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Donnerstag, 23. Dezember 2021

Tage des Lesens - Lektüre zwischen den Jahren 2021

Eine sehr schöne Auswahl kleiner Texte über die Freude am Lesen. Autorinnen und Autoren berichten, wie sie selbst die Liebe zum Lesen, zu den gedruckten Büchern und denn unermesslichen Schätzen, die in  Bibliotheken lagern, entdeckt haben.

Gleich der erste Text ist ein wunderbares Stück Prosa. In ruhigem, sinnlichen Tonfall berichtet Marcel Proust in Tage des Lesens von der Erfüllung, die ihm die Bücher an den hellen Sommertagen seiner Kindheit schenkten.

Thomas Bernhard wiederum lässt verlautbaren, stets nur wenige Seiten eines Buches zu lesen, die dann aber mehr als gründlich, um den großen Rest ungelesen umzublättern. Seiner Ansicht nach die ideale Art der Lektüre.

Ein Auszug aus Tintenherz, Cornelia Funkes Fantasy-Hommage an das Lesen, ein winziger Text Elke Heidenreichs über einen lesesüchtigen Taxifahrer…. In diesem Bändchen gibt es in der gemütlichen Lesezeit zwischen den Jahren einiges zu entdecken.

Montag, 20. Dezember 2021

Walter Moers: Weihnachten auf der Lindwurmfeste

Eigentlich ein perfektes Anti-Weihnachtsbuch. Moers lässt hier den zamonischen Lindwurm und Großschriftsteller Hildegunst von Mythenmetz vom Leder ziehen. Unerträglich, dieses Weihnachten, pardon: dieses Hamoulimepp. So heißt das Fest, bei dem großen und kleinen Bewohner der Lindwurmfeste sentimental werden, sich albern benehmen, sich geradezu geisteskrank aufführen und das trotz aller Besonderheiten verblüffende Ähnlichkeit mit unserem Weihnachtsfest aufweist.

Mythenmetz findet daran so gut wie alles schrecklich. Zum Beispiel, dass Kindern verstörende Lügengeschichten aufgetischt werden, dass grässliche, langatmige Theaterstücke angesehen und ausgesessen werden müssen, dass für die Herstellung der unnötigen, bemalten Hamoulimepp-Bäume massive Felszinnen von der Lindwurmfeste abgebrochen werden. 

Einige gute Seiten kann aber selbst der anspruchsvolle Hildegunst dem Fest abgewinnen. Die Schlemmereien bis zum Umfallen etwa. Oder einen anderen Hamoulimepp-Brauch, den ich gerne auch übernehmen würde: den Bücher-Räumaus. Die Lindwürmer sortieren bei dieser Tauschbörse ihre Bibliotheken und stellen nicht mehr benötigten Lesestoff vor die Tür zur kostenlosen Mitnahme: „Man kann einen ganzen Tag die Lindwurmgasse entlang flanieren und in den Kisten stöbern…“

Illustriert ist das Buch (wie schon die Geschichte von Prinzessin Insomnia) von Lydia Rohde. Auf „taxonomischen Tafeln“ im Anhangteil des Buches kann der Leser Musikinstrumente der Lindwürmer, „Pflansekten“, beschriftete Lindwurmfeste-Schnecken und vieles mehr bewundern.

Dienstag, 14. Dezember 2021

Ferdinand von Schirach: Carl Tohrbergs Weihnachten

Wer nach tröstender Weihnachtslektüre sucht oder sie zum Fest verschenken will, liegt mit diesem Büchlein falsch. Es versammelt drei dunkelgraue Erzählungen, in denen Männer - jeder auf seine Art - an den Punkt gelangen, an denen sie es nicht mehr aushalten und andere Saiten aufziehen. 

Der dicke Bäcker, der sich in die Japanerin Sakura verliebt hat, beherrscht die Kunst des vollendeten Tortenmachens. Sich selbst beherrscht er nicht, als ihm ein fremder Mann Sakuras Tür öffnet.

Für Amtsrichter Seybold bricht die geordnete Welt, in der er sich ein Arbeitsleben lang eingenordet hat, mit dem Ruhestand plötzlich zusammen.

Tohrberg, Verehrer von Matisse, Cezanne und mathematisch inspirierter Renaissance-Malerei, lässt sich von seiner präpotenten, dünkelhaften Mutter in ein lebenslanges Gefängnis treiben. Zum Trigger werden ihm zwei Christbaumkugeln, in denen er sich am Weihnachtsfest gespiegelt sieht.

Etwas andere Weihnachtslektüre: sehr empfehlenswert!


Christoph Ransmayr: Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten

So richtig anfreunden konnte ich mich mit Christoph Ransmayrs Prosa noch nie. Er benutzt einfach zu viele Substantive. Damit raubt er den Texten die Lebendigkeit. In fast jedem zweiten Satz darf ein Wort mit -ung  bewundert werden. Kein pures Lesevergnügen. 

