Samstag, 14. Januar 2017

Tim Parks: Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen

Eine Sammlung von Essays, die sich mit Literatur, Schreiben und  Lesen auseinandersetzen. Verfasst hat sie der britische Romancier, Rezensent, Sachbuchautor und Übersetzer (er übertrug unter anderem Italo Calvino ins Englische) Tim Parks. Parks lebt  seit 1981 in Italien und lehrt dort Literatur.

In meinem Regal steht Parks jetzt zwischen Umberto Ecos "Die Kunst des Bücherliebens", Alberto Manguels "Die Bibliothek bei Nacht", Jacques Bonnets "Meine vielseitigen Geliebten", Hektor Haarkötters "Der Bücherwurm" und Robert Gernhardts "Der Weg zum Erfolg".

Parks Essays unterscheiden sich von unzähligen anderen Büchern zum Thema nicht nur im ironischen, pointierten und hemdsärmeligen Ton, der die Materie mit trockenem Humor und äußerst schlagfertig anpackt. Der Autor hat auch inhaltlich großen Spaß an der Rolle des Advocatus diaboli, der so ziemlich alle Gewissheiten infrage stellt und zu allen gängigen Meinungen leidenschaftlich Gegenpartei ergreift.

Manche seiner Thesen erscheinen offensichtlich: Etwa von der Ambivalenz des modernen Schriftstellers, der den Mythos vom rebellischen Nonkonformisten pflegt, sich aber gleichzeitig prostituieren muss, um den Gesetzen des Marktes zu entsprechen. Oder, dass man ein Buch nicht unbedingt zu Ende lesen muss, um es als Gewinn und Genuss zu empfinden. Manchmal reichen eben einzelne Stellen, die sich besonders lohnen, den Sinn erschließen oder überaus geglückt sind. Ich füge hinzu: Aufgabe eines Rezensenten sollte sein, diese Stellen den Lesern zu empfehlen. In diesem Buch wären es beispielsweise die ersten beiden Kapitel.

Manches ist erhellend. Etwa, dass die besondere narrative Form des Romans - mithin die Königsklasse literarischen Schreibens - zur ich-Vergewisserung und Selbsterfindung des Subjekts beiträgt, weil sie erst das Konzept des einzigartigen, handelnden Menschen mit einer Geschichte, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mit (gescheiterten) Plänen, Widersachern etc. schafft. Der moderne Mensch braucht diese Geschichten, die sein Ich stärken, zwar nicht, findet Parks. Es gibt aber, wie er in einem anderen Kapitel feststellt, keine andere narrative Methode, die dem Roman Konkurrenz machen könnte.

Manches erscheint zumindest fragwürdig. Wenn Parks über den Zusammenhang von Schriftstellern, ihrem Werk und ihrer Rezeption philosophiert, bringt er die Theorien der italienischen Psychologin Valerio Ugazio ins Spiel, die von "semantischen Polaritäten" spricht. Die Begriffspaare, die in der Familie eines Menschen (eben auch Schriftstellers oder Lesers) wichtig sind, prägen ihn und sein Werk  oder seine Art zu lesen, ein Leben lang. Ging es in der Kindheit eher ums Gut- oder Böse-sein oder waren Mut versus Angst ausschlaggebend? Auch, wenn ich Parks hier nicht immer folgen kann, so sind die Essays zu diesem Thema doch mit schönen Details und Anekdoten aus dem Leben vor allem angelsächsischer Schriftsteller illustriert.

An einigen Stellen teile ich Parks' oftmals bewusst provokante Thesen nicht. Dass das Lesen eines guten Romans so sei könnte, als erlebe man eine Situation selbst und tauche in fremder Menschen Gedanken und Gefühle ein, wischt er als "Unsinn" beiseite. Ich glaube, dass Bücher durchaus diese Wirkung haben.

Mehrere Kapitel sind der gleichgeschalteten "Welt"-Literatur gewidmet, die in unserer Zeit aufgrund der Dominanz und Beliebtheit der anglo-amerikanischen Kultur entsteht. Schriftsteller allerorten versuchen sich in ihren weichgespülten und sogar sprachlich angepassten Werken, dieser dominierenden Lebenswelt anzupassen, ihre Werke möglichst leicht ins Englische übersetzbar zu gestalten. Europäische Leser wiederum greifen mit Vorliebe auf (übersetzte) Werke US-amerikanischer Autoren wie Jonathan Franzen zurück, weil sie sich als "Weltbürger als passive Beobachter der amerikanischen Kultur" empfinden. Was verloren geht, ist die intensive Beschäftigung der Autoren mit der eigenen Sprache und dem eigenen Kontext, die bereichernd wäre, aber der globalen Vermarktbarkeit widerstreben würde.

Ausgenommen sind freilich die selbstzufriedenen englischsprachigen Autoren, die ihre Lebenswirklichkeit bis ins Kleinste thematisieren und davon ausgehen können, dass sich die gesamte lesende Welt dafür interessiert. Parks macht sich lustig darüber, wie diese Autoren ihre weltweite Wirkung überheblich der hohen Qualität ihrer Literatur zuschreiben.

Nun ist zu sagen, dass der Engländer Parks - und das weiß er auch - selbst auf dieser Welle schwimmt. In seinen Beispielen ist er, bis auf wenige Ausnahmen, zentriert auf die angelsächsiche Literatur, als habe es noch nie etwas nennenswertes anderes gegeben als  D. H. Lawrence, Thomas Hardy, Samuel Beckett, Barbara Pym James Joyce, William Faulkner, Aber wer will es ihm verdenken - das ist sein Fach. Und das Ganze ist eben auch nur eine Übersetzung aus dem Englischen.

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