Weg mit dem Teufelszeug! Wie schön könnte doch die Welt sein ohne dieses... aber tja.
Es ist schon paradox: Ohne dieses Internet würde schon mal keiner meiner Gedanken nach außen dringen. Trotzdem. Jan Heidtmann hat natürlich Recht in seiner rund 50-seitigen Streitschrift, die den Untertitel "Das Digitale frisst uns auf" trägt.
Das "Internet selbst hat sich gegen die Menschheit gewendet", findet Süddeutsche-Redakteur Heidtmann und rennt offene Türen ein. Bei fast allen von uns, würde ich sagen. Oder? Er zählt auf, was wir eigentlich wissen: dass wir gefangen sind im Netz mit seinen undurchsichtigen Algorithmen, seiner von wenigen Konzernen beherrschten Struktur, seiner Datensammelhabgier, seiner undemokratischen und unsympathischen Organisation. Wer hat sie nicht, die lichten Momente, in denen er wünscht: Könnte man das Ding doch abschalten.
Stattdessen spielen wir das Spiel mit. Weil, wie der Autor selbst im Schlusskapitel zugibt, das Internet "einfach zu gut" ist. Weil es uns beispielsweise Kontakte mit echten, realen Menschen ermöglicht. Und so nehmen wir in Kauf, dass unsere Bewegungen verfolgt und gespeichert werden, dass die versprochene Vielfalt längst einem massen- und algorithmenkompatiblen Einheitskommerz gewichen ist, dass Vereinfachung und verrohter Holzhammer-Diskurs (siehe Donald Trump) triumphieren. Und finden nichts dabei, uns selbst ausbeuten zu lassen: "Die Träger der Internetwirtschaft, sie sind Schmarotzer, die sich auf Kosten der Gesellschaft bereichern."
Heidtmann argumentiert stringent und klar. Sein Essay ist wunderbar einseitig, oft pauschal.
Damit entfaltet er eine wesentlich größere Wucht
als etwa Internet - Segen oder Fluch vor sieben Jahren.
Lösung präsentiert Heidtmann keine. Er schlägt keinen großen Wurf - es muss ja nicht gleich das Abschalten sein - vor, sondern lobt im Schlusskapitel einzelne Schritte der Politik hin zu mehr Datenschutz und Wettbewerb: Datenschutzgrundverordnung, EU-Urheberrecht, Kartellstrafen für Google & Co. Kleine Schritte, immerhin, aber - und das bemerkt der Autor zu Recht: Späte Reaktionen auf eine Situation, in der die Internetkonzerne längst Fakten geschaffen haben.
Es ist nur ein Anstoß, ein Gedanke - kein Gedankengebäude. Vielleicht regte er zum Weiterdenken an? Ist das Internet so wie es ist, weil es ein Spiegel unserer Zeit, unserer Welt ist? Hat es sich zwangsläufig so entwickeln müssen? Oder nicht? Ist irgendwann in der 50-jährigen Geschichte des Internets etwas schief gelaufen? Was? Und wer schickt den Besen jetzt wieder in die Ecke?
Jan Heidtmann. Internet abschalten. Das Digitale frisst uns auf. Süddeutsche Zeitung Edition 2019. 9,90 Euro
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