Der Erzähler ist ein Hydrotechniker, der in einer dystopischen Zukunftswelt - Europa ist in bizarre Kleinstaaten, Fürstentümer, Deichgrafentümer - zerfallen, seinem Vater, einem Schleusenwärter und mutmaßlichen Fünffachmörder nachspürt. Ist der stets vom der Vergangenheit besessene Vater wirklich in seinem weißen Fluss umgekommen oder lebt er noch? Am Ende klärt sich die Frage. Genauso wie jene, wer hier der Mörder ist.


Donnerstag, 2. Dezember 2021

Christian Guay-Poliquin: Das Gewicht von Schnee


„Der Schnee beherrscht alles. Er dominiert die Landschaft, erdrückt die Berge … Die Weite ist geschrumpft.“ 

Irgendwo in hintersten Kanada begräbt der Schnee eine Hütte immer mehr unter sich. Ein dauerhafter Stromausfall lähmt das ganze Land. Ein junger Mann, der nach einem Autounfall schwer verletzt hergebracht wurde und ein Älterer, der auf der Durchreise hier gestrandet ist, versuchen hier, den Winter zu überleben. Die Essensvorräte schwinden nach und nach - und an ein Fortkommen ist nicht zu denken. Oder doch?

Atmosphärisch, bedrückend, energiegeladen - auch wenn der allgegenwärtige Schnee betäubend über allem liegt. Ein wirklich eiskalter Winterroman, der den Budenzauber perfekt macht, wenn man ihn im gut beheizten, gemütlichen Zuhause liest.  

Freitag, 26. November 2021

Anthony Horowitz: Mord in Highgate

 


Anthony Horowitz - das weiß, wer diesen Blog regelmäßig liest - gehört zu meinen literarischen Helden. Und er bleibt es, auch wenn ich mich über diesen zweiten Band der Hawthorne-Reihe regelrecht geärgert habe.

Klar, es ist der Running Gag dieser Reihe, dass der feingeistige Schriftsteller Anthony Horowitz immer die falschen Schlüsse zieht und der raubeinige Ex-Polizist, dessen Abenteuer Horowitz niederschreiben soll, ihm meilenweit voraus ist. Auch, dass der Leser längst alles durchschaut, während der neunmalkluge Horowitz immer noch im Dunkeln tappt (das ist natürlich unzuverlässiges Erzählen at its best). So auch diesmal. Nur, dass diesmal das Spiel nicht aufgeht. Ich war sicher nicht der einzige Leser, der den Mörder oder die Mörderin gleich bei seiner/ihrer ersten Erwähnung erraten hat. Und das schleppt sich dann, leider, ohne den leisesten Knalleffekt bis zum Schluss hin. Ich habe sogar Anhang und Danksagungen noch in der Hoffnung auf eine überraschende Wende gelesen. Kommt die erst im Nachfolgeband? Wie ich sehe, ist vor wenigen Wochen A line to kill erschienen. 

Natürlich schreibt Horowitz gut, natürlich ist sein Humor vom Feinsten, natürlich liefert er hervorragend treffende Beschreibungen von Personen und Situationen ab. Aber nächstes Mal bitte etwas spannender. Vielleicht überzeugt mich "A line to kill" wieder...

Samstag, 13. November 2021

Robert Seethaler: Das Feld

 

Wer möchte nicht gerne wissen, was die Toten zu erzählen haben? Robert Seethaler befriedigt in seiner Geschichtensammlung Das Feld diese menschliche Neugier. Er  
knüpft damit ein bisschen an die uralte literarische Gattung der Totengespräche an. 29 Tote auf dem Gottesacker des fiktiven Ortes Paulstadt dürfen hier noch einmal sprechen: eine Frau, die 67 Männer hatte, ein korrupter Bürgermeister, ein ambitionierter Obsthändler, ein Glücksspielsüchtiger und seine Frau, die die Augen vor der Realität verschließen will…

Menschen erzählen von den gleichen Sachverhalten komplett unterschiedlich. Es kommt darauf an, was sie hervorheben und ausblenden, worauf sie fokussiert waren und was sie gar nicht wahrnahmen. Sie erzählen von ihrem Tod oder ihrer Kindheit oder einzelnen Wendepunkten oder scheinbaren Belanglosigkeiten - je nachdem, welche Momente in ihren Leben sie als bedeutsam empfinden oder von welchen sie einfach noch einmal gerne erzählen möchten. Wie ein Mosaik fügt sich der Ort Paulstadt zusammen.

Alles, was hier gesagt wird,  ist endgültig - wie sollte es anders sein? Die Erzähler haben buchstäblich keine Chance mehr. Aber keiner der Toten klagt an, alle klingen irgendwie mild (und ähneln sich insofern, dass sie alle nach Seethaler klingen). Die Meisterschaft des Autors ist seine lakonische, glasklare Sprache. Was erlebt und fühlt ein Sterbender nach einem Autounfall? Das ist wirklich spannend, und ja, man ist gierig darauf, es zu erfahren.

Samstag, 16. Oktober 2021

Liesel Malm: Die Kräuter-Liesel

Dieses Buch hat mir eine sehr gute Freundin geschenkt, um mich bei der Vorbereitung auf meine Prüfung zum Kräuterpädagogen zu unterstützen. Es ist ein wirklicher Schatz, umfassend und spannend, als Nachschlagewerk, aber auch zum Schmökern in den Wintermonaten geeignet.

