„Wir sind stolz, Zigeuner zu sein", hat die Augsburger Journalistin Angela Bachmair ihr Buch über die Rieser Sinti-Familie Reinhardt genannt. Der Ausspruch stammt von der 70-jährigen Anna Reinhardt, deren Erinnerungen die Autorin aufgezeichnet hat. Im Mittelpunkt steht die oft verdrängte Zeit bis 1945: „Porajmos" heißt auf Romanes „Verschlingen" und steht für die grausame Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten.
Die weit verzweigte Familie Reinhardt, die im Ries und in Württemberg zu Hause ist, traf der Nazi-Irrsinn mit Wucht. Sie mussten Schikanen wie „Rassenuntersuchungen" über sich ergehen lassen, wurden nach Polen deportiert und mussten Zwangsarbeit leisten. Familien wurden auseinandergerissen, nicht wenige kamen Konzentrationslagern um. Auch die Rückkehr nach Nördlingen und der Neuanfang war schwer. Im Kampf um Wiedergutmachung stießen die Reinhardts auf Unverständnis und Ablehnung: Oft saßen in den zuständigen Behörden noch die alten Nazischergen wie ein Polizeikommissar, der 1954 über die „angeborene Unsauberkeit der Zigeuner" dozierte.
Das Buch berichtet vom Aufenthalt Oberdorf, wo die Reinhardts in Bürgermeister August Hirsch einen ihrer wenigen engagierten Fürsprecher hatte. Aber auch vom großen Zusammenhalt der Familie, die sich mit Altmetallhandel durchschlug und erfolgreiche Fußballer und angesehene Musiker hervor brachte.
Bachmairs großes Verdienst ist, die Familiengeschichte vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Behutsam, wissenschaftlich genau, geradezu detailversessen zeichnet sie den Lebensweg der Reinhardts nach. Das mit Fußnoten gespickte Werk taugt auch zum Nachschlagen. Bemüht, das Erinnerte einzuordnen, kommentiert Bachmair allerdings vieles, was allein stehen könnte. Das Buch wäre packender, würden Anna Reinhardts erschütternden Erzählungen einfach nur wirken. Wie etwa diese: Als fünfjähriges Mädchen bekommt Anna, eben in Nördlingen angekommen, ihre erste Puppe. Sogleich schneidet sie ihr die Haare kahl: So wie man es im Lager mit ihr selbst gemacht hat. Kommentare wären nicht nötig.
Dennoch: ein wichtiges Buch.
Angela Bachmair: Wir sind stolz, Zigeuner zu sein. Vom Leben und Leiden einer Sinti-Familie. Wißner Verlag. 216 Seiten. 9,80 Euro
Erschienen in Ipf- und Jagst-Zeitung / Aalener Nachrichten am 20. August 2014.
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