Mittwoch, 20. Februar 2013

Clemens Brentano: Das Märchen von Gockel und Hinkel

Ein bezauberndes hochpoetisches kleines Kunstmärchen von Clemens Brentano, in das man nicht zu viel hineininterpretieren soll. "In Deutschland in einem wilden Wald lebte ein altes Männchen, und das hieß Gockel." Und dieses Männchen erlebt mit seiner Familie und einer Menge Tiere ein aberwitziges Abenteuer, in dessen Verlauf er vom Alten zum Jungen, dann wieder zum Alten, dann zum Kind wird.

Auf die Handlung kommt es nicht an, den Charme machen die herrlichen Einfälle aus, mit denen Brentano diese Märchenwelt ausstaffiert. Das Königsschloss aus ausgeblasenen Eiern, die  hinterlistige mechanische Puppe, ein Wunschring, eine Mäusestadt, ein ultimatives Loblied auf den Haushahn und ein fast absurder Schluss. Dieses zeitlose Panoptikum  ist eine Kurzreise ins romantische Märchenland wert. Aber wie schmecken Jauersche Würste? Und warum wünscht sich niemand Gallina zurück?

Donnerstag, 14. Februar 2013

Tom Wolfe: Back to Blood

AhhhHAHHHAHAHHH HockHockHock – so sieht es aus, wenn in Tom Wolfes Roman „Back to Blood“ der Psychiater Norman Lewis lacht, ein schmieriger Emporkömmling, der pornosüchtige Promis behandelt. Überzeichnet, knallig und mit kursiven Lautmalereien gespickt wie ein Comic ist das, was sich auf 765 mit Seiten unter der Sonne Miamis abspielt.

Wolfe, 81, Miterfinder des „New Journalism“, Autor der New-York-Satire „Fegefeuer der Eitelkeiten“ von 1987 und notorischer Träger vanillefarbener Dandy-Anzüge, nimmt die Einwandererstadt in Südflorida aufs Korn.

Dort braust das, KLATSCH, Boot der Küstenpolizei. An Bord Nestor Camacho. Der gutmütig prollige Cop kubanischer Herkunft holt in einer zirkusreifen Aktion einen illegalen Einwanderer vom Mast einer Luxusjacht – um ihn retten, denkt Camacho. Um ihn zu verhaften und der Abschiebung preiszugeben, sagt der Rest der mächtigen, riesigen Kubaner-Gemeinde Miamis und macht dem Nestbeschmutzer Camacho das Leben zur Hölle. Durch waghalsige Aktionen will der Verzweifelte den Kopf aus der Schlinge ziehen – und der Spaß beginnt.

In weiteren Rollen: Ein russischer Maler, der, unschnajjjjjanuck literweise Wodka kippt und mit perfekten Kopien Miamis blasierte Kunstwelt narrt. Ein stiernackiger schwarzer Polizeichef. Die weißen Americanos, die in Miami zur aussterbenden Minderheit gehören: Darunter der publicitygeile Psychiater, der schwächliche, aber durchtriebene Sensationsreporter John Smith, die sexverrückten Teilnehmer der Columbus Day Regatta. Einer sagt: „Alle Menschen, überall, haben nur noch
einen Gedanken – Zurück zum Blut.“ Alle Figuren in Wolfes Roman, Latinos, Americanos, Schwarze oder Russen, denken, fühlen, handeln unablässig als Vertreter ihrer Ethnie, Herkunft, Rasse. Jeder gegen jeden. Schmelztiegel? Pustekuchen.

Wolfe gibt’s dem Leser mit dem Holzhammer – wie es sich für einen Groschencomic gehört. Und er
trifft. Sein Cocktail aus Gesellschaftssatire, Sex, Klatsch, Slapstick und schrägen Gags macht jede Menge Spaß.
(Bernhard Hampp)


Erschienen in Schwäbische Zeitung, 13. Februar 2013