Liesel Malm, die in diesem Frühling 87-jährig verstorben ist, gibt ihr unglaublich umfangreiches Kräuterwissen in diesem Band weiter. Der Fokus liegt dabei nicht so sehr auf dem Kräutersammeln, sondern darauf, sich die Kräuter selbst in den Garten zu holen, wie es Liesel Malm selbst machte. Sie besaß einen 2000 Quadratmeter großen Kräutergarten im Westerwald, in dem sie vom Beinwell bis zum Heilziest und vom Bertram bis zum Guten Heinrich so ziemlich alles anbaute und finden konnte, was in Küche, Heilkunde, Kosmetik… verwendbar ist - oder einfach nur durch seine Schönheit bezaubert.

Den Mehrwert machen die praktischen Anleitungen und Rezepte aus, aber auch die detailgenauen Fotos, die das Werk zu einer Art Bestimmungsbuch machen. Die Autorin streift botanisches Wissen nur am Rande, teilt dafür einen reichen Schatz an Lebenserfahrung und praktisches Alltagswissen.

Dienstag, 12. Oktober 2021

Thomas Hettche: Herzfaden


Der Roman erzählt die Geschichte der in den Vierzigerjahren gegründeten Augsburger Puppenkiste in breiter Ausführlichkeit. Letzteres ist denn auch schon mein kleiner Kritikpunkt. Wer wirklich Lust auf ein dickes Epos hat, in dem die Protagonisten bei jeder sich bietenden Gelegenheit über das Marionettentheater als moralische Anstalt philosophieren, wird es mögen. Ich habe es gemocht. 

Ein Mädchen verschlägt es auf den geheimnisvollen Dachboden der Augsburger Puppenkiste. Dort begegnet es den lebendig gewordenen Marionetten des legendären Theaters. Urmel, Jim Knopf und Kalle Wirsch helfen ihm gegen das bösen Kasperle, das das IPhone gestohlen hat. Aber sie trifft ist auch die eigentlich schon gestorbene Frau Hatü - so wurde Hannelore Oehmichen, die Tochter des Puppenkiste-Gründers Walter Oehmichen genannt. Innerhalb dieser Rahmenhandlung erzählt Hettche von den Anfängen des Theaters im Krieg  - wie Oehmichen, der Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, in der Gefangenschaft einen Puppenschnitzer kennenlernt und für die eigene Familie ein Marionettentheater baut -, von Neuanfang, Nachkriegszeit, ersten Erfolgen, ersten TV-Produktionen… 

Die Augsburger Puppenkiste ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Kultur im 20. Jahrhundert. Der Roman setzt ihr ein Denkmal.

Sonntag, 29. August 2021

Dave Eggers: Die Parade



Fantastisches Buch, präzise und klare Sprache, großes Thema treffend in eine spannende Geschichte verpackt.  


Zwei Angestellte einer internationalen Baufirma, die einander und dem Leser nur als Nummer Vier und Nummer Neun vorgestellt werden, haben die Aufgabe, in einem bitterarmen Land, das soeben den Bürgerkrieg hinter sich hat, eine Straße zu asphaltieren. 

Kilometer lang soll sie werden und den reichen Norden mit dem armen Süden des Landes verbinden. Den beiden Arbeitern steht eine hochmoderne Asphaltiermaschine zur Verfügung. 

Während Nummer Vier am liebsten stur vor sich hinarbeitet, nach Vorschrift des Arbeitgebers jeden Kontakt zu den Einheimischen vermeidet und so schnell wie möglich wieder nach Hause zu seiner Familie möchte, mischt sich Neun abenteuerlustig unter das Volk, macht Bekanntschaften, versucht den Menschen zu helfen und gefährdet aus Sicht von vier dadurch das ganze Projekt. Schließlich muss die Straße pünktlich fertig werden, damit sie mit einer prächtigen Militärparade eingeweiht werden kann.  

Auf einmal bleibt Neun, der in seinem Quad den Weg für die Asphaltiermaschine frei machen soll, weg. Ein Einheimischer sucht Vier auf seinem Fahrzeug auf und sagt ihm, dass Neun irgendwo auf der Strecke im Sterben liegt. Nun ist es auch für Vier aus mit der Unbeteiligtheit. 

Jeder, der schon einmal in Ländern der sogenannten Dritten Welt gereist ist oder gar gearbeitet hat, dürfte einiges nur zu gut wiedererkennen.

Mittwoch, 18. August 2021

Axel Hacke: Im Bann des Eichelhechts

 


Ich gebe zu, ich habe mich weggeschmissen vor Lachen. Dieses Büchlein macht bewusst, welche unfassbare  Poesie und Fantasie in der deutschen Sprache stecken - gerade dann, wenn sie an ihren Enden  ein wenig gebogen wird.


Hacke hat hier Beispiele gesammelt (sie wurden ihm meist zugeschickt), bei denen es mit den Regeln von Rechtschreibung, Grammatik und Ausdruck zwar weniger genau genommen wurde, die aber ihren Charme und ihre eigene Realität entfalten. Letztere ist fast immer lustiger ist als das Profane. 

