Bayern in Bildern: Kein Laptop, keine Lederhose, keine Lüftlmalerei. Vom Vorzeige-Autobauer BMW nur die Baustelle für das Logistikzentrum in Wallersdorf: Baumaschinen haben im Dreck vor hohen Betonwänden Furchen hinterlassen. In einem Festzelt posieren nicht strahlende Dirndlträgerinnen, sondern vor halbvollen Tischen ein trotziger Bierzeltboxer mit Bauchansatz.
Der Bildband Zeitlang - Erkundungen im unbekannten Bayern versammelt Nah- und Fernaufnahmen aus allen Teilen des Freistaats. Sie stammen von Sebastian Beck. Er ist Leiter der Bayernredaktion der
Süddeutschen Zeitung, und einer der besten Kenner der bayerischen Landespolitik. Hier
hat er nicht geschrieben, sondern Beobachtungen per Kamera festgehalten.
Die Bilder lassen nicht kalt. Sie sind einen zweiten,
dritten Blick wert. Gerade, weil wir das, was Beck fotografiert hat, oft übergehen
- als Hintergrundrauschen und Kollateralschaden. Menschenleere
Ortsdurchfahrten, uniforme Vorgärten. Die weiße Dorfkapelle direkt neben der fast identisch
gestalteten Doppelgarage, Carports, Solardächer, die wuchtig ein Dorf
erdrücken. Dreimal hinschauen und Traurigkeit, Aufbegehren oder
Resignation verspüren. Ein bisschen erinnert das an den BR-Journalisten Dieter Wieland und
seine mahnenden Fernsehbeiträge in den Achtzigerjahren mit Titeln wie „Grün
kaputt“.
Zu sehen sind das aufgehängte Schlachtschwein, das mit
Plastikplanen bedeckten Spargelfeld, das Verwundete, Verblichene,
Zurückgelassene, aber auch das Wiedergefundene. Vieles hat buchstäblich
bessere Zeiten gesehen. Wie die von Ruß bedeckten Schafkopf-Luschen in einem Aufenthaltsraum des stillgelegten Stahlwerks Maxhütte, Oberpfalz.
Immer wieder fängt Beck maximale Schönheit ein, die zuerst spröde daher kommt. Ein leeres Holzboot auf dem Stoffenrieder
Dorfweiher, Schnee auf dem Lusengipfel, ein Himmel voller Störche, Cranach-Gemälde
im Kleinstadtmuseum.
Schönheit: Vor allem ist ihm das mit den Menschen gelungen. Zwei
Wirtinnen in der Oberpfalz als Herrinnen über eine vollgestopfte Gaststube. Die niederbayerischen Kauffrau, deren Argusaugen kein Ladendieb entgehen wird. Zwei
Schausteller vor ihrer alternden Schiffschaukel („Traumschaukel“). Hochkonzentrierte
Historiendarsteller der Landshuter Hochzeit. Sechzger-Fans in voller Montur - samt
Plastik-Helm. Die versunkene Beterin in Altötting. Der Bildhauer und Autor
Anton Kirchmair, in dessen unfassbarem Blick so ziemlich alles liegt, was Bayern
poetisch macht.
Jedes Bild erzählt eine Geschichte, erzeugt Kino im Kopf,
lässt weiterdenken. Damit die Bilder wirken, sind nicht viele Worte nötig.
Dementsprechend knapp hat der SZ-Journalist Hans
Kratzer seine eingestreuten Texte gehalten. Es sind Kurzessays, die nicht direkt Bezug auf die Fotos nehmen
sondern Gedanken fortspinnen, die beim Betrachten aufkommen.
Einzelne Anekdoten wie von der Einödbäuerin Katharina
Walker, die noch im 20. Jahrhundert ohne Strom, Heizung und fließend Wasser lebte
und die Alpen nur am Horizont, nie aus der Nähe sehen durfte, lassen den großen
Zeitenumbruch erahnen, der Thema dieses Buches ist. Eine Hommage an das urbayerische
Gefühl der Zeitlang fügt sich nahtlos ein.
Ein scharf- und hintersinniges Buch, ein wuchtiger Bildgenuss
– und eine kraftvolle Liebeserklärung an Bayern.
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