Zwischen Weihnachtskommerz und Christmas-Kitsch gehören Krippen zu den authentischen Dingen, die an den Sinn des Festes erinnern. Sie verbinden Religion, Kultur, Brauchtum, Kreativität, Kunst, Handwerkstradition und Familienvergnügen. Das neu erschienene „Schwäbisch-alemannische Krippenbuch“ zeigt, dass die Menschen im Südwesten ihre „Krippele“ seit jeher geliebt haben und es heute noch tun: Eine „postmoderne Welle der Krippenbegeisterung“ in Baden-Württemberg und Bayerisch-Schwaben machen die Autoren anhand von Krippenwegen, Krippenbauervereinen, Ausstellungen und Museen aus.
Einst brachten die Figuren und Miniaturlandschaften den Menschen in Kirchen und Klöstern das Heilsgeschehen näher. Eine Blüte erlebten sie im Barock, als großartige Klosterkrippen wie in Gutenzell oder Bonlanden entstanden, die noch heute erhalten sind. Vor allem das sogenannte schwäbische Krippenparadies rund um Günzburg und Krumbach birgt barocke Schätze.
Die typisch schwäbische Krippe war als Hügel angelegt. Sie zeigte nicht nur die Geburt des Christkinds zwischen Ochs und Esel, sondern auch andere biblische Szenen, die nach einem festen Kalender durchgewechselt wurden: Anbetung der Hirten, Flucht nach Ägypten, Kindermord des Herodes, Beschneidung Christi, Heilige drei Könige, Predigt Jesu und Hochzeit zu Kana. Einige Krippen stellten das Leiden und die Kreuzigung Christi dar, wie die mehrstöckige Passionskrippe von 1720, die das Schwäbisch Gmünder Museum im Prediger beherbergt.
Unangefochtene Krippenhauptstadt ist Augsburg, wo im Dom eine zwischen 1550 und 1590 entstandene Krippe zu sehen ist. Neben Mindelheim, Rottenburg und Rottweil zählen die Autoren Ellwangen zu den Krippenstädten. Im dortigen Kapuzinerkloster existierte im 18. Jahrhundert eine Krippe mit schwebenden Engeln, die Helfer vom „Engelesboden“ auf die Krippe abseilten. Die Stubenvoll-Krippe im Schlossmuseum gehört zu den bedeutendsten noch heute erhaltenen Barockkrippen.
Auf die Blüte folgte der Bildersturm: Zwischen 1780 und 1840 wurden Krippen vielerorts in Südwestdeutschland verboten. Von „unanständige Schauspielen“, und „buntscheckigen Figuren“, die das Haus Gottes entweihten, ist in Erlassen die Rede. „Das Krippele ist abgeschafft“, notierte ein Dorfpfarrer. Die Krippe wanderte nun in die Bürger- und Bauernstuben, wo sie bis heute Hause ist. In unserer Zeit erfährt die Krippe einerseits eine Kommerzialisierung, andererseits neue Impulse durch Künstler wie den Malerpfarrer Sieger Köder, der in einem Interview zu Wort kommt: Es gehe nicht darum, eine alte Geschichte darzustellen, findet Köder, sondern die Menschen von heute, zum Beispiel die Armen in aller Welt.
Das Krippenbuch bietet obendrein als weihnachtlicher Reiseführer viele Tipps für Entdeckungsausflüge an den Feiertagen, etwa in Klöster und Ausstellungen. So lohnt es sich, im Museum Würth in Schwäbisch Hall Krippen aus aller Welt zu besichtigen. Und schließlich ist es ein Bildband, der einlädt, sich für ein paar Minuten vom Geist der Weihnacht einfangen lassen.
Bernhard und Ingeborg Rüth: Schwäbisch-alemamnnisches Krippenbuch. 352 Seiten, 296 Abbildungen. Kunstverlag Josef Fink. 39 Euro.
Erschienen in Ipf- und Jagst-Zeitung, 13. Dezember 2014
Im September 2013 besetzte die Polizei Klosterzimmern, nahm alle 24 Kinder mit und brachte sie in Pflegefamilien oder Heimen unter. Die Prozesse am Nördlinger Amtsgericht wegen Misshandlungsverdachts laufen auch jetzt noch. Fünf Kinder ließ das Gericht zwischenzeitlich wieder zu ihren Eltern: Sie sind volljährig oder in einem Alter, in dem sie nicht mehr mit Rutenschlägen rechnen müssen. Zwei Kinder rissen im Frühling aus einem Heim aus. Die Polizei hat sie bis heute nicht gefunden. Noch 16 Kinder leben in Pflegefamilien oder Heimen.
Pleyer selbst beschuldigt sich offen als einer derjenigen, die Kinder mit Weidenruten „züchtigten“. „Ich war schockiert über mich selbst“, sagt der 45-Jährige, der eine Gemeinschaft in Stödtlen-Oberbronnen (Ostalbkreis) mit aufbaute und nach dem Umzug der Sekte 2001 nach Klosterzimmern als Lehrer tätig war. In der Regel schlug er die Kinder mehrfach am Tag im Heizungskeller, oft auf Wunsch der eigenen Eltern: Das verlangten die Sektenregeln. Selbst die eigene Tochter wurde Opfer: „Manchmal züchtige ich sie über Stunden, bis ihr Hintern wund ist.“ Es sei darum gegangen, den Willen der Kinder zu brechen.
