Warum muss es nur so traurig sein? Dieses bezaubernde Märchenbuch, gedruckt 1947 in Wien und illustriert von Valerian Gillar, erinnert mich an eine Fernsehserie meiner Kindheit: Märchen der Welt - Puppenspiel der kleinen Bühne. Ich mochte diese Geschichten eigentlich nicht. Sie waren so voller todtrauriger Szenen, dass auch ein Happy End nicht mehr tröstete. Die geschnitzten Theaterpuppen (ich glaube, es war eine griechische Produktion) besaßen so schrecklich traurige unveränderliche Gesichtsausdrücke, dass man ihnen die Wendung zum Guten gar nicht abnahm.
So ähnlich geht es mir mit diesem absolut liebevoll gestalteten Buch: Im alten China tritt der Fluss Hoangho über die Ufer und überschwemmt alles Land. Unter den wenigen, die ihre Leben retten können, ist der bis dahin wohlhabende Gutsbesitzer Kuei Li mit seiner Frau Lusung. Auf einem Totenhügel, der über die Fluten hinausragt, bringt Lusung inmitten der Wassermassen ihr Kind zur Welt: Lien Hua - Lotosblüte. Mit einem Boot gelingt der Familie die Flucht, aber in dem Dorf, in das sie fliehen, werden sie nicht glücklich. Keine Arbeit, zu wenig Essen, keine Almosen, es droht ihnen der Hungertod.
In ihrer Not beschließt Lusung das verhungernde Kind auszusetzen: Sie bringt es nicht über das Herz, doch ehe sie das Bündel wieder an sich nehmen kann, sind Piraten zur Stelle, kidnappen sie und das Kind und verkaufen beide in die Sklaverei. Auf der Sklavenplantage schließt sich Mutter und Tochter der Junge Yang an, der von seinen Eltern verkauft wurde. Gemeinsam beginnen die drei eine abenteuerliche Flucht, während der der jungen Lotosblüte immer wieder ihre unfassbare Schönheit zum Verhängnis wird.
Die Sprache dieser Erzählung ist ungemein poetisch. Einfach und klar wie ein geschliffener Edelstein, wenn es um das Wesentliche geht. Ausgeschmückt und prächtig fabulierend, wenn Landschaften, Paläste und Bräuche geschildert werden. Und dramatisch, wenn die drei Flüchtenden in Gefahr sind. Und es gibt ein Happy End. Aber was bleibt, ist Traurigkeit.
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