Montag, 22. Februar 2021

Camilla Grudova: Das Alphabet der Puppen

Diese 13 Stories der kanadischen Erzählerin Camilla Grudova oszillieren zwischen Steampunk und Schauerromantik, Gothic Novel und Märchen, Horror und magischem Realismus, E. T. A. Hoffmann und Italo Calvino grüßen. Ein bisschen auch Franz Kafka - vor allem werden das diejenigen so empfinden, die noch nie etwas von Franz Kafka gelesen haben.

Grudovas Figuren vegetieren, vagabundieren, modern und verkriechen sich sich zwischen magischen Apparaturen, Brautkleidern, Dosenfleisch, Pfauenfedern, Kakerlaken, grässlichen Puppen und immer wieder Nähmaschinen, ersticken langsam, misshandeln, zerhacken, verbrennen sich, fressen manchmal auch ihre eigenen Kinder oder sich selbst auf.

Grudovas Bilder und Vergleiche rocken dabei richtig: „Edwards Eltern sahen wie zusammengeknüllte Kugeln aus Zeitungspapier und Stoff aus.“

Alles hat in diesem Panoptikum der Skurrilitäten seinen Platz: Verfaultes, Verdorbenes, Verwesendes, Fäkalien sind höchst ästhetisch drapiert. Angst, Beklemmung empfinden höchstens die Leser. Die Figuren handeln maximal gefühlsarm, unempathisch als gehorchten sie Zwängen und Notwendigkeiten. Das erinnert dann schon an Kafka 

Leider kommen wir Männer bei Grudova nicht gut weg. Im besten Falle sind wir treudoof, meist aber bösartige, sadistische Mängelwesen.

Ach ja: lesenswert!


Samstag, 6. Februar 2021

Haruki Murakami: Tanz mit dem Schafsmann


Von 1988. Die sympathische Hauptfigur, ein 34-jähriger geschiedener Journalist (der gleiche wie in Hurakamis vorherigem Roman Wilde Schafsjagd), macht sich auf die Spur einer Prostituierten, mit der er eine Zeit lang zusammen in einem schäbigen Hotel gelebt hat, die aber plötzlich verschwand. An der Stelle der heruntergekommenen Absteige steht nun ein Luxushotel gleichen Namens, aber in diesem Hotel versteckt sich unsichtbar das alte, schäbige Hotel, in dem hinter einem dunklen Flur der Schafsmann haust, der dem Protagonisten zur Seite steht und ihn mit anderen Personen, sich selbst und seiner Vergangenheit verbindet. Jener nähert sich der 13-jährigen Yuki, die von ihren prominenten Eltern vernachlässigt wird und seinem Schulfreund Gotanda, der ein unglücklicher  Filmstar geworden ist an. Es geschehen mehrere Morde, und zwei Polizisten unterziehen den Erzähler einer kafkaesken Verhörprozedur.

Schön, dass in den Achtzigerjahren noch nicht alles politisch korrekt war. Sie fahren im Auto einfach nur spazieren, rauchen, und bestellen sich Damen auf das Hotelzimmer. Wenn man jemand mal nicht telefonisch erreichbar ist, dann warten sie eben tagelang. Und auch Geschichten werden breit ausgekostet - das kontrastiert, gerade zum Schluss, mit dem halsbrecherischen Tempo, in dem hier erzählt wird.

Murakamis Sprache mit ihren genau treffenden Bildern ist ein Genuss. Im besten Stil des magischen Realismus lässt sie Gedanken weiter wachsen, ins Surreale, Fantastische, Traum- und Seelenzustände hineinwuchern, wo sich eine tiefere Wahrheit verbergen.