr nahe. Dennoch, ich muss es einfach sagen, war das Lesen dieser Geschichte eine Qual und ich war froh, als ich sie beendet hatte.
"Und wenn Sie etwas lesen, vollziehen Sie nicht nur die Gedanken des Autors, berücksichtigen Sie auch, was Sie denken."
Das sagt der Lehrer John Keating, ein Held meiner Jugend, im Film "Der Club der toten Dichter". Natürlich berücksichtigen heute sehr viele - auf sozialen Netzwerken würde ich sogar sagen: zu viele - Rezensenten das, was sie selbst denken. Nur das. Sie schwadronieren darüber, wie es ihnen selbst beim Lesen eines Buches gegangen ist. Trotzdem: Angesichts der Innerlichkeit (Weinerlichkeit?) des Autors spielt es hier eine wichtige Rolle. Hört er in sich hinein, so tue ich das als Leser aus. Es zieht einen runter.
Carrère findet packende Bilder für seine Hoffnungslosigkeit. Geht es ihm gut, so spürt er, dass es ihm bald wieder schlecht gehen wird. Geht es ihm schlecht, so spürt er, dass es niemals wieder gut wird.
Handwerklich ist vielleicht zu kritisieren, dass das Buch doch aus sehr losen Notizen zusammengeflickt ist. Leider hat es der Autor nicht gekürzt, wodurch es sehr gewonnen hätte. Soviel aus meiner Sicht.
PS: Auf dem Bild seht Ihr, wie der Rasen im Nördlinger Freibad diesen Sommer aussieht.
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