Donnerstag, 14. November 2024

Martin Suter: Melody

Wieder ein Suter, wieder ein gelungener, unterhaltsamer Krimi. Diesmal geht es um das mysteriöse Verschwinden von Melody kurz vor der Hochzeit - und die lebenslange, weltweite  Suche ihres Verlobten Dr. Peter Stotz nach ihr - seiner großen Liebe. 

Dr. Stotz' (ja, er wird ständig mitsamt  seinem akademischen Grad erwähnt) ist Schweizer Parlamentsabgeordneter (Nationalrat), Geschäftsmann, wohlhabend, einflussreich und kann sich alles - und jeden - kaufen. Doch bei der Suche nach der Buchhändlerin Melody, die wegen ihrer Liaison mit dem 20 Jahre älteren Dr. Stotz von ihrer marokkanischen Familie verstoßen wurde, hilft ihm das nicht. Gegen Ende seines Lebens beauftragt er den jungen Juristen Tom Elmer, sein Leben in seinem Sinne zu dokumentieren - gegen fürstliche Bezahlung, natürlich.

Tom erlebt Stotz' Lebensgeschichte nach und begibt sich selbst auf die vertrackte Suche nach Melody. Natürlich kommt alles anders und die Handlung schlägt mehrere Volten. Suter, der meistbesprochene Autor in diesem Blog, hat Besseres und Schlechteres geschrieben, aber diesmal stimmt vor allem das Timing perfekt. Detaillierte Beschreibungen von bezaubernden Landschaften, luxuriöser Kleidung, ausschweifendemEssen und vor allem Trinken streut der Erzähler immer genau dann ein, wenn der Leser es vor Spannung und Erwartung nicht mehr aushält. So funktioniert das.

Montag, 11. November 2024

Rolf Dobelli: Die Kunst des guten Lebens

Klar, denke ich mir, Rolf Dobelli, schnöseliger Schweizer Business- und Selbstoptimierungs-Guru… aber: Der Mann weiß offenbar wirklich einiges über das gute Leben. Ob er selbst eins führt, ist nicht so wichtig. Hauptsache, er kann erklären, worauf es ankommt 

Und das ist nichts Weltbewegendes (warum sollte es das auch sein). Das ist  Altbekanntes: Gelassen bleiben, sich nicht so wichtig nehmen, Unveränderliches akzeptieren, nicht an Äußerlichkeiten, Besitz, Ruhm kleben (spätestens mit dem Tod ist alles weg), im Hier und Jetzt leben.

Dazu: Weglassen, nicht zu allem und jedem eine Meinung parat haben, das wertvolle Gut Aufmerksamkeit nicht verschwenden, sinnlose Zeitfresser-Gadgets und Berieselung abstellen, gegenüber Mitmenschen nicht Authentizität, sondern Verlässlichkeit kultivieren, nicht übertrieben die eigene Gefühlswelt ergrübeln.

Und schließlich: Erreichbaren Zielen statt vermeintlichen Berufungen folgen, Erwartungen nicht übertreiben, in das eigene, eng umrissene Kompetenzfeld und die eigene „mentale Festung“ investieren, nicht immer die erstbeste Variante wählen. 

Alles simpel, alles nicht neu. Die drei Quellen, aus denen Dobelli hier schöpft, nennt er ganz explizit  in seinem Nachwort. Unverkennbar die philosophische Schule der Stoiker. Zweitens Investment-Literatur. Besonders sticht hier Warren Buffett heraus, der offenbar ein ähnliches Buch geschrieben haben muss, so oft wie Dobelli ihn zitiert. Drittens die Erkenntnisse der jüngeren psychologischen Forschung.   

Besonders ist, dass Dobelli Strategien zusammengetragen hat, praktische Lifehacks, die wirklich das Zeug dazu haben, das Leben glücklicher zu machen

Meistens geht es nur darum, um die Ecke zu denken, uns vielleicht ein bisschen selbst zu überlisten. Wenn wir es richtig anstellen, ärgern wir uns nicht mehr unnötig über Strafzettel und stellen mithilfe der mentalen Subtraktion (etwa, wenn wir uns intensiv vorstellen, wie es wäre, blind zu sein) fest, wie glücklich wir doch eigentlich sind.

Wir korrigieren und justieren unser Handeln ständig, denn nichts ist in Stein gemeißelt. Wir legen uns wenige, unverhandelbare Prinzipien zu. Und wir vermeiden Fehler. „Tun Sie nichts Falsches, dann passiert das Richtige“. Das könnte klappen, denn was falsch ist und uns unglücklich macht - davon haben wir eine viel klarere Vorstellung als vom Glück. 

