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Dienstag, 20. April 2021

Thea Dorn: Trost

 Sind Bücher zur momentanen Lage oft schon bei ihrem Erscheinen obsolet, ist dieses - leider - immer noch hochaktuell: In einem Briefroman thematisiert Thea Dorn die Corona-Pandemie und die vielfältigen Reaktionen und Beschränkungen in ihren Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. In diesem Fall der Zeitungsjournalistin Johanna.


Diese schreibt Briefe an Max, ihren ehemaligen Philosophielehrer, der auf Capri lebt. Die Form des Briefromans: Na ja, sie musste eben irgendetwas wählen, und diesen Essay nicht als Thea Dorn zu schreiben. Natürlich frage ich mich: Gibt es wirklich Menschen, die so geistreiche, ausgefeilte und überlegte Briefe auf die Reise schicken? Aber sei's drum. Max jedenfalls antwortet höchst lakonisch. Manchmal gar nicht, dann wieder in Form einer Kunstpostkarte, auf der er Johanna etwas in zwei, drei Wörtern vor den Latz knallt.

Sehr viel Kluges zum Corona-Irrsinn ist da zu lesen. Manches kommt auch sehr verkopft daher. Diese Johanna holt immer wieder weit aus, möchte wie eine Musterschülerin vor dem verehrten Lehrer mit ihrem Wissen und den Gedankengängen glänzen. Hoffmannsthal und Canetti, Gryphius und  Ernst Jünger werden als Stichwortgeber, Vorbilder und Pandemie-Theoretiker zitiert.

Anfangs herrscht bei Johanna noch Wut auf ihre Mutter vor - eine lebenslustige Theateragentin, die sich von  Warnungen nicht beirren ließ und mitten im Lockdown eine Italienreise unternahm, auf der sie an Covid verstarb. Doch die Stimmung schlägt bald um. Johanna, die ihre Mutter nicht einmal auf dem Sterbebett sehen darf, ist wütend auf die "Maßnahmen", die Politiker nun allerorts verhängen:

„Wie eine Horde durchgegangener Sanitätsnashörner überbieten sie sich im Menschenlebenrettenwollen - und merken nicht, dass sie dabei die Menschlichkeit tottrampeln.“

Sie beobachtet eine Gesellschaft, in der grenzenloser Individualismus in blinden Herdentrieb umschlägt. Alles Namen der großen "Doktrin des Untotseins“. Hauptsache bei guter Gesundheit möglichst lange leben und konsumieren und dabei doch so leblos sein. Wenn der Tod nicht mehr als Teil des Lebens - etwa in Ritualen - wahrgenommen wird, glauben die Menschen an nichts anderes mehr als das (lange) Leben - und verbieten sich paradoxerweise alles, was das Leben lebenswert macht.

Johanna weiß, dass "sich das Leben nur umarmen lässt, wenn ich bereit bin, auch den Tod zu umarmen" und leidet darunter: "Was bringt es, sein Leben in Angst vor dem Tod zu verzittern? Erleben wir nicht gerade, wie das scheinbar Vernünftige ins Absurde umschlägt, wenn ganze Gesellschaften sich und ihren Mitgliedern aus Angst vor dem Tod das Leben verbieten?"

Wütend ist sie auch auf den „Stoa-Spießer“ Max - auf die Stoiker insgesamt, die Ertragen, Hinnehmen, Abfinden - oder heutzutage: "Resilienz" - predigen.

Als Hommage an das Leben, zu dem der Tod gehört, ist Trost auch als eine Art Fortsetzung von Dorns Roman Die Unglückseligen zu lesen. Ein wunderbares Fundstück präsentiert Thea Dorn/Johann aus
Hugo von Hoffmannsthals Der Tor und der Tod:

Du Tor! Du schlimmer Tor, ich will dich lehren, Das Leben, eh du's endest, einmal ehren. 

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