Montag, 30. Dezember 2024

Sahner/Stähr: Die Sprache des Kapitalismus


Für ihr Buch, in dem sie der Sprache des Kapitalismus auf den Grund gehen, haben der Literaturwissenschaftler Simon Sahner und der Ökonom Daniel Stähr dieses Jahr den Leserpreis beim Deutschen Wirtschaftsbuchpreis erhalten. Besagte Sprache, die voll und ganz auf ein einziges Wirtschaftssystem – den Kapitalismus – gemünzt ist, beherrscht allgegenwärtig Massenmedien, Internet, Politik und Werbung. Für die meisten von uns ganz unbewusst.

Wie die Autoren aufzeigen, kommt diese Sprache eingängig, reißerisch und sexy daher. Der Kapitalismus erzählt gerne Geschichten: von Selfmade-Milliardären wie Steve Jobs oder Elon Musk, die es mit Genie, Leistung, harter Arbeit und den richtigen Ideen zum richtigen Zeitpunkt zu sagenhaftem, erstrebenswertem Reichtum gebracht haben. Und von Armen, die faul sind und dem Sozialstaat auf der Tasche liegen.

Der Kapitalismus liebt einprägsame Metaphern, etwa vom Erdbeben an den Märkten oder dem Finanz-Tsunami. Metaphern, die gleichzeitig ein Ausgeliefertsein an unbeherrschbare Kräfte suggerieren. Der Markt, so das kapitalistische Narrativ, führt ein Eigenleben und agiert mit „unsichtbarer Hand“. Solches beobachten die Autoren, wenn die Rede von „steigenden“ Preisen oder Mieten ist, wenn Märkte „beruhigt“ werden müssen, wenn staatliche Markteingriffe als unnatürlich erscheinen. 

 Diese Sprache, die oft von handfesten wirtschaftlichen Interessen getrieben ist, verschleiert, dass Alternativen existieren und Wohlstand für viele nicht zwingend ein kapitalistisches System voraussetzt. Und, dass es in komplexen Wirtschaftskreisläufen immer Handelnde gibt, die Vorteile haben: Preise und Mieten steigen nur, wenn sie jemand erhöht. 

 Die Autoren, die außer zahllosen Beispielen wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen einfließen lassen, schlagen vor, über postkapitalistische Alternativen nachzudenken. Konkret nennen sie Ulrike Herrmanns in Das Ende des Kapitalismus skizzierte Idee von eines von der Kriegswirtschaft inspirierten Wachstums-Gegenmodells, einen demokratischen, lokal orientierten Degrowth-Kommunismus und ein mithilfe von KI und Big Data zentral geplantes Wirtschaftssystem. 

 So weit, so einleuchtend. Aber auch so schnell erzählt. Deshalb wälzen die Autoren auf diesen rund 300 Seiten vieles breiter aus als nötig, Doppelungen sind häufig in diesem akademisch gründlichen, mit etlichen Fußnoten versehenen Text. Konsequenterweise legen sie Wert auf geschlechtergerechte Sprache und gendern mit einem Sternchen. Das ist dem Lesefluss nicht immer zuträglich, hier aber im Sinne der Glaubwürdigkeit angebracht. 

 Simon Sahner, Daniel Stähr: Die Sprache des Kapitalismus. 304 Seiten Verlag S. Fischer, 24 Euro.


Erschienen in: Wirtschaft Regional, Dezember 2024

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