Hacke macht sich also nicht lustig über falsche Übersetzungen auf italienischen und kroatischen Speisekarten, unverständliche Gebrauchsanweisungen, schiefe Zeitungsüberschriften, seltsame Hinweisschilder oder Songtext-Verhörer (Davon handelten ja schon sein "Der weiße Neger Wumbaba" und dessen Nachfolgebände). 

Bestenfalls versucht er zu erklären, wie sie entstanden sind. Manchmal lässt er sie - ohne dabei zu kapitulieren - einfach nur in ihrer poetischen Schlönheit dastehen. Nun habe ich beim Tippen versehentlich Schlönheit geschrieben. Aber das passt schon so. Schlönheit existiert eben nur im Sprachland, um das es hier geht. Hacke hat hier auch das Tortenhuhn, den Eichelhecht, die Cumberlandwurstkröte, die Gummifrikadellen, das Lachfilet und vieles mehr ausfindig gemacht.

„Man soll nicht alles verstehen. Etwas in der Welt muss uns ein Rätsel bleiben“, schreibt Hacke. Das hält ihn aber nicht davon ab, sich auf die kuriosen Wort- und Satzgebilde einen Reim zu machen, eine sprachländische Weltordnung um sie herum zu schaffen. 

Im Falle einer nicht näher benannten Gefahr etwa empfiehlt der Aushang auf einem französischen Campingplatz: "Sich gruppiert bewegen, den Anweisungen der Mächte bis zum Turnanstalt ,Falorni'". Diese mysteriöse Turnanstalt Falorni ist neben dem Schlafanfallbüro, Müllers Darmgeheimnis und vielen anderen Orten, die nur im Sprachland existieren, auf einer schicken Landkarte auf dem Vorsatz des Buches verzeichnet.

Jedes Kapitel lässt Hacke gleich einem klassischen Musikstück enden, indem er die verschiedenen Themen nochmals aufnimmt, steigert, ineinander verwebt und zu einem absurden Höhepunkt steigert. Köstlich.

Sonntag, 18. Juli 2021

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub

Ein perfekter, englischer Krimi - und ein wahrer Pageturner - um eine Rentnertruppe, die sich in ihrer ländlichen Seniorenwohnanlage einmal pro Woche trifft, um gemeinsam Kriminalfälle zu lösen. Das geht nicht ohne Schrulligkeiten ab. Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron aber sind bei allen ihren Eigenheiten ein wunderbar vielseitiges Detektivquartett und der Polizei immer eine Nasenlänge voraus. 

Dass im Altenheim gestorben wird, soll vorkommen. Hier wird obendrein noch ausgiebig gemordet. Das Besondere jedoch ist der gleichzeitig scharfsinnige und zutiefst liebevolle Blick, den Osman in diesem Whodunnit auf bleischwere Themen wie Altern, Verlust, Demenz - und den verzweifelten Kampf gegen sie - und den nahenden Tod wirft. Er tut es auf die leichte Art, mit einer guten Portion versöhnlichem Galgenhumor. Well done.



Mittwoch, 14. Juli 2021

Martin Suter: Allmen und der Koi


Martin Suters Allmen-Krimis sind wie ein Seriencomic: Überzeichnete Figuren, die sich durch eine immer neu variierte, gleich ablaufende Handlung wursteln. Der unerträglich versnobte, verschwendungssüchtige und dabei liebenswert treudoofe Allmen ist mal wieder pleite und muss einen grotesken Job annehmen - bei dem ihm sein gutherzig-lebenskluger Adlatus Carlos schließlich den Kopf aus der Schlinge zieht. Dann wird alles gut - bis zur Fortsetzung. Die Krimis haben alles, was Serien so unterhaltsam macht.

In diesem Fall macht sich das Team auf, den gestohlenen Koi-Karpfen eines millionenschweren Musikproduzenten (der sich selbst für einen Koi hält) wiederzubeschaffen. Passenderweise ist das Ganze auf der Insel Ibiza angesiedelt: dem Ort in Europa, der wie kein anderer auf oberflächliche Party, Drogen und Geld fixiert ist. Wie immer liefert Suter sprachlich solide Krimiliteratur, hat gut recherchiert. Obwohl: was soll das?: "Sie saßen wieder am grob behauenen Olivenholztisch unter dem mächtigen Feigenbaum." Muss es so platt wirklich sein? Hatte er keine Zeit zum Überlegen? Keine Lust? Oder ist das gewollter, comichafter Stil?

Sonntag, 13. Juni 2021

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse

 

„Was heißt‘n das eigentlich, wo die Flusskrebse singen?“ (...) „Das heißt bloß, weit draußen, wo die Tiere noch wild sind und sich benehmen wie Tiere.“

Kya lebt schon immer hier. Hier im unzugänglichen Marschland an der Küste North Carolinas, in einer baufälligen Hütte zwischen Sümpfen, Sandbänken, Salzwiesen. Das Mädchen sammelt Federn und Muscheln, zeichnet, malt, liest, wird als junge Frau gefeierte Autorin und Zeichnerin von Bildbänden über die Marsch, die sie zeit Lebens fast nie verlässt. 

