Dienstag, 31. Dezember 2024

Doris Dörrie: Die Reisgöttin

"Es gibt ein Mittel gegen die Einsamkeit, die einen plötzlich in einer fremden Stadt überfällt: etwas kaufen: eine Ansichtskarte, einen Kaugummi nur, einen Bleistift oder Zigaretten: etwas in die Hand bekommen, teilnehmen am Leben dieser Stadt, indem man etwas kauft..."
Heinrich Böll: Irisches Tagebuch 


Daran musste ich denken angesichts Doris Dörries 47 kleiner autobiographischer Kapitel, in denen sie Fundstücke präsentiert. Mitbringsel aus aller Welt, die als Habseligkeiten Teil ihrer Lebenserzählung wurden. Vielleicht ist dieses Kaufen ja ein Stemmen gegen die Einsamkeit einer Zeit, in der es zu jeder Zeit möglichst ist, an jedem Ort der Welt zu sein. Aber eben nur virtuell.

Dörrie besitzt eine japanische Feuerwehrmütze, vMokassins aus dem amerikanischen Westen, ein Gehirn-Modell aus dem Iran, Waschseife aus den USA, ein Zigarillo aus Kuba, der perfekte Gurkenhobel, eine mexikanische Wrestlermaske, aber auch vom Meer geschliffene Glasstückchen oder ein von ihrem Vater getöpfertes Nilpferd… 

Natürlich sind es nicht die Dinge selbst, sondern die Geschichten, Gedanken, Gefühle, immer: die Menschen dahinter. Dörrie ist nicht nur eine große Sprachzauberin, sondern auch eine sehr humorvolle Menschenkennerin. Sie geht mit weit geöffneten Sinnen durch die Welt. Und das macht dieses Buch - es beinhaltet obendrein eine geniale Philosophie der Flohmärkte und Betrachtungen über die sogenannte kulturelle Aneignung, die doch eigentlich eine Bereicherung ist - so lesenswert.

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