Samstag, 8. Dezember 2018

Anna Maria Schenkel: Tannöd

Es folgt eine uneingeschränkte Empfehlung. Es gibt so viele Krimis, Heimatkrimis zumal - die meisten sind schauder-, weil klischeehaft, platt, unlogisch, nicht zwingend, voller Adjektive, ohne Verben. Dabei könnte sich die Autoren an dieser Novelle von 2006 sehr viel abschauen. Allerdings wäre dazu ein  gekonnter Umgang mit Sprache notwendig.

Andrea Maria Schenkel - die heute renommierte Autorin war damals noch eine 45-jährige Hausfrau ohne literarische Erfahrung - griff in ihrem Erstlingskrimi einen wahren Fall auf. 1922 ereignete sich auf dem oberbayerischen Einödhof Hinterkaifeck ein Sechsfachmord, der bis heute nicht geklärt ist. Schenkel verlegte die Handlung in die 1950er-Jahre und ins oberpfälzische Tannöd.

Abwechselnd schildert die Erzählerin Geschehen auf dem Hof der Familie Danner vor, während und nach dem Mord an vier Erwachsenen und zwei Kindern und das, was ihr die Dorfbewohner erzählen, die „von dem Verbrechen berichten wollen“.

Auf dem Aussiedlerhof haust das despotische Bauernmonster Danner, der nicht nur seine Frau sondern, auch die Tochter Barbara missbraucht - aus dem inzestuösen Verhältnis gehen die zwei Kinder hervor, die zu Mordopfern werden. Ein nichtsnutziger Knecht verdingt sich hier nur deshalb für kleines Geld, um den Bauern bei Gelegenheit auszurauben. Nachbar Georg Hauer geht nach dem Tod seiner Frau eine Beziehung mit Barbara ein - bis diese ein weiteres Kind bekommt.

Von den Dorfbewohnern sprechen viele, so die achtjährige Schülerin, die vergeblich auf ihre Schulkameradin Marianne gewartet hat, der Postschaffner, dem am Haus, das tagelang voller Leichen liegt, nichts aufgefallen ist, der Monteur, seinen stur seinen Reparaturauftrag auf dem Hof erledigt hat, obwohl keine Menschenseele zu sehen war, der arrogante Bürgermeister, der Pfarrer, der gelernt hat, wegzuschauen.

2006 hat dieses Erstlingswerk der damals 45-jährigen Hausfrau - heute eine renommierte Autorin - für Aufsehen gesorgt. Nicht, weil diese Interviews (oder Gespräche oder Verhöre) so authentisch wären - so kohärent, so zusammenhängend und so auf eine Handlung hin ausgerichtet antwortet eigentlich niemand. Aber, weil hier alle Akteure ihre eigene Sprache besitzen, die sich immer unterscheidet, und immer - wie auch in den Erzählkapiteln - ein schöne, einfache, knappe, dichte Sprache ist. Vieles aus hat Schenkel aus den alten Akten des realen Falles genommen, auf anderes hat sie sich einen eigenen Reim gemacht.

Am Ende klärt sie den Mordfall auf (und lässt ihn ungesühnt). Sie erreicht damit, etwas was in Wirklichkeit in fast 100 Jahren nicht gelungen ist.

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