Kya ist allein. Der rote Faden, der sich durch ihr Leben zieht, ist das Verlassenwerden. Zuerst flüchtet die Mutter, dann alle vier Geschwister vor dem gewalttätigen Vater, der schließlich alleine mit Kya in der Marsch zurückbleibt, ehe auch er das Weite sucht. 

Auch die beiden Männer in Kyas Leben reihen sich ein: der feinfühlige Tate, der das Marschmädchen für seine Universitätskarriere zurücklässt und der attraktive Chase, der Kya benutzt und betrügt. Als Chase tot unter einem Feuerwachturm gefunden wird, fällt der Verdacht sofort auf das Marschmädchen Kya. Es kommt zum Prozess.

Eindrücklich lesen sich die Naturbeschreibungen. Wo die Natur das Seelenlebens Kyas spiegelt, ist das hervorragend gelungen. Wo es nur um Kyas Seelenleben geht, nervt das Psychologisieren der Autorin manchmal. Was diesem Roman zu großen Literatur fehlt, ist die Tendenz, dass die Autorin Sachverhalte, Gedankengänge lang und breit ausführt, die sie dem Leser selbst überlassen könnte. Es wäre sogar eindringlicher, beim Lesen selbst auf manchen Gedanken zu kommen. („Ein natürliches Begehren hatte sie unverheiratet in ein billiges Motel geführt, aber unbefriedigt gelassen", denkt Kya einmal bei sich). An anderen Stellen gelingt das Ratespiel mit dem Verborgenen.

Sonst aber ist dieser Roman vortrefflich, er spielt mit Ängsten und Erwartungen, manipuliert den Leser gekonnt. Wieso hassen und verlassen nur alle das Marschmädchen? Man will der einzige sein, der zu ihr hält, sie beschützt. Beiläufig eingewoben ist ein spannender Krimi, der an Hakan Nesser erinnert. Besonders die Figur des Sheriffs verdient ein genaues Hinsehen.

Mittwoch, 28. April 2021

Lucy Lucas: Das kleine Hörbuch vom Yoga

Immer wieder hat Yoga meinen Weg gekreuzt, immer habe ich ihm große Sympathie und Neugier entgegengebracht, vieles ausprobiert, mich aber nie tiefergehend mit Yoga befasst. Abgesehen vielleicht von einem Uniseminar, in dem damals die Bhagavad Gita gelesen wurde - wenig ist davon hängengeblieben. 

Für Menschen wie mich bietet dieses Hörbuch einen guten Überblick. Es geht zwar weder in die Tiefe, noch klärt es das große Ganze, Grundsätzliche ganz auf. Das macht aber nichts, zum Einstieg in diese Welt ist es genau richtig. Tas Thema Religion bleibt gänzlich außen vor.

Lucy Lucas stellt verschiedenen Richtungen und Praktiken vor, führt die wichtigsten Begriffe ein und versucht, die Balance zwischen reiner Gymnastik, spiritueller Praxis und dem zugrundeliegenden Denken zu finden. 

In den theoretischen Teilen, aber auch wen Om-Singen oder Atemübungen erklärt werden, klappt das recht gut. An seine Grenzen stößt das Medium Hörbuch, wenn verschiedene Yogastellungen erklärt werden und einfache Übungen für Zuhause (etwa morgens im Bett) und Büro vorgestellt werden. Da wäre Anschauung dann doch recht hilfreich und es kann nicht schaden auf Youtube-Videos zurückzugreifen. Im Großen und Ganzen habe ich einiges mitgenommen, dieses Hörbuch war sicherlich keine Zeitverschwendung.

Dienstag, 20. April 2021

Thea Dorn: Trost

 Sind Bücher zur momentanen Lage oft schon bei ihrem Erscheinen obsolet, ist dieses - leider - immer noch hochaktuell: In einem Briefroman thematisiert Thea Dorn die Corona-Pandemie und die vielfältigen Reaktionen und Beschränkungen in ihren Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. In diesem Fall der Zeitungsjournalistin Johanna.


Diese schreibt Briefe an Max, ihren ehemaligen Philosophielehrer, der auf Capri lebt. Die Form des Briefromans: Na ja, sie musste eben irgendetwas wählen, und diesen Essay nicht als Thea Dorn zu schreiben. Natürlich frage ich mich: Gibt es wirklich Menschen, die so geistreiche, ausgefeilte und überlegte Briefe auf die Reise schicken? Aber sei's drum. Max jedenfalls antwortet höchst lakonisch. Manchmal gar nicht, dann wieder in Form einer Kunstpostkarte, auf der er Johanna etwas in zwei, drei Wörtern vor den Latz knallt.

Sehr viel Kluges zum Corona-Irrsinn ist da zu lesen. Manches kommt auch sehr verkopft daher. Diese Johanna holt immer wieder weit aus, möchte wie eine Musterschülerin vor dem verehrten Lehrer mit ihrem Wissen und den Gedankengängen glänzen. Hoffmannsthal und Canetti, Gryphius und  Ernst Jünger werden als Stichwortgeber, Vorbilder und Pandemie-Theoretiker zitiert.

