Sonntag, 10. Juni 2012

Das Buch der Grotesken

Eine Anthologie von fantastischen und satirischen Erzählungen aus dem Jahr 1914, die ich auf dem jährlichen Büchermarktplatz in Waiblingen - der übrigens immer einen Besuch wert ist - gefunden habe.

"Ein lustig-grausig-buntphantastisches Siebenundzwanziggeschichtenabenteueralbum, für Leute, die nicht schlafen gehen wollen", beschreibt der Herausgeber Felix Lorenz die wilde Sammlung, die von Lukian über die Geschichtenerzähler der Renaissance und die Schelmenromane um Lazarillo de Tormes, Schelmuffsky und Pantagruel, die Meister des Geisterhaften, E.T.A. Hoffmann ("Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde") und Edgar-Allan Poe ("Hopp-Frosch") bis hin zu damals zeitgenössischen Autoren wie Jakob Elias Poritzky und Victor Auburtin alles einsammelt, was unter grotesk zu verstehen ist.

Lorenz schreibt: "So kommt es, dass in den Bereich der Groteske das Grausig-Phantastische ebenso wie das Barock-Satirische und das schlechthin Burleske hineingehören - sie finden sich dort unter dem Zaubermantel eines überlegen spielenden Dichterwillens zusammen." So findet sich denn Mark Twain neben Paul Scheerbart, Christian Reuter neben Villiers de L'Isle-Adam.

Besondere Schätze sind H. G. Wells Besuch mit dem kleinen Sohn im skurrilen Zauberladen, dessen Besitzer unaufhörlich Tricks vorführt, bis die Situation aus dem Ruder läuft, aber auch Brjussows Geständnisse eines grausigen Traumwandlers, der aus reiner Mordlust seine Frau schlachtet. Fabelhaftes Seemannsgarn spinnt Ewald Gerhard Seeliger in der Robinsonade "Hein Krukenbargs Paradies".

Auch wenn die von Lorenz ausgewählten Zeitgenossen nicht alle mit den Klassikern mithalten können und manches (besonders im Bereich der Satire) doch recht gewollt und gespreizt ist, macht es Spaß, beim Lesen die Lügner und Prahlhänse, Paradiesvögel und Blender, Dämonen und Psychopathen, Hypnotisierten und Besessenen, Homunculi und Doppelgänger, Geisterbeschwörer und Hypnotisierten vorbeidefilieren zu sehen. Schaurigschön.

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