Sonntag, 29. Juli 2018

J. M. G. Le Clézio: Der Afrikaner

Jean-Marie Gustave Le Clézio, Literatur-Nobelpreisträger von 2008, hat diese autobiografische Schrift 2004 veröffentlicht. Sie erzählt von einer Reise nach Afrika, die er 1948, als Achtjähriger mit seiner Mutter und seinem Bruder unternahm.

Der Krieg war vorbei, und die Familie konnte endlich den Vater wiedersehen, der in Nigeria als Tropenarzt im Dienste der britischen Kolonialherren arbeitete. Die Begegnung mit dem Vater erwies sich für den Jungen, der bereits anfing, zu schreiben, aber keineswegs als froh. Der Vater war verbittert und verstockt, seine Kinder behandelte er autoritär und mit äußerster Brutalität.

Le Clézio macht sich in "Der Afrikaner" auf die Spur dieses Vaters, versucht, nachzuvollziehen, wie er zu dem wurde, was er war. Geboren in Mauritius, studierte er in England Medizin, war aber nicht bereit, sich den steifen Hierarchien des britischen Krankenhauswesens zu unterwerfen und arbeitet zuerst in Guyana, dann in Kamerun als Tropenarzt. Dort, in Banso, muss ihn der Sog Afrikas ergriffen haben. Dort erlebte er an der Seite seiner jungen Ehefrau verzauberte Momente. Le Clézio beschwört den Moment seiner eigenen Zeugung herauf:

"Ich stellte mir vor, dass sie sich in dieser Nacht im Rhythmus der unter der Erde vibrierenden Trommeln geliebt haben, fest aneinandergepresst in der Dunkelheit, schweißüberströmt, im Inneren der Hütte aus Lehm und Reisern, die nicht größer war als ein Hühnerstall.“

Der Krieg ändert alles für den Vater. Er versucht sich über Nordafrika nach Frankreich zu seiner Familie durchzuschlagen. Doch er festgenommen und zurückgeschickt, muss fortan seinen Dienst in einer freudlosen Gegend Nigerias tun.

Am Ende der 22 Jahre als Arzt in Afrika haben ihn schließlich - so empfindet es der feinfühlige Sohn - der Pessimismus, der Eindruck, gescheitert zu sein, die Resignation übermannt. "Der ständige Kontakt mit den leidenden Menschen ermüdete ihn."

Le Clézio beschreibt aber auch die Faszination Afrikas, die ihn als Achtjährigen selbst ergriff. Afrika als ein magischer Ort der Kindheit,  der Rituale, in dem die in Europa so wichtigen Gesichter verblassen:

"Von diesem Augenblick an tauchten, sozusagen als Folge davon, die Körper auf. Mein Körper, der Körper meiner Mutter, der Körper meines Bruders, die Körper der Jungen aus der Nachbarschaft, mit denen ich spielte, die Körper der afrikanischen Frauen auf den Wegen in der Nähe des Hauses oder auf dem Markt am Fluss. Ihre Statur, ihre schweren Brüste, die glänzende Haut ihres Rückens."

Noch heute packe es ihn, wenn er Bilder aus Afrika sehe: Dann "spüre ich, wie mein Herz schneller schlägt, und dann habe ich das Gefühl, die Ebene wiederzuerkennen, über die wir jeden Tag, wilden Tieren gleich, ohne bestimmtes Ziel in der Nachmittagshitze rannten". Der Leser kann diese Magie dank der körperlichen, ergreifenden und nie klischeehaften Schilderungen ahnen.

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