Diesen Bestseller aus den Zwanzigerjahren habe ich mir gekauft, weil er für Herbert Rosendorfers großartiges "Der Mann mit den goldenen Ohren" Pate gestanden haben soll. Das besagt dessen Klappentext. Nun ja, Rosendorfers Buch ist ein herrlich leichtfüßiger und humorvoller Inselroman, "Das Buch von San Michele" manchmal auch. Nicht immer.
Hauptsächlich erzählt der Schwede Munthe in diesem autobiographischen Roman mit fantastischen Einsprengseln von seiner Karriere als Arzt in Paris und Rom. In einer Zeit, da es noch Helden gab, berichtete Munthe ganz freimütig von seinen Heldentaten - wie er Menschen und Tieren selbstlos half, wie er den Armen gab und die Reichen insgeheim oder ganz offen verachtete.
Manchmal mündet das in unerträgliche Prahlerei - vielleicht ist Munthe bei Karl May in die Schule gegangen: so viel Gutes und Richtiges tut er, so oft springt er den Hilflosen zur Seite, so beliebt ist er bei Frauen, Männern und Tieren. Das ist mitunter derart übertrieben, dass es zum liebenswerten Schelmenroman wird. Wie der Arzt kurzfristig bei einer Schauspielertruppe aushelfen muss, und damit im Alleingang eine Hamlet-Inszenierung rettet. Wie er bei seinen adeligen und begüterten Patientinnen die von ihm selbst erfundene Modekrankheit "Kolitis" diagnostiziert.
Schöne Anekdoten wie vom traurigen, elternlosen Kind John, dessen er sich kurzzeitig annimmt, sind dabei. Manches ist aus heutiger Sicht bedenklich, etwa wenn der Erzähler in einer seiner zahlreichen eingestreuten Nachdenkereien dafür plädiert, Schwerverbrechern die Möglichkeit zu geben, ihre Strafen mit der Teilnahme an medizinischen Menschenversuchen zu mildern. Und man muss schon ein ausgewiesener Hundefreund sein, um Munthes endlosen Philosophierereien über das Wesen dieser Tiere gut zu finden.
Und dann sind da noch Plattitüden, die wirklich keiner lesen will: "Da war sie, die geliebte Lerche, auf unsichtbaren Schwingen hoch oben im Blau schwirrend, als ließe sie ihr ganzes Herz ausströmen gegen Himmel und Erde in jauchzendem Trillern von Lebensfreude."
Aber da ist auch das höchst gelungene, wundersam und fast archaisch erzählte Kapitel über Munthes Reise nach Lappland. Und da sind vor allem der Anfang und der Schluss des Buches, die mit Wind und Sonne, Sommer und Herbst, Licht, Vergänglichkeit, Freundschaft spielen. Auf der Felseninsel Capri, wo Munthe seine Villa San Michele erträumt und erbaut, blüht der Roman auf und der Erzähler wird heiter und bescheiden.
Hier geht es um die wichtigen Dinge. Und um den Tod, der so viel barmherziger ist als das Leben. Wirklichkeit und Traum fließen. Über allem liegt eine große Leichtigkeit. Selbst gegen Schluss, wenn sich der Arzt erblindet in einen Turm zurückzieht und schließlich sein eigenes Sterben erzählt, beherrscht sie alle düsteren Gedanken.
Mein Tipp: Kapitel Eins lesen, die erste Begegnung mit San Michele, dann das nordische Kapitel sieben, schließlich ab Kapitel 29 bis zum Schluss. So begegnet der Leser einem Stück Weltliteratur, das in seiner Weisheit und leisen Poesie seinesgleichen sucht.
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