Was gibt es Geheimnisvolleres, als auf einem Dachboden ein verstaubtes Märchenbuch zu finden. Mit nie gehörten unwahrscheinlichen Geschichten in eine herrliche Zauberwelt abzutauchen und wie in einem Rausch darin zu versinken - herrlich!
Na gut, ich gebe zu, dieses Buch lag nicht in einer knarzigen Truhe hinter Spinnweben auf dem Dachboden, sondern wurde von mir ganz prosaisch im Internet ersteigert. Es war auch nicht verstaubt und abgegriffen, sondern präsentierte sich als wunderschönes rotes Prachtbändchen mit Goldschnitt.
Was der alte Rudolf Baumbach - ein Biedermeier-Vielschreiber des 19. Jahrhunderts, dem wir auch das schöne Studentenlied von der Lindenwirtin zu verdanken haben - hier geschaffen hat, lässt das Märchenherz höher schlagen. Seine Kunstmärchen sind zwar ausgefeilter und abwechslungsreicher als reine Volksmärchen, aber auch nicht übertrieben verkünstelt.
Zum Zauber trägt bei, dass Baumbach - der um Effekte wusste - in seine Traumwelten alles hineingepackt, was zur wohligen Märchenatmosphäre gehört. Er erzählt von Wiesengrund und Freischütz, gezinkten Würfeln und sagenhaften Goldschätzen, saligen Fräulein und Hexen, Magiern und Unholden, Missgunst, Verrat, Bluttaten und den verdienten Lohn der einfachen Leute.
Im ersten Märchen Der Krystall und die Hexe geht um ein rechtschaffenes Mädchen, das einen Kristall erhält, mit dem sie die geheimen Herzenswünsche aller lesen kann, die ihr über den Weg laufen. In Münchhausen und die drei Wilddiebe begegnet dem Leser die aus dem orientalischen Kontext bekannte großartige Lügengeschichte, in der der Erzähler als Krönung den Vater des Gegenübers auftreten lässt. Wunderbar ist die die Geschichte vom Mann, der die Siebenmeilenstiefel bekommt, deren Benutzung aber immer wieder aufschiebt, bis er schließlich seine letzte Reise damit antritt. Der verschüttete Keller ist ein hochpoetisches Trinkermärchen, Nicotiana ein recht skurriles Rauchermärchen.
Das ganze Buch: eine verzauberte, sprachschöne Märchen-Auszeit.
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