Eine schöne neue Welt hat der Autor der kultigen Känguru-Episoden in diesem Zukunftsroman entworfen. Ich habe der Live-Lesung als Hörbuch gelauscht.
Im Staate Qualityland herrscht totale Technik und damit totale Überwachung und Kontrolle. IT-Konzerne beherrschen mit ihren Maschinen und Algorithmen eine auf Dekadenz getrimmte Menschheit. Wie in Orwells 1984 werden schon die Wörter manipuliert (nur noch Superlative sind erlaubt), wie in Huxleys Schöne neue Welt ist alles auf Wohlfühlen ("Quality" eben) getrimmt. So lange man sich mit dem System arrangiert, ist alles Quality: Das gilt besonders, wenn man zu den Menschen mit hohem Level gehört - dann darf man sogar Ampeln bei Bedarf auf Grün stellen.
Das Level - den Marktwert eines Menschen - stufen Algorithmen herauf oder herunter: Wer Level 9 oder niedriger besitzt, zählt offiziell zu den "Nutzlosen". Einfluss auf diese Algorithmen, die die Partnersuche für die Menschen komplett übernehmen oder Waren aus dem Online-Shop auch ohne Bestellung verschicken, haben Normalsterbliche nicht. Nur John of Us, der menschenähnliche Roboter, der als Präsidentschaftskandidat antritt, kann angeblich mit Algorithmen reden. Johns einziger Gegenkandidat ist ein widerlicher Rechtspopulist. Überhaupt erscheinen die Roboter und Maschinen in diesem Buch durchweg sympathischer (und "menschlicher"?) als die Menschen.
Der Held ist aber dennoch ein Mensch: Peter Arbeitsloser (jeder bzw. jede erhält als Nachnamen jetzt den Beruf von Vater bzw. Mutter zum Zeitpunkt der Zeugung). Peter macht nicht mehr mit. Das ist nun nicht sooo verwunderlich. Denn in solcherlei Romandystopien gibt es anscheinend einen Königsweg bei der Handlung: Winston Smith ist in 1984 der Aussteiger, der sich dem System entziehen will, Mercer ist es in Der Circle.
Peter ist ein Loser auf Level 9, verlassen von seiner Freundin, Inhaber einer Schrottpresse, mit der er ausrangierte, weil defekte Maschinen und Roboter beseitigen soll. Reparieren ist verboten in Qualityland - das Konsumschutzgesetz will es so. Illegalerweise zerstört Peter aber diese fehlerhaften Geräte nicht, sondern beherbergt sie in seinem Keller: Den Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung, die Drohne mit Flugangst, ein sehr känguruähnliches "Quality"-Pad und einige mehr.
Der Konflikt beginnt, als Peter ungefragt ein rosafarbener Delfin-Vibrator zugeschickt wird und sich der Onlineversand TheShop weigert, das unerwünschte Produkt zurückzunehmen: Der Konzern denkt gar nicht daran, einen Fehler seiner Algorithmen einzugestehen und einen Präzedenzfall zu schaffen. Also startet Peter den Aufstand. Mithilfe eines weisen alten Nerds, der unberechenbaren Hackerin Kiki und der Armee aus Schrottrobotern zieht er gegen das Establishment zu Felde. Wie Michael Kohlhaas - Kleists Roman muss für viele Anspielungen herhalten, ebenso wie Kubricks 2001, Asimovs Roboterromane und vieles mehr - kämpft er um sein Recht.
Spaß macht vor allem die stimmige und runde Handlung, deren Schlusspointe - ein gutes Zeichen! - viele Deutungen zulässt. Gestrickt ist sie um Fragen von Fremdbestimmtheit und Manipulation. Machen wir uns freiwillig zu Marionetten von Wirtschaftsinteressen, weil wir uns gerne betrügen lassen? Haben wir überhaupt Interesse an der Kontrolle über unsere eigenen Daten oder siegen Bequemlichkeit und Trägheit immer über den Drang zu Freiheit und Selbstbestimmung? Interessiert diese Freiheit überhaupt irgendjemanden? Klings Buch lässt illusionslos zurück.
Neulich wurde berichtet, dass Facebook Jugendlichen 20 Euro im Monat spendierte, wenn sie dem Konzern freiwillig Einblick in ihre komplette Smartphone-Nutzung gewährten. Spiegel Online kam zu dem ernüchternden Fazit, dass unsere Daten, die uns so kostbar erscheinen (und mit denen wir im Netz ja angeblich "bezahlen") in Wirklichkeit sogar nur einen winzigen Bruchteil dieser 20 Euro wert sind. So richtig wichtig ist der Einzelne nicht.
Zurück zum Hörbuch: Der langjährige Kreuzberger Poetry Slammer Kling ist in seinem Element, wenn er mit hoher Schlagzahl Pointen und Effekte serviert, vieles ist genial, manches ist platt, aber fast alles ist
lustig. Klings Vortragsweise macht die Hörbuchversion obendrein zu einem speziellen Vergnügen.
Qualityland wurde in zwei Ausgaben aufgelegt - einer dunklen und einer hellen - die sich aber laut Auskunft des Autors auf seiner Webseite nur in den zwischengeschalten Werbeblöcken unterscheiden. Ich habe nur die "dunkle Version" gehört.
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