Anfangs herrscht bei Johanna noch Wut auf ihre Mutter vor - eine lebenslustige Theateragentin, die sich von  Warnungen nicht beirren ließ und mitten im Lockdown eine Italienreise unternahm, auf der sie an Covid verstarb. Doch die Stimmung schlägt bald um. Johanna, die ihre Mutter nicht einmal auf dem Sterbebett sehen darf, ist wütend auf die "Maßnahmen", die Politiker nun allerorts verhängen:

„Wie eine Horde durchgegangener Sanitätsnashörner überbieten sie sich im Menschenlebenrettenwollen - und merken nicht, dass sie dabei die Menschlichkeit tottrampeln.“

Sie beobachtet eine Gesellschaft, in der grenzenloser Individualismus in blinden Herdentrieb umschlägt. Alles Namen der großen "Doktrin des Untotseins“. Hauptsache bei guter Gesundheit möglichst lange leben und konsumieren und dabei doch so leblos sein. Wenn der Tod nicht mehr als Teil des Lebens - etwa in Ritualen - wahrgenommen wird, glauben die Menschen an nichts anderes mehr als das (lange) Leben - und verbieten sich paradoxerweise alles, was das Leben lebenswert macht.

Johanna weiß, dass "sich das Leben nur umarmen lässt, wenn ich bereit bin, auch den Tod zu umarmen" und leidet darunter: "Was bringt es, sein Leben in Angst vor dem Tod zu verzittern? Erleben wir nicht gerade, wie das scheinbar Vernünftige ins Absurde umschlägt, wenn ganze Gesellschaften sich und ihren Mitgliedern aus Angst vor dem Tod das Leben verbieten?"

Wütend ist sie auch auf den „Stoa-Spießer“ Max - auf die Stoiker insgesamt, die Ertragen, Hinnehmen, Abfinden - oder heutzutage: "Resilienz" - predigen.

Als Hommage an das Leben, zu dem der Tod gehört, ist Trost auch als eine Art Fortsetzung von Dorns Roman Die Unglückseligen zu lesen. Ein wunderbares Fundstück präsentiert Thea Dorn/Johann aus
Hugo von Hoffmannsthals Der Tor und der Tod:

Du Tor! Du schlimmer Tor, ich will dich lehren, Das Leben, eh du's endest, einmal ehren. 

Sonntag, 11. April 2021

David Schalko: Bad Regina

 

„Unter allem lag Stille.“

Dass sie nicht über allem liegt, macht eben die literarische Qualität aus, so einfach ist das manchmal. Der Erzählstil erinnert an Thomas Kapielski, aber 400 Seiten sind einfach zu viel. Beim besten Willen.

Bad Regina: Ein einst mondäner Kurort in den österreichischen Alpen ist nur noch der Schatten seiner selbst, seit ein mysteriöser chinesischer Investor ein Haus nach dem anderen aufkauft und es leer stehen und verfallen lässt - ebenso die Hotels und Bars. Bad Regina wird zur Geisterstadt und die verbliebenen menschlichen Geister, die dort übrig geblieben sind, spüren den Verfall am eigenen Leib, jeder auf seine Art.

Die letzten Aufrechten beschließen, dem Chinesen zu entführen. Wie sie erst nach dessen Tod in einer verlassenen Berghöhlen-Disco (hat mich sehr an so einen Lost Place, den ich mal bei einer Wanderung an der Küste Mallorcas entdeckt habe, erinnert) herausstellt, war er nur der Handlanger eines jüdischen Bürgers von Bad Regina, der im Dritten Reich vertrieben wurde. 

Um mir Vergnügen zu bereiten, ist dieses Buch schlichtweg zu dick, zu breit und braucht zu lange, um Neues zu bringen. Und es bringt zu wenig davon.

 

Donnerstag, 25. März 2021

Michael Breckwoldt: Essen aus der Natur

Wussten Sie, dass die jungen Blätter der Walderdbeeren zu Salaten und Kräuterquark gegeben werden können? Dass man die Blätter der Fetthenne in Teig ausbacken kann? Dass die Blätter des Frauenmantels eine Flüssigkeit ausscheiden, mit denen Alchimisten Gold gewinnen wollten? Dass der Gute Heinrich, ein Gänsefußgewächs, seinen Namen von alten Erzählungen hat, in denen Elfen und Kobolde mit Vorliebe Heinrich hießen?

Bisher nicht? Dann gibt es in diesem Buch, das sowohl als Führer als auch Schmöker geeignet ist, eine Menge zu erfahren. Grob eingeteilt ist der Inhalt aus kompakten Porträts in essbare Kräuter, Gehölze und Pilze. Thematisiert werden mögliche Fundorte Merkmale, sammelwürdige Pflanzenteile, Inhaltsstoffe, Verwendungsmöglichkeiten und wissenswerte Anekdoten.


Breiten Ruam nehmen die teilweise außergewöhnlichen Kochrezepte ein. Warum nicht Melonen und Parmaschinken mit Gänseblümchen und Löwenzahn verfeinern? Einen Cocktail aus Glockenblumen zubereiten? Spätzle mit Vogelmiere grün machen? Eis aus Sauerampfer herstellen und Schafgarbe in Rührei mischen? Es gibt wirklich eine Menge zu entdecken. Im Anhang finden sich Tipps zum sammeln, aufbewahren und verarbeiten von Wildpflanzen.

