Dieser Mann ist nicht alt. Versponnen, versunken, ja.
Zornig, enttäuscht, weinerlich manchmal - aber das war er ja schon immer. Walser, der 91-Jährige vom Bodensee, gewährt hier einen Blick in seine Denkwerkstatt in verdichteter Kleinstform. Es sind schätzungsweise rund 1000 Miniaturen, die dieser Band vereint: Haikus, Aphorismen, Epigramme, Randnotizen. Dazwischen finden sich Zitate als Einsprengsel, etwa aus dem Choral "Wer nur den lieben Gott lässt walten".
Manchmal
klingt Walser in seinen Sinngedichten wie ein Stoiker oder wie Angelus Silesius oder aber Heinrich Seuse, der Mystiker vom Bodensee (der in Walsers Wohnort Überlingen auch nach Jahrhunderten noch verehrt wird). Aber Walser ist natürlich kein Stoiker, dazu ist er zu gern leidenschaftlich beleidigt, unduldsam und obendrein höchst sprachverliebt: "In mir ist Gelichter zu Haus, / Ich warte, / bis es vom Totschlag heimkommt / und ängstlich singend einschläft in mir."
Seine Verse und Sentenzen ranken sich um Wahnsinn und Weißglut, immer wieder Lebensangst, Hoffnung auf das Sterben,
Sonne, Licht
und Schnee. Es geht mehr um Verzeihen als Verstehen, mehr um Glück als um Recht.
Die kurzen Momente der Einsicht, die Aha-Erlebnisse verlangen nicht nach Handlung. Sie möchten nicht ausgewalzt, sondern hingeworfen werden und sind in dieser kleinen Form bestens aufgehoben. "Ich klettere an mir empor / wie ein Affe, / um größer zu sein, / als ich bin. / Von oben sehe ich, / wie klein ich bin."
Natürlich könnte man sich nun an einzelnen, misslungenen Sprüchlein aufhängen. Manches ist platt, manches kleinlich. Manches klingt wie in einer Rauschnacht begeistert hingekritzelt und am nächsten Morgen als Binsenweisheit entlarvt: "Wenn du weißt, dass das, was du machst, Blödsinn ist, wird es dadurch, dass du das weißt, nicht intelligenter."
Recht ungelenk und unnötig sind die namentlichen Beschimpfungen von Literaturkritikern (Karasek, Weidermann, Schirrmacher....) Aber danach wartet ja gottlob schon immer die nächste, wohlformulierte Preziose.
Ein hohes, geistreiches Vergnügen.
Martin Walser, Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung. Rowohlt, 208 Seiten. 20 Euro.
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