Montag, 1. April 2019

Sebastian Beck/Hans Kratzer: Zeitlang


Bayern in Bildern: Kein Laptop, keine Lederhose, keine Lüftlmalerei. Vom Vorzeige-Autobauer BMW nur die Baustelle für das Logistikzentrum in Wallersdorf: Baumaschinen haben im Dreck vor hohen Betonwänden Furchen hinterlassen. In einem Festzelt posieren nicht strahlende Dirndlträgerinnen, sondern vor halbvollen Tischen ein trotziger Bierzeltboxer mit Bauchansatz.

Der Bildband Zeitlang - Erkundungen im unbekannten Bayern versammelt Nah- und Fernaufnahmen aus allen Teilen des Freistaats. Sie stammen von Sebastian Beck. Er ist Leiter der Bayernredaktion der Süddeutschen Zeitung, und einer der besten Kenner der bayerischen Landespolitik. Hier hat er nicht geschrieben, sondern Beobachtungen per Kamera festgehalten.

Die Bilder lassen nicht kalt. Sie sind einen zweiten, dritten Blick wert. Gerade, weil wir das, was Beck fotografiert hat, oft übergehen - als Hintergrundrauschen und Kollateralschaden. Menschenleere Ortsdurchfahrten, uniforme Vorgärten. Die weiße Dorfkapelle direkt neben der fast identisch gestalteten Doppelgarage, Carports, Solardächer, die wuchtig ein Dorf erdrücken. Dreimal hinschauen und Traurigkeit, Aufbegehren oder Resignation verspüren. Ein bisschen erinnert das an den BR-Journalisten Dieter Wieland und seine mahnenden Fernsehbeiträge in den Achtzigerjahren mit Titeln wie „Grün kaputt“.

Zu sehen sind das aufgehängte Schlachtschwein, das mit Plastikplanen bedeckten Spargelfeld, das Verwundete, Verblichene, Zurückgelassene, aber auch das Wiedergefundene. Vieles hat buchstäblich bessere Zeiten gesehen. Wie die von Ruß bedeckten Schafkopf-Luschen in einem Aufenthaltsraum des stillgelegten Stahlwerks Maxhütte, Oberpfalz.

Immer wieder fängt Beck maximale Schönheit ein, die zuerst spröde daher kommt. Ein leeres Holzboot auf dem Stoffenrieder Dorfweiher, Schnee auf dem Lusengipfel, ein Himmel voller Störche, Cranach-Gemälde im Kleinstadtmuseum.

Schönheit: Vor allem ist ihm das mit den Menschen gelungen. Zwei Wirtinnen in der Oberpfalz als Herrinnen über eine vollgestopfte Gaststube. Die niederbayerischen Kauffrau, deren Argusaugen kein Ladendieb entgehen wird. Zwei Schausteller vor ihrer alternden Schiffschaukel („Traumschaukel“). Hochkonzentrierte Historiendarsteller der Landshuter Hochzeit. Sechzger-Fans in voller Montur - samt Plastik-Helm. Die versunkene Beterin in Altötting. Der Bildhauer und Autor Anton Kirchmair, in dessen unfassbarem Blick so ziemlich alles liegt, was Bayern poetisch macht.

Jedes Bild erzählt eine Geschichte, erzeugt Kino im Kopf, lässt weiterdenken. Damit die Bilder wirken, sind nicht viele Worte nötig. Dementsprechend knapp hat der SZ-Journalist Hans Kratzer seine eingestreuten Texte gehalten. Es sind Kurzessays, die nicht direkt Bezug auf die Fotos nehmen sondern Gedanken fortspinnen, die beim Betrachten aufkommen.

Einzelne Anekdoten wie von der Einödbäuerin Katharina Walker, die noch im 20. Jahrhundert ohne Strom, Heizung und fließend Wasser lebte und die Alpen nur am Horizont, nie aus der Nähe sehen durfte, lassen den großen Zeitenumbruch erahnen, der Thema dieses Buches ist. Eine Hommage an das urbayerische Gefühl der Zeitlang fügt sich nahtlos ein.

Ein scharf- und hintersinniges Buch, ein wuchtiger Bildgenuss – und eine kraftvolle Liebeserklärung an Bayern.


Sebastian Beck/Hans Kratzer: Zeitlang - Erkundungen im unbekannten Bayern. Süddeutsche Zeitung Edition 2018. 172 Seiten. 28 Euro.

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