Samstag, 13. März 2021

Peter Wohlleben: Wohllebens Waldführer

Was Wohlleben anpackt, endet unterhaltsam und macht Lust, über Natur nachzudenken und in sie einzutauchen. So auch dieser Waldführer. 

In ultraknappen Abschnitten stellt der engagierte Förster und Autor ("Das geheime Leben der Bäume"...) Hunderte Arten vor, die uns mehr oder weniger häufig im Wald begegnen. Dabei stehen biologische Fakten im Hintergrund, Anekdoten im Vordergrund. Das Lesen ist wie ein Spaziergang mit einem erfahrenen, durchaus sympathischen, vielleicht ein wenig desillusionierten und eigenbrötlerischen Waldkauz. Als angehender Kräuterpädagoge haben mich naturgemäß die Pflanzen am meisten interessiert.

Aber auch, was im Wald riecht, schnuppert, flattert, hoppelt, umherstreift, ist aufgezeigt. Vögel, Käfer, Spinnen, Lurche, Schlangen, Dachse, dazu natürlich Bäume, Farne, Blumen, Pilze, Flechten und Co.

Typisch Wohlleben, vermenschlicht er die Lebewesen. Da gibt es einen Architekten (den Schwarzspecht), einen Kobold (den Zaunkönig), einen Bestatter (den Gemeinen Totengräber) und eine Polizistin (die rote Waldameise). Der Buchfink trällert ein Liedchen das klingt wie: "Bin bin bin ich nicht ein schöner Feldmarschall". Und die Bäume sind ohnehin fürsorgliche, eifersüchtige, waghalsige oder auch schüchterne Gesellen.

Eigentlich jedes Kurzkapitel nutzt Wohlleben zur Abrechnung mit der Jagd und der profitorientierten Forstwirtschaft. Wer mit seiner seiner ökologischen  Waldphilosophie, die er besonders im Anhang erläutert, gar nicht klar kommt, dürfte auch an diesem Führer keine Freude haben. Er wettert gegen ein "abgedriftetes Naturverständnis" , das sogar die eingewanderten Roten Waldameisen, die sich doch nur als Kulturfolger in den unnatürlichen Nadelholzplantagen angesiedelt haben, als schützenswert betrachtet. Oder gegen die von Forstwirten in Zeiten des Klimawandels viel gepriesene Douglasie. Der nordamerikanische Nadelbaum sein "für das Ökosystem Wald eine Katastrophe", weil die wenigsten heimischen Tierarten mit ihr etwas anfangen könnten.

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Montag, 22. Februar 2021

Camilla Grudova: Das Alphabet der Puppen

Diese 13 Stories der kanadischen Erzählerin Camilla Grudova oszillieren zwischen Steampunk und Schauerromantik, Gothic Novel und Märchen, Horror und magischem Realismus, E. T. A. Hoffmann und Italo Calvino grüßen. Ein bisschen auch Franz Kafka - vor allem werden das diejenigen so empfinden, die noch nie etwas von Franz Kafka gelesen haben.

Grudovas Figuren vegetieren, vagabundieren, modern und verkriechen sich sich zwischen magischen Apparaturen, Brautkleidern, Dosenfleisch, Pfauenfedern, Kakerlaken, grässlichen Puppen und immer wieder Nähmaschinen, ersticken langsam, misshandeln, zerhacken, verbrennen sich, fressen manchmal auch ihre eigenen Kinder oder sich selbst auf.

Grudovas Bilder und Vergleiche rocken dabei richtig: „Edwards Eltern sahen wie zusammengeknüllte Kugeln aus Zeitungspapier und Stoff aus.“

Alles hat in diesem Panoptikum der Skurrilitäten seinen Platz: Verfaultes, Verdorbenes, Verwesendes, Fäkalien sind höchst ästhetisch drapiert. Angst, Beklemmung empfinden höchstens die Leser. Die Figuren handeln maximal gefühlsarm, unempathisch als gehorchten sie Zwängen und Notwendigkeiten. Das erinnert dann schon an Kafka 

Leider kommen wir Männer bei Grudova nicht gut weg. Im besten Falle sind wir treudoof, meist aber bösartige, sadistische Mängelwesen.

Ach ja: lesenswert!


Samstag, 6. Februar 2021

Haruki Murakami: Tanz mit dem Schafsmann


Von 1988. Die sympathische Hauptfigur, ein 34-jähriger geschiedener Journalist (der gleiche wie in Hurakamis vorherigem Roman Wilde Schafsjagd), macht sich auf die Spur einer Prostituierten, mit der er eine Zeit lang zusammen in einem schäbigen Hotel gelebt hat, die aber plötzlich verschwand. An der Stelle der heruntergekommenen Absteige steht nun ein Luxushotel gleichen Namens, aber in diesem Hotel versteckt sich unsichtbar das alte, schäbige Hotel, in dem hinter einem dunklen Flur der Schafsmann haust, der dem Protagonisten zur Seite steht und ihn mit anderen Personen, sich selbst und seiner Vergangenheit verbindet. Jener nähert sich der 13-jährigen Yuki, die von ihren prominenten Eltern vernachlässigt wird und seinem Schulfreund Gotanda, der ein unglücklicher  Filmstar geworden ist an. Es geschehen mehrere Morde, und zwei Polizisten unterziehen den Erzähler einer kafkaesken Verhörprozedur.

