Mittwoch, 10. Januar 2024

Christian Rieck: Anleitung zur Selbstüberlistung

Wie wir unsere inneren Flachpfeifen, Nervgeigen und Müßiggänger überlisten

Finanzwissenschaftler Christian Rieck zeigt in seiner "Anleitung zur Selbstüberlistung" auf, wie die Spieltheorie hilft, Arbeitsleben und Alltag zu organisieren.

Warum tun wir so oft nicht das, was wir sollen – und eigentlich auch wollen? Diese Frage stellt Christian Rieck, Professor für Finanzwesen in Frankfurt, Spieltheorie-Experte und erfolgreicher Youtuber, in seinem Buch "Anleitung zur Selbstüberlistung".

Obwohl wir doch wissen, dass es besser wäre, den geschäftlichen Anruf zu erledigen, die Präsentation oder die Steuererklärung fertigzustellen, lassen wir uns ablenken, verplempern Zeit auf Social Media oder streamen Videos. Wir sind anfällig für die Aufschieberitis, auch Prokrastination genannt: Wir schieben wichtige Dinge immer wieder auf. Manchmal verfallen wir auch in ihr Gegenteil, die Vorzieheritis: Wir stürzen uns übereilt in Aufgaben, wenn Abwarten und Vorbereiten viel sinnvoller wären. Dazu gesellt sich schließlich noch die Nichtfertigstellerits: Wir bekommen wichtige Projekte einfach nicht abgeschlossen. 

Warum tun wir nicht, was wir wollen? Weil, so meint Rieck, zwei Seelen in unserer Brust schlagen. Unsere innere "Direktorin" hat das große Ganze im Blick und denkt an die Zukunft. Unsere inneren "Agenten", die Entscheidungen im Hier und Jetzt treffen, denken dagegen ziemlich kurzfristig: Sie wollen Ärger und Anstrengung vermeiden und fahren auf sofortige Belohnungen ab. Sie deswegen "innere Schweinehunde" zu nennen wäre ungerecht, denn für ihren eigenen, kurzen Zeithorizont verhalten sich ganz rational. 

Es geht nur darum, Direktorin und Agenten unter einen Hut bringen, oder wie Rieck schreibt: „Das große Ganze entsteht, indem diese vielen kleinen Flachpfeifen, Nervgeigen, Müßigggänger und Herumposauner so orchestriert werden, dass ein Gesamtkunstwerk auf höherer Ebene entsteht." 

 Dazu allerdings müssen die inneren Agenten ab und an überlistet werden. Und wie bewerkstelligt man das? Man gibt ihnen etwas zum Spielen. Schließlich besteht bei jedem Spiel der Reiz darin, Hindernisse zu überwinden. Aus der Computerspielentwicklung hat Rieck Faktoren zusammengetragen, die ein gutes Game ausmachen und sie auf Arbeits- und Alltagstätigkeiten übertragen. Mit Tricks bringen wir unsere inneren Agenten dazu, Spaß an sinnvollen Tätigkeiten zu haben. 

Am besten, wir legen gleich los und motivieren uns mit dem Wörtchen "So". Wer einmal "So" gesagt hat und dann nicht ins Wasser springt, der verliert seine Glaubwürdigkeit. Schreibt Rieck, der viele, viele ähnliche Tipps, beispielsweise zum Umgang mit Deadlines, gesammelt hat. In halbstündigen "Deadline-Sprints" etwa sollte direkt vor einem feststehenden Termin Wichtiges abgearbeitet werden. 

Der Autor zeigt aber auch Situationen auf, in denen das Aufschieben von Arbeit sinnvoll ist – weil sie sich von selbst erledigen. Er erläutert, dass die Dinge, die wir tun, um einer ungeliebten Aufgabe auszuweichen (Putzen ist hier der Klassiker) uns oft genauso weiterführen. Und er erbringt den Beweis, dass ein unaufgeräumter Schreibtisch für manche das einzig Wahre ist. 

Neben unzähligen praktischen Ratschlägen steuert Rieck philosophische - welche Glücksbegriffe existieren, was treibt unser Handeln an - und ökonomische Grundlagen wie das Prinzip vom abnehmenden Grenznutzen bei. Vieles von dieser unterhaltsamen und gut lesbaren Anleitung können wir im neuen Jahr gleich umsetzen. So!


Erschienen in Schwäbische Post, 10. Januar 2024