Samstag, 2. Juli 2011

Lyrik einer nackten Seele

Eine Große der Dichtkunst war sie nicht, die 1984 gestorbene Tänzerin Claire Bauroff. Dafür ist ihr nun erschienener Gedichtband „Wandlung aber ist das Leben“ ein faszinierendes Stück Kunst- und Zeitgeschichte. Er ist die erste Veröffentlichung zu Bauroff, die in den Zwanzigerjahren in Berlin, Wien und München als Pantomimin und Aktmodell triumphierte. Bauroffs späte Gedichte, wohl eher als eine Art privates Tagebuch entstanden, enttäuschen, wo „Bergbäche rauschen“ und das Meer in kleinen Wellen „plaudert“ – sie fesseln aber, wo der menschliche Körper im Mittelpunkt steht, in Anspannung beim Tanz, in seinem Verfall in Krankheit und Alter.

Spannend zu lesen ist das Nachwort, das Bauroffs Rolle in der Bohème der Weimarer Republik in Dokumenten aufleben lässt. Etwa Hermann Brochs Gedicht „Die Tänzerin“. Der Wiener Philosoph und Schriftsteller erlebte eine kurze, intensive Affäre mit Bauroff. In die Kunstgeschichte ging Bauroff, die aus Weißenhorn bei Neu-Ulm stammte, als Modell für Fotografinnen wie Lotte Jacobi oder Trude Fleischmann ein. Einige Fleischmann- Fotografien sind in dem Büchlein zu sehen. Die meisten zeigen Bauroff so, wie sie das Publikum in der Berliner Scala und anderen Tanztheatern bewunderte: splitternackt. Das ähnelt jedoch weder der verklemmten Pornografie jener Zeit, noch der der unfreiwilligen Komik der frühen Nudistenbewegung, schon gar nicht dem plumpen Körperkult der Nazis.
 
Bauroff schuf in ihren Pantomimen, Performances, Stummfilmauftritten und Körperskulpturen eine selbstbewusste, heute noch bezaubernde Nacktheit, die ein Kritiker 1925 die „Lyrik des Körpers“ nannte. Er schrieb: „Ihr ganzer Körper sieht dich an: nackte Seele.“

Bernhard Hampp
(Erschienen in Schwäbische Zeitung, 20. Mai 2011 )

1 Kommentar:

  1. Ich habe das Buch aufmerksam gelesen und bin dankbar, dass es erschienen ist. Vielleicht ist es nicht die ganz große Lyrik, die die Tänzerin Claire Bauroff hinterlassen hat, spürbar aber ist in jeder Zeile die Lebenserfahrung der Dichterin, die mehr und mehr für sie zur Gotteserfahrung wird. Einfach grandios ist das Nachwort von Ralf Georg Czapla. Hier ist es einem Wissenschaftler gelungen, eine Künstlerin, die in keinem Nachschlagewerk mehr zu finden ist, dem völligen Vergessen zu entreißen. Das enorme Detailwissen, das in dem gut lesbaren Text zusammen getragen wird, weist Czapla nicht nur als Literaturwissenschaftler, sondern auch als Tanzhistoriker aus.

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