Dienstag, 4. August 2015

Ferdinand von Schirach: Verbrechen

Ferdinand von Schirachs wahre Fallgeschichten haben ja inzwischen für Furore gesorgt und sind auch für das Fernsehen verfilmt worden. Dies ist seine 2009 erschienene erste Sammlung von elf Kurzgeschichten, die auf Fällen aus Schirachs Arbeit als Strafverteidiger beruhen.

Ein freundlicher 72-jähriger Arzt erschlägt nach vierzig Jahren Ehe seine Frau mit einer Axt: Ein Leben lang hatte sie ihn drangsaliert. Eine Frau tötet ihren geliebten, aber seit einem Unfall schwerstkranken Bruder und erhängt sich in der Gefängniszelle.  Neuköllner Kleingauner klauen ahnungslos die Teeschale einer mächtigen japanischen Familie und müssen schmerzhaft erfahren, wozu echte Kriminelle bereit sind. Ein Politiker stirbt im Sessel einer illegal eingewanderten  Prostituierten: Deren Freund zerstückelt die Leiche und vergräbt sie im Park - aus Liebe. Ein Museumswärter wird zum Kriminellen, weil er jahrelang auf die Plastik eines Dornausziehers starren muss.
 


Schirach hat die Fälle, die ihm selbst in der Praxis begegnet sind, verfremdet, Namen und Details verändert, um Persönlichkeitsrechte zu wahren. Sonst ist alles echt. Das Leben schlägt ohne viel Federlesens zu. Der Berliner Anwalt gibt Einblick in Parallelwelten, die direkt vor unserer Haustür sind, und mit denen wir in unserem Leben immer wieder in Kontakt kommen. Wenn wir nicht bewusst wegschauen. Manchmal, so wird klar, kann das Verbrechen auch in unser Leben hereinbrechen.

Kein Schwarz, kein Weiß, kein Gut, etwas Böse. Es ist nie ganz so einfach. Und meist ist der Gerichtsbeschluss dann auch noch anders als das Rechtsempfinden. Ein Anwalt, so wird deutlich, hat  nicht die Aufgabe, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Er muss seinem Mandanten beistehen, Lücken in der Beweisführung finden. Die Bringschuld haben die anderen.
 
Diese Fälle lassen über den Rechts- und Justizstaat nachdenken, dem unsere Lebenswirklichkeit ja mehr unterworfen ist als irgendetwas sonst (mit Ausnahme vielleicht des Geldes, aber da gibt es bekanntlich Überschneidungen).

Schirachs Stil ist edel. Gutes, klares Deutsch, kurz und knapp, ohne haltloses Psychologisieren oder künstliche Dramatik. Die ergibt sich von alleine. Sehr lesenswert.
 
 

 

 

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