Wie die deutsche Sprache geworden ist, was sie ist - und ja, sie ist immer noch im Werden - beschreibt der Germanist Karl-Heinz Göttert in diesem 2010 erschienenen Buch. Das Werk ist ein historischer Abriss mit einer knappen Analyse der Gegenwart sowie kurzem Ausblick.
Göttert zeichnet die Entwicklung des Deutschen nach, beginnt bei dessen germanischen Wurzeln und verdeutlicht, wie ihre Sprecher und vor allem Schreiber dieser Sprache nach und nach neues Land erschlossen haben:
Notker der Deutsche, der Heliand und Otfried von Weißenburgs Evangelienbuch den Kosmos des christlichen Glaubens,
die Minnedichtung die Welt des Höfischen,
die Predigten des Berthold von Regensburg Handwerk und Handel,
der Sachsenspiegel das Recht,
Mystiker wie Mechthild von Magdeburg und Meister Eckhart die menschliche Seele und ihre Tiefen,
die Prager Universität und Kanzlei das Behördentum.
Gestreift werden Luthers wegweisende Bibelübersetzung - die allerdings laut Göttert in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Deutschen überschätzt wird - die barocken Sprachgesellschaften, Aufklärer und Deutsch-Verfechter wie Christian Weise und Christian Wolff, Wörterbuchschmiede wie Johann Christoph Adelung und die Brüder Grimm, die Klassiker Goethe und Schiller und Literaten der Moderne, die das Spiel mit der Sprache auf die Spitze trieben.
Immer wieder stieß die deutsche Sprache in ihrer Entwicklung auf (lebensbedrohliche?) Widerstände, nicht nur durch Deutsch-Verweigerer wie den Humanisten Conrad Celtis oder den Preußenkönig Friedrich den Großen.
Anschaulich ist dargestellt, wie das Deutsche dabei immer von anderen Sprachen, dem Lateinischen, später dem Französischen und Englischen beeinflusst wurde, Wörter oder auch ganze Vokabularien übernahm, dabei dieses zugewanderte Vokabular aber mitunter vereinnahmte und in ihrem Sinne weiterentwickelte.
Weiterentwickelt hätte sich die Sprache aber auch nicht ohne die kreativen Köpfe, Sprachschützer, Literaten und Sprachverliebten, die ihr neue Wendungen und Wörter schenkten: Natürlich Luther, von dem die Dachrinne, der Lockvogel und Begriffe wie friedfertig oder nacheifern stammen. Mechthild von Magdeburg, die als erste von Eitelkeit und Finsternis schrieb. Joachim Heinrich Campe, dem wir fortschrittlich und Feingefühl zu verdanken haben, Georg Philipp Harsdörffer, Gründer des Pegnesischen Blumenordens, der passenderweise das Wort Gießkanne ersonnen haben soll, und Turnvater Jahn (den Göttert kritisch sieht), der Barren, Reck und Grätsche schuf.
So detailliert und aufschlussreich der historische Teil, so verwaschen und blass sind die Analyse der Ist-Situation und der Ausblick am Schluss. Göttert erwähnt zwar Befürchtungen, Deutsch könne bloßen Dialekt für den Hausgebrauch herabsinken und nach und nach verschwinden, wischt sie aber beiseite, ohne einen wirklichen Ausweg anzubieten.
Dass sich die deutsches Sprache in der Vergangenheit auch gegen Widrigkeiten behauptet hat, ist noch kein Argument dafür, dass es in Zeiten der Globalisierung genauso sein muss. Dieses Vorgehen frei nach dem kölschen Motto "Es hätt noch immer jot jejange" macht nicht wirklich Mut und lässt eher ratlos zurück. Götterts Fazit, "Die Zukunft des Deutschen liegt jedenfalls darin, sich in einem vielsprachigen Europa und einem mehrsprachigen Deutschland zu behaupten", klingt nach unverbindlichem Politikersprech. Schade. Was allerdings den historischen Abriss angeht, und der macht immerhin rund 90 Prozent dieses Buches aus: absolut lesenswert!