Schön, dass in den Achtzigerjahren noch nicht alles politisch korrekt war. Sie fahren im Auto einfach nur spazieren, rauchen, und bestellen sich Damen auf das Hotelzimmer. Wenn man jemand mal nicht telefonisch erreichbar ist, dann warten sie eben tagelang. Und auch Geschichten werden breit ausgekostet - das kontrastiert, gerade zum Schluss, mit dem halsbrecherischen Tempo, in dem hier erzählt wird.

Murakamis Sprache mit ihren genau treffenden Bildern ist ein Genuss. Im besten Stil des magischen Realismus lässt sie Gedanken weiter wachsen, ins Surreale, Fantastische, Traum- und Seelenzustände hineinwuchern, wo sich eine tiefere Wahrheit verbergen.

Freitag, 29. Januar 2021

Vaughn Scribner: Merpeople

Vaughn Scribner, Historiker an der Universität von Central Arkansas, hat in diesem hübschen Buch sehr vieles über Meerjungfrauen zusammengetragen  - eigentlich über Meerwesen insgesamt, wobei die Meermänner, wie allgemein üblich, kaum eine Rolle spielen.

Inhaltlich arbeitet Scribner minutiös, das Ganze besitzt leider einen gewissen Aufzählungscharakter und erinnert doch sehr an eine studentische Universitätsarbeit. Also nicht besonders unterhaltsam geschrieben, dafür 50 Seiten Fußnoten und ziemlich bemüht die immer gleichen Erklärungen, dass die Meerjungfrau als Sexsymbol herhalten musste,  der Hinweis auf ihren bi-geschlechtlichen Charakter, die Feststellung dass männlich und westlich dominierte Gesellschaften ihr ihre Rollenmuster aufgedrückt haben, von denen sich der Autor doch ein bisschen zu verzweifelt abgrenzt. Gleichzeitig zeichnet Scribner akribisch jede angebliche Sichtung einer Meerjungfrau, in der irgendwann in der Zeitung stand auf (diese immer nach gleichem Schema verlaufenen Sichtungen von Meerjungfrauen machen den Hauptteil des Textes aus), allerdings fast ausschließlich  im angelsächsischen Raum.

Und das ist das große Manko. Scribner beginnt zwar mit den alten Griechen, Babyloniern und Assyrern. Ein knappes Kapitel kurz vor Schluss handelt auch noch schnell Azteken, australische Aborigines, fernöstliche Kulturen und andere Meerjungfrauen-Traditionen ab. 

Aber der Gang durch die Jahrhunderte geschieht so gut wie ausschließlich in England und den USA. Das geht sogar so weit, dass für den Autor die „künstlerische“ Bearbeitung Meerjungfrauen-Themas erst mit dem Medium Film, Hollywood mit der australischen Schwimmerin und Schauspielerin Annette Kellerman einsetzt. Ein paar Sätze gibt es immer hin für Hans Christian Andersens Kleiner Seejungfrau. Aber kein Goethe, kein Fouqué, keine französische, spanische, russische oder osteuropäische Literatur. Musik, Ballett, Bildende Kunst, Malerei, Skulptur: bestenfalls ganz am Rande gestreift, aber genau hier hat sich doch Jahrhunderte lang die eigentliche Meerjungfrauen-Action abgespielt. 

Ein echter Pluspunkt, und deshalb ist dieses Buch ein bibliophiler Schatz, ist dagegen  die Gestaltung mit wunderbaren Meerjungfrauen-Gemälden, -Zeichnungen, -Werbeannoncen und -Filmplakaten. Das lässt das Herz höher schlagen und den Wunsch aufkommen, doch einmal so einer sagenhaften Gestalt, halb Frau, halb Fisch, zu begegnen.



Donnerstag, 21. Januar 2021

Sandra Brown: Eisnacht


Als Januarlektüre hatte ich mir einen packenden Thriller erhofft, in dem es knackig kalt ist, Eis und Schnee klirren und das Erbarmen ganz weit weg ist. Schon klar, da darf man dann halt nicht Sandra Brown lesen. 

Eine Reihe junger Frauen wurde entführt und ermordet und eine Frau steckt mit dem mutmaßlichen Serienkiller in einer eingeschneiten Berghütte fest. Derweil versuchen die Dorfbewohner und die Polizei, die Hütte zu erreichen.

So weit so gut. Doch:  „Die geschwächten Fundamente ihrer Ehe sackten unter der Trauer zusammen.“ Und „dann begann ihr Herz unter den Rippen zu hämmern“. Und schließlich  „spürte er unvermittelt ein Frösteln, das nichts mit den Temperaturen draußen zu tun hatte.“ So, so, noch kälter also. Aber ich will dieses Frösteln selbst spüren und nicht Plattheiten lesen, so weit das Auge reicht. Der Küchenpsychologie- und Kitschfaktor ist extrem hoch. Macht nichts. Bis zum unerträglichen Happy End kann der Leser allemal in diverse menschliche Abgründe blicken.