Montag, 1. Dezember 2014

Stefan Zweig: Schachnovelle

Manche Bücher lese ich wieder, und sie verlieren dabei den Status als Lieblingsbuch. Die Schachnovelle dagegen hat den Test heute wieder einmal bestanden. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten.
Auf einem Ozeandampfer treffen sich höchst unterschiedliche Gestalten am Schachbrett: Der technisch perfekte, aber dumpfe und geldgierige Schachweltmeister Czentovic, der stiernackige und ehrgeizige Millionär McConnor und der Österreicher Dr. B., der in einjähriger Gestapo-Gefangenschaft zum manischen Schachgenie wurde, weil er die tödliche Leere der Isolationshaft damit ausfüllte, im Geiste gegen sich selbst Schach zu spielen.

Für Zweig, der sich 1942 im brasilianischen Exil das Leben nahm, war die Schachnovelle das letzte Werk. Hier ist noch einmal in unglaublich dichter Form komprimiert, was schon für seine historischen Miniaturen galt: Zweig dringt tief in die Psyche seiner Figuren. Bei ihm liegen die Figuren auf der Couch.

Raffinierter geht es nicht: Zwei lässt zwei Ichs derselben Person gegeneinander Schach spielen. Was Dr. B. mit seinem Selbstversuch hervorruft, ist "der widersinnige Zustand, dass ein und dasselbe Gehirn etwas wissen und doch nicht wissen sollte". B. ist gespalten in ein Ich Schwarz und ein Ich Weiß.
 
Aber ist beim Schach ein Spielen ohne Gegenüber möglich - ist es dann noch ein Spielen, das mit unerwarteten Reaktionen umgeht, oder ein (eine Zweigsche Wortschöpfung) Ernsten? Ein Schachcomputer kann das: Gegen sich selbst spielen. Der Mensch nicht. Für ihn existiert das Ich nicht ohne das Du. Nicht umsonst versucht in Herbert Rosendorfers genialer Endzeitsatire "großes Solo für Anton" der letzte verbliebene Mensch auf der Welt verzweifelt, andere Menschen zu erschaffen.

Das Schachspiel, das die Welt auf 64 Felder reduziert, schafft gleichsam Laborbedingungen und eignet sich hervorragend, um die in der Hirnforschung so beliebten Inselbegabungen, die alles andere ausblenden können, zu thematisieren:
 
"Alle Arten von monomanischen, in eine einzige Idee verschossenen Menschen haben mich zeitlebens angereizt, denn je mehr sich einer begrenzt, umso mehr ist er andererseits dem Unendlichen nahe; gerade solche scheinbar Weltabseitigen bauen in ihrer besonderen Materie sich termitenhaft eine merkwürdige und durchaus einmalig Abbreviatur der Welt." Das ist Zweig pur.

Nun ist das Schachspiel einer der Bereiche, in dem die Maschine den Menschen bereits überflügelt hat. Im letzten großen Kräftemessen 2006 konnte der damalige Weltmeister Wladimir Kramnik  dem Rechner Deep Fritz immerhin noch vier Unentschieden abtrotzen. Gewinnen konnte er nicht mehr. Heute hätte ein menschlicher Spieler nicht mehr die geringste Chance, sagte neulich ein Schachexperte im Radio.
 
Bezeichnend, was bei Spiegel Online 2006 über das Duell stand: "Im Schaukampf gegen Kramnik siegte Deep Fritz nicht, weil er besser spielte, sondern, im Gegensatz zu Kramnik, weil er keine Fehler macht." Kramnik ging immerhin mit einem besonders dummen Fehler, dem Patzer des Jahrhunderts, in die Geschichtsbücher ein. Seht, da ist ein Mensch.
Ich selbst bin ein miserabler Schachspieler. Das soll Zweig auch gewesen sein.

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