Montag, 7. November 2016

Umberto Eco: Nullnummer

Sein letzter Roman, 2015, ein Jahr vor dem Tod des Autors, erschienen, ist noch einmal ein echter Eco. Es geht um Medien, um Sprache und Worte, um Geschichte, geheime Machenschaften und Verschwörungen. Gleichzeitig ist dieser Roman, der im Mailand des Jahres 1992 spielt, politischer als seine sechs Vorgänger.

1992 war ein Jahr der Umwälzungen in Italien. Richter Giovanni Falcone wurde ermordet, groß angelegte Korruptionsermittlungen brachten die lange beherrschende Partei Democrazia Cristiana komplett zu Fall. All dies wird im Buch nur am Rande gestreift, schwingt aber immer mit.

Protagonist ist der Journalist Colonna, der für die Zeitung Domani schreibt. Ein Redakteursteam produziert Nullnummern für das Blatt, das in Wirklichkeit nie erscheinen soll - das wissen aber nur Colonna und der Chefredakteur Simei. Vielmehr möchte sich der Herausgeber, ein Provinzpolitiker und zweitklassiger Verleger namens Vimercate - deutliches Vorbild ist Silvio Berlusconi - mit der Androhung dieser auf Skandale, Enthüllungen und investigativen Journalismus angelegten Zeitung Zugang zu einflussreichen Kreisen erpressen. Die Redaktionssitzungen durchziehen zynische Überlegungen: Wie können die Leser am geschicktesten manipuliert, bevormundet und hinters Licht geführt werden?

Einer der Redakteure, Braggadocio (deutsch: Prahlhans), offenbart Colonna eine große Theorie, die er über Jahre gesponnen hat: Im Mittelpunkt steht Benito Mussolini, der 1945 nicht von Partisanen erschossen wurde, sondern in einem Versteck ausharrte, um durch einen Staatsstreich wieder an die Macht zu kommen. Alles, was zwielichtigen Rang und Namen hat, ist in diesen Skandal verwickelt: Vatikan, CIA, Stay-behind-Organisationen wie die paramilitärische Gruppe Gladio... Eines Tages wird Bragadoccio erstochen aufgefunden und Colonna, der eine Diskette (wir sind im Jahr 1992 und Eco liebte die physischen Medien!) mit belastendem Material besitzt, fürchtet um sein Leben.

Bis er zufällig im Fernsehen eine BBC-Dokumentation sieht, in der genau die von Bragadoccio vermuteten Machenschaften offen thematisiert werden. Lediglich die allzu abenteuerliche Theorie von Mussolini fehlt. Wie Colonna feststellen soll, löst die Doku weder ein politisches Erdbeben aus, noch interessiert sie irgendjemanden. "Ach ja? Interessant", sagen die Leute und gehen weiter ihren Geschäften nach. Schmutzige Wäsche wird längst nicht mehr im Verborgenen, sondern öffentlich gewaschen. Warum auch nicht? Dieser letzte, gekonnte Dreh setzt der Story, die als politische Satire angelegt ist, den perfekten, desillusionierenden Schlusspunkt.

Wie eigentlich alle Eco-Romane liest sich auch "Nullnummer" etwas zäh im Mittelteil. Er muss einfach so viel erklären. Diese undankbare Aufgabe hat Braggadocio übernommen, der Mythomane, der hinter jeder Ecke eine Verschwörung wittert. Manches ist umständlich und wortreich umschrieben, vieles Italien-spezifisch und für Mitteleuropäer nicht unbedingt nachzuvollziehen. Zum Beispiel auch die Darstellung des Journalismus, die von vielen deutschen Rezensenten kritisiert wurde. So würde Journalismus in Deutschland nicht laufen. In Südeuropa läuft er aber anders. Irgendeinen Unterschied muss es geben.

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