Ja, manches ist banal, anderes leicht gesagt und schwer getan, manche Tipps widersprechen sich. Macht nichts, wer es gar nicht ausprobiert, verpasst etwas. 

Gut gefallen hat mir das Kapitel über das Bücherlesen. Der Autor  empfiehlt, als junger Mensch möglichst viel aus möglichst vielen verschiedenen Genres zu lesen, um sich einen Überblick zu verschaffen (habe ich gemacht), später dann nur noch sehr selektiv das zu lesen, was gut ist (versuche ich), das dann aber dafür gründlich (mache ich) und am besten zweimal (wieder eine gute Idee). Dieses Buch eignet sich auch zum zweimaligen Lesen. Definitiv.

Sonntag, 20. Oktober 2024

Gaea Schoeters: Trophäe

Irgendwo in Afrika: Ein US-amerikanischer Großwildjäger scheitert an einem Nashorn und akzeptiert stattdessen das Angebot, gegen fürstliche Bezahlung einen Menschen – den Angehörigen eines indigenen Volkes – bis zum Tod zu jagen. Die Idee ist unerhört und verspricht Spannung. Tatsächlich ist der Roman der flämischen Autorin Gaea Schoeters als philosophische Betrachtung über Jagen und Gejagtwerden, Leben und Sterben, Kampf und Wagnis angelegt. 

Dennoch war er für mich mühsam zu lesen. Das liegt daran, dass es der Autorin nicht gelingt, lebendige Sprachbilder - Kino im Kopf - zu erzeugen. Stattdessen greift sie auf blutleere Floskeln und platte Klischees zurück: Die „Fingerspitzen kribbeln, „eine unangenehme Spannung hängt in der Luft“, „sein ganzer Körper begehrt auf“ und die indigenen Jäger sind „eins mit der Natur und trotzdem überlegen“. 

Schade.

Freitag, 27. September 2024

Birgit Vanderbeke: Alberta empfängt einen Liebhaber

„Es gibt Momente, in denen das Leben plötzlich anhält, weil es sich verschluckt hat. Es verschluckt sich, hält an und hält die Luft an, es hält eine ganze Weile die Luft an und weiß nicht, wie es weitergeht, und schließlich atmet es aus, und bis es wieder den Rhythmus findet, Könnte man denken, dass es vergessen hat, wie es sich atmet, aber dann atmet es wieder durch und geht weiter. Aber es hat einen Moment lang angehalten, und etwas bleibt verschluckt und in dem angehaltenen Augenblick eingesperrt…“

Von 1997. Das waren Zeiten. So schreibt heute niemand mehr. So denkt heute niemand mehr. Schreiben und sich platte Handlungen ausdenken (die dämlicher gar nicht gehen, aber das ist ja egal, das interessiert ja nicht), macht heute die KI. Wie viel dadurch doch schon verloren gegangen ist…

Also: Birgit Vanderbeke (1956-2021) lesen, ist ein großer Genussgewinn. Erzählt wird in wunderschöner Sprache und in verschachtelten Ebenen von der Liebe. Es will der Erzählerin nicht gelingen, dieses Ding Liebe zu fassen - und dieses Scheitern fasziniert.

Alberta und Nadan lieben sich lebenslang, auch wenn oder weil sie sich immer nur in kurzen Episoden begegnen. Daneben leben beide ihr jeweils eigenes (Familien)Leben. Sie lieben sich aber „womöglich nur mit dem Kopf und der Seele“. Im wirklichen Leben stört Alberta sich an den profanen Gurgelgeräusch, das Nadan beim Zähneputzen macht: Liebe ist nicht profan. Und Liebe im Kopf ist leichter als Liebe im Leben. Aber das ist nur die Oberfläche, die wirkliche, tiefere Ursache, warum diese beiden endlos aneinander vorbei lieben, kann die Erzählerin einfach nicht ergründen.

Samstag, 14. September 2024

Ingomar von Kieseritzky: Fortune oder die Tücke des Objekts

Weimar, 1854: „Was für ein ödes, müdes Kaff!“ 

In diesem kleinen, aber gehaltvollen Hörspiel des Schriftstellers Ingomar von Kieseritzky (1944-2019) reist eine englische Gruppe von Sammlern - darunter auch eine Lady - nach Weimar. Um einen seltsamen Wunderkammer-Pavillon in der auszustatten, suchen sie nach Devotionalien und kostbare Hinterlassenschaften der alten Klassiker. Aber so einfach, wie sie sich das vorgestellt haben, ist es nicht. 

Was sind finden, sind elegant verpackte, zeitlose Wahrheiten über das Sammeln und Horten, Erinnern und Vergessen, Bewahren und Befreien, den Wert der Gegenstände und die Frage, was mit uns ist, wenn wir endlich bekommen, was wir immer gesucht haben. Hörenswert!

