Sonntag, 28. Mai 2017

Reinhard Horowski: Hölderlin war nicht verrückt

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Die letzten 36 Jahre seines Lebens vegetierte Friedrich Hölderlin (1777-1843) nervlich und geistig zerrüttet in einem Turm am Tübinger Neckarufer. Der Literat, dessen Briefroman „Hyperion“ zu den Klassikern der deutschen Literatur zählt, hatte eine Odyssee hinter sich, als er im Alter von 36 Jahren zusammenbrach. Kindheit in Nürtingen, verschiedene evangelische Internate und Bildungsstätten, Anstellungen als Hauslehrer, schließlich die unglückliche Liebe zur verheirateten Susette Gontard, deren jäher Tod ihn bestürzte.

Gegen seinen Willen wurde Hölderlin ins Authenriedsche Klinikum Tübingen eingeliefert. Nach achtmonatiger Behandlung gaben ihn die Ärzte auf. Zum Glück nahm sich der Tübinger Schreinermeister Ernst Zimmer des Poeten an und ließ ihn bis bis zu seinem Tod im Alter von 73 Jahren in seinem Turm wohnen.

Während der letzten Jahrzehnte war Hölderlin ein Schatten seiner selbst: Menschenscheu tigerte er vor dem Turm auf und ab, er schrieb Zusammenhangloses, redete wirr, benutzte Fantasiewörter wie „pallaksch“, titulierte Besucher mit „Majestät“ und „Heiligkeit“. Davon berichteten Literaten und andere Neugierige, die den „wahnsinnigen Dichter“ – so kannte ihn ganz Tübingen – besuchten.

Mit dem Mythos vom „genialen Irren“ will der Pharmakologe Reinhard Horoswki in seiner neu erschienenen Streitschrift „Hölderlin war nicht verrückt“ aufräumen. Er widerspricht der Annahme, die Psychiater bis heute vertreten: der Dichter sei schizophren gewesen. Teils folgt Horowski dem französischen Germanisten Pierre Berthaux, der vermutete, Hölderlin habe als republikanischer Revolutionär seine psychische Erkrankung nur vorgetäuscht, um einer Verfolgung zu entgehen. Aber auch Hölderlins Mutter, die er als geldgierig beschreibt, trägt für Horowski Schuld, dass der Literat als unzurechnungsfähig eingestuft wurde: Sonst hätte sie einen Teil der Stipendien zurückzahlen müssen. Für Verhaltensstörungen, Mattheit und Konzentrationsschwäche des späten Hölderlin findet Horowski indes eine Erklärung: Der Dichter sei im Authenriethschen Klinikum mit einer Überdosis Kalomel fehlmedikamentiert und somit vergiftet worden.

Horowskis Buch trägt Züge einer polemischen Abrechnung mit der Psychiatrie und schießt in seinem pauschalen Urteil gegen einen ganzen Berufsstand mitunter über das Ziel hinaus. Andererseits ist dem Autor eine höchst unterhaltsame und kenntnisreiche Auseinandersetzung mit Leben, Umfeld, literarischer Bedeutung und Wirkung Hölderlins gelungen.

Zeitgleich ist im Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer eine Neuauflage des Werks erschienen, das den Mythos vom „wahnsinnigen Dichter“ mitbegründete. Schriftsteller Wilhelm Waiblinger, der Theologiestudent in Tübingen war, ehe er des Evangelischen Stifts wegen Verstößen gegen die Hausordnung verwiesen wurde und nach Rom zog, wo er 1830 mit nur 25 Jahren an den Folgen einer Syphillis starb, legte 1827 die erste Hölderlin-Biografie vor.

In „Friedrich Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinnn“ schilderte Waiblinger, der Hölderlin vier Jahre lang besuchte und sich liebevoll ihn kümmerte, wie sich der Umnachtete von der Realität entfernte, keinen Gedanken mehr festhalten konnte und den Zugang zur Außenwelt verlor. „Hölderlin schüttelt mich“, schrieb Waiblinger. Ob der jüngere Autor, der sich dem Hyperion-Dichter seelenverwandt fühlte, jedoch als absolut verlässliche Quelle für die Hölderlin-Forschung dienen kann, bezweilfelt Kurt Oesterle in seinem lesenswerten Vorwort: Zu sehr habe Waiblinger eigene Charakterschwächen wie den übergroßen Ehrgeiz auf Hölderlin projiziert. Der mit Tagebucheinträgen, Briefen und Wabilingers Gedicht „An Hölderlin“ ergänzte Band ist dennoch geeignet, einem der größten literarischen Genies auf die Spur zu kommen.

Reinhard Horowski: Hölderlin war nicht verrückt. Streitschrift. Klöpfer & Meyer, Tübingen. 192 Seiten. 20 Euro.

Wilhelm Waiblinger: Friedrich Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinn. Mit einer Einleitung von Kurt Oesterle. Klöpfer & Meyer, Tübingen. 120 Seiten. 18 Euro.


Erschienen in Schwäbische Zeitung, Mai 2017.

Dienstag, 9. Mai 2017

Sabine Vöhringer: Die Montez-Juwelen

In der feinen Münchner Einkaufspassage Hofstatt in der Sendlinger Straße stellt ein Juwelier ein atemberaubendes Juwelencollier samt Ohrringen und Armband vor. Der Schmuck soll einst Lola Montez, der sagenumwobenen Geliebten König Ludwigs I., gehört haben. 

Am nächsten Morgen wird ein Drogendealer aus Sri Lanka tot im Fischbrunnen auf dem Marienplatz gefunden. Die Juwelen verschwinden und die Restaurantleiterin des nahen "Hackerhauses" wird entführt. Kommissar Tom Perlinger muss sich bei seinen Ermittlungen durch einen Sumpf aus Familienstreitigkeiten und Inzest, Kunstfälschung und ungeklärten Besitzansprüchen verschollener jüdischer Erben, Immobilienschiebereien und Verrat kämpfen. Ein schmieriger Wiesn-Wirt und seine Entourage spielen eine undurchsichtige Rolle.

Die Autorin verfügt über die Gabe, Personen alleine durch ihre Kleidung ziemlich treffend zu charakterisieren:

„...die Kostümjacke umhüllte sie steif wie eine Teppichrolle...“

„...Jakobs kloßartige Figur, die in einen semmelfarbenen Leinenjanker gehüllt war...“

„Jessica vermutete, dass er abends um neun zu Bett ging, besser gesagt, sich mit Anzug, geschlossenem Hemdkragen, straff gebundenem Krawattenknoten, gefalteten Händen und brettsteif in eine Art Kühltruhe legte, um morgens frisch aufgetaut, mit jedem seiner drei Härchen an der richtigen Stelle, seinen Dienst anzutreten...“

Wer München kennt, freut sich über das Wiedersehen mit vielen vertrauten Orten, Typen und Gepflogenheiten. Und nicht zuletzt hat hier endlich einmal eine Partie Schafkopf Eingang in die Krimiliteratur gefunden.