Der US-amerikanische Sektengründer Elbert Eugene Spriggs, geboren 1937, leitete all diese Regeln aus der Bibel ab. Im Mittelpunkt der kruden Lehre steht die Idee vom nahen Endgericht, in dem alleine die Jünger der Zwölf Stämme vom „ewigen Tod“ verschont bleiben. Frauen seien den Männern untertan, Schwarze den Weißen. Homosexuelle müssten „geheilt“ werden. Vom Bibelvers „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn“ leiten die Zwölf Stämme das Gebot ab, Kinder zu züchtigen.
In Klosterzimmern hatte die Gemeinschaft 2006 vom Freistaat Bayern das Recht erhalten, die eigenen Kinder in einer „privaten Ergänzungsschule“ selbst zu unterrichten. „Der Staat wollte wegen der anstehenden Landtagswahlen keinen Aufruhr und hat das durchgewunken“, glaubt Pleyer. „Als Lehrer ist es ein Traumjob“, sagt der Aussteiger, der einst Sozialarbeit studierte. „Diese Kinder sitzen still und hören zu.“ Allerdings waren die Lehrinhalte ungewöhnlich: „Wörter wie Liebe, Gemeinschaft, Partnerschaft, Ehe und Freundschaft besitzen bei den Zwölf Stämmen eine andere Bedeutung. Selbstständigkeit, Kreativität und Gerechtigkeit sind nicht mehr wichtig.“ Während die Erwachsenen für ein Bopfinger Möbelhaus Küchen montierten und später mit ihrer eigenen Firma Solarpanels installierten, arbeiteten die Kinder auf dem Feld und in der Küche.
Obwohl Pleyer selbst in den Leitungszirkel aufstieg, disziplinierten ihn die rigiden „Ältesten“ immer wieder: Weil er vor der Hochzeit seiner Braut über den Rücken streichelte, durfte er sie sechs Wochen nicht sehen. Das ausgemachte Ziel, „die totale Kapitulation meiner selbst“, habe er nie erreicht. Deshalb kehrte er der Sekte nach einigen Jahren den Rücken – und kehrte bald darauf zurück. Das Leben draußen erschien ihm leer, er hatte kein Geld, keine Ausbildung, wenig soziale Kontakte, keine Hilfestellungen: „Ich hätte damals so ein Buch wie meines gebraucht“, sagt er.
Er ging zurück nach Klosterzimmern, heiratete. Als es ihm unmöglich wurde, die eigenen Kinder immer wieder zu prügeln, überredete er seine Frau – Tochter eines der „Ältesten“ –, nach Berlin zu fliehen. Die Frau ging zurück, Pleyer mit den Kindern später auch. Zur Strafe musste die Familie nun getrennt leben. „Ich war wie ein Aussätziger“, sagt Pleyer.
Vor vier Jahren schließlich die erneute Flucht: Wieder lief die Frau nach kurzer Zeit davon in den Schoß der Sekte, diesmal gab Pleyer auf. Er blieb alleine mit den nun vier Kindern.
Mitglieder der Zwölf Stämme beschreiben Pleyers Darstellungen als „unzutreffend“. In einem Internetblog bezeichnen sie ihn als „Karriereaussteiger“, der die Gemeinschaft seit Jahren „anzuschwärzen und sich zu rächen“ versuche. Wie auch Christian Reip (siehe Interview) mache Pleyer die Gemeinschaft für seine Familientragödie verantwortlich. Mehrfach sind Mitglieder der Zwölf Stämme seit der Razzia öffentlich aufgetreten. Dabei bestritten sie die „Züchtigungen“ nicht, wollen aber von „Schlagen“ nichts wissen. Auch „Misshandlung“ gebe es nicht.
„Sie glauben, als einzige richtig zu handeln“, erklärt Pleyer diesen Widerspruch. Für die „Heiden“ außerhalb der Gemeinschaft werde eine Show abgeliefert. „Wenn man nicht die Wahrheit sagt, heißt das nicht, dass man lügt“, habe sein Schwiegervater ihm einmal gesagt. „Der Druck von außen schweißt sie zusammen.“
Derzeit halte wohl die Tatsache, dass sie nicht über ihre Kinder verfügen können, die Sektenmitglieder davon ab, etwa nach Tschechien auszuwandern. Dort müssten sie mit weniger Kontrolle rechnen. Pleyer hat mittlerweile das alleinige Sorgerecht für die Kinder. Er möchte sich von seiner Frau scheiden lassen. Er ist ihr nicht böse: „Sie denkt, das sei die wahre Liebe: Wenn sie Gott treu ist, wird Gott die Kinder erretten.“ Ab und zu schreibe sie noch Briefe. Von der „babylonischen Gefangenschaft“ sei darin die Rede.
Sein Geld verdient Pleyer mit einem kleinen Imbiss an der Bundesstraße. Er träumt davon, in einer Beratungsstelle Sektenaussteigern zu helfen – und damit auch die eigenen Alpträume zu therapieren. Eine Angst bleibt: „Dass sie meine Kinder entführen.“
Erschienen in Schwäbische Zeitung, 5. November 2014
Interview mit Aussteiger Christian Reip: "Ich habe wahnsinnige Angst, verletzt zu werden"