Freitag, 13. September 2024

Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme


Der dichtende Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz erzählt in 19 unerwiderten Briefen von seinem Besuch auf der Insel Eydernorn, wo er seine Bücherstauballergie auskurieren möchte. Aber dieses wundersame Eiland mit 111 Leuchttürmen, seltsamen Bräuchen und noch seltsamerem Getier faszinieren den Lindwurm einfach zu sehr, um hier in Ruhe Kuranwendungen über sich ergehen zu lassen. Er hat viele Fragen…. zu viele?


Ja, Walter Moers ist der große Mann der deutschen Literatur. Aber sein zweiter Vorname ist Längen. Er ist manchmal einfach zu verliebt in seine Einfälle, wälzt sie umfassend und mit allem, was Sprache hergibt, aus. Ist ja auch gut so. Man muss sich eben durchfressen.

Und das lohnt sich ja dann auch. Wenn ein genial porträtierter Widergänger Gottfried Benns als Kurarzt praktiziert. Wenn Mythenmetz jedes Maß verliert beim Speisen im Gasthof Fackelfisch, in dem ausschließlich Getier aus den untersten Meerestiefen serviert wird. Wahrscheinlich wurde nie ein Restaurantbesuch in deutscher Sprache origineller, ideenreicher beschrieben.

Mythenmetz bereichert Moers‘ Kosmos Zamonien - hier gibt es keinen Computer, kein Telefon, kein Radio, keine Fotografie, Elektrizität? Eher nicht. Dampfmaschinen? Denkbar - Mythenmetz selbst bringt da-Vinci-gleich Erdindungen wie die Zahnseide, den Teebeutel, den Strandkorb und die Postkarte hervor. Er entdeckt das Zen in der Kunst des Krakenfiekens - des golfähnlichen Inselsports. Und er will alles über diese maritime Welt wissen.

„Sie haben an ein paar Leuchtturmtüren zu viel geklopft, und jetzt hängen Sie am Haken“, raunt ihm die Eydeertin Nephelenia Mauersegler kurz vor dem großen Showdown zu.

Keine leichte Kost und deshalb ein Hochgenuss. Oder umgekehrt.

Sonntag, 21. Juli 2024

Harry Mulisch: Augenstern

Erzählt mit der faszinierenden Logik eines Traums, schwingt sich diese federleichte Sommerschelmengeschichte zu einem Meisterwerk der Weltliteratur auf.

Der Zweite Weltkrieg ist eben erst vorbei, als sich ein 18-jähriger Niederländer nach Italien durchschlägt. Als Tankwartsgehilfe in Rom trifft er die millionenschwere Mme Sasserath - Witwe des Sicherheitsnadel-Erfinders - die ihn auf ihr Anwesen nach Capri mitnimmt. Großzügig ermöglicht die 87-Jährige ihm in mythisch-mediterraner Umgebung, seinen Traum vom unabhängigen Schriftstellerdasein auszuleben, wenn er ihr im Gegenzug Gesellschaft leistet. Sie erwählt ihn sogar - zum Zorn ihrer Entourage, die in ihm den Erbschleicher sieht - sie auf der Jungfernfahrt im Sessellift auf den Vesuv zu begleiten. Das monumentale Bauwerk (dessen Bauform an eine gigantische Sicherheitsnadel erinnert) hat Madame der Republik Italien soeben spendiert. Der Lift steigt immer höher. Doch plötzlich ist Mme Sasserath spurlos verschwunden.

Mme Sasserath, der er alles zu verdanken hat, verschwindet schnell - ohne, dass ihn das sonderlich schmerzt. Er ist jetzt der Schriftsteller, er schafft das Szenario und lässt die Puppen darin tanzen. 

In unschlagbaren Bildern fasst Mulisch die Jugend. Wer jung ist - es stimmt wirklich - weiß mehr und blickt mehr hinter die Dinge als er es später kann. In einem jungen Mensch steckt alles, jede Idee, jede tiefe Einsicht, von der er je erzählen wird. 

Wer älter wird, wird vielleicht demütiger und gelassener, befolgt Regeln und tut sich leichter, anderen Gedanken näher zu bringen. Vielleicht lernt er auch, Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden. Vielleicht. Von alleine geht nichts. Vielleicht bezahlt er auch einen Preis. Sie geht verloren, die taugenichtsige Dreistigkeit. Man könnte sie auch Mut nennen. Einfach hineinspringen. Sich das zu erhalten, ist auch eine Lebensaufgabe. Noch besser ist es, das wie Mulisch (1927-2010) in Worte fassen zu können. 

Und es war alles, alles gut.