Sonntag, 27. April 2025

Shaun Bythell: Tagebuch eines Buchhändlers

Haha, das ist wirklich ein gutes Tagebuch: Der Schotte Shaun Bythell erweist sich in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahr 2014 als Prototyp des misanthropischen Antiquars, der mir schon so oft über den Weg gelaufen ist. Alles geht den Bach runter  - das kann nicht oft genug betont werden, und Schuld sind natürlich die unausstehlichen Kundinnen und Kunden.

 Wobei ich fast nicht glauben kann, dass Bythell das wirklich alles erlebt hat. Die Menschen, die seinen Buchladen betreten, sind anscheinend durchweg geizig, vorlaut, rechthaberisch, präpotent und rücksichtslos. Sie schmeißen wertvolle Bücher herum, feilschen, machen schlechte Witze, nerven mit ihren Lebensgeschichten, erweisen den Büchern und nicht zuletzt dem Antiquar selbst einfach nicht den Respekt, der ihnen zusteht. Super amüsant - und einfach auch brillant lakonisch erzählt. 

Nebenbei ist noch sehr viel über Bücher, Literatur, Buchhandel und Buchkultur zu erfahren. Ich greife gleich zum zweiten Band.

Dienstag, 22. April 2025

Arne Jysch/Volker Kutscher: Der nasse Fisch

1929: Polizeikommissar Gereon Rath hat es aus Köln nach Berlin verschlagen. Er wird dem Sittendezernat zugeteilt, möchte aber wieder in die Mordinspektion. Leider hindert ihn sein unrühmlicher Abgang aus Köln daran. Dann kommt er dunklen Machenschaften auf die Spur, die nach organisierter Kriminalität riechen und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Inzwischen fast schon eine altbekannte Geschichte, Volker Kutschers Roman Der nasse Fisch wurde nicht nur von Arne Jysch in diese packende Graphic Novel verwandelt, sondern als Serie Babylon Berlin kurz darauf auch verfilmt.

Jysch geht in seinem Comic weit über Kutschers Romanverlage hinaus. Er kommt zwar (im Gegensatz zu Verfilmung) ohne zusätzliche Handlungsstränge aus, aber er füllt Berlin das der 20er wesentlich gekonnter mit Leben. Realistische Stadtansichten, Interieurs, ganze Berliner Gebäudekomplexe der Vorkriegszeit, deren Überreste heute nur noch zu erahnen sind. Der Comic in  in schwarz-weiß gehalten, wie ein gelungener Film aus dieser Zeit spielt er meisterhaft mit Licht und Schatten, Mienen und Konturen.

Wie schon zu bemerken ist, bin wirklich kein Comic-Kenner, sondenr habe dieses Buch allem zur Recherche für mein neues Buch Berlin für Buchverliebte gekauft - aber ich bin wirklich begeistert!

Sonntag, 20. April 2025

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis

„Im Müll wohnt die Wahrheit. Und die Wahrheit muss irgendwann heraus.“

Der Schriftsteller, Arno Geiger, Jahrgang 1968, hat 2023 diese seine Autobiografie veröffentlicht. Der Erzählung über sein Leben gibt er einen Rahmen. Er wird gebildet von Geigers Doppelleben, seiner Leidenschaft, seinem glücklichen Geheimnis, das er jetzt verrät: Ein Leben lang, auch noch als schon als erfolgreicher Autor, hat er Touren durch Wien unternommen und dabei systematisch ein Papiercontainer nach Briefen, Tagebüchern und Büchern durchstöbert - um die „schönsten Stücke“ mit nach Hause zu nehmen.

Nun ist dieses Geheimnis nun nicht sooo brisant - aber Geiger schafft es, anhand der Suche im Müll, eine lesenswerte Philosophie des Suchens und Findes, Wegwerfens und Behaltens, Erinnerns und Voranschreitens, Schreibens und Sprechens vorzulegen. Das hat mich wirklich beeindruckt. Vergleichbares im Bereich der Schriftsteller-Autobiografie habe ich zum letzten Mal mit Klaus Manns Der Wendepunkt gelesen.



Montag, 14. April 2025

Herbert Rosendorfer: Ungeplante Abgänge

Dieser 1998 erschienene Band vereint zwei Erzählungen Rosendorfers. Auf einer Parkbank in München wird ein untätig dasitzender Mann gesichtet. Nach seinen Gründen befragt, spricht er einfach nicht. Muss er auch nicht, weil das Psychologen für ihn übernehmen und ab jetzt seine Lebensgeschichte erzählen.  

Die zweite handelt von einem linientreuen Ministerialrat im bayerischen Justizministerium. Seine Sekretärin rächt sich an ihm besonders perfide für schlechte Behandlung: Sie jubelt ihm einen Mitgliedsantrag für die SPD zum Unterzeichnen unter…

Es kommt nicht häufig vor, dass ich beim Lesen laut lache. Bei Herbert Rosendorfer ist es eigentlich regelmäßig der Fall. Ideenreich wie Roald Dahl, dazu ausgestattet mit einer überbordenden Fabulierlust und einer unfassbaren Kenntnis der Menschen und ihrer Kommunikation. So erzählen wir Rosendorfer konnte und kann sonst niemand. 



Dienstag, 8. April 2025

Richard Powers: Das große Spiel

Todd Keane, Tech-Milliardär und Pionier der künstlichen Intelligenz, der an Demenz leidet, Evelyne Beaulieu, 92-jährige kanadische Meeresbiologin, Todds früherer Freund Rafi Young und Rafis Partnerin, die Künstlerin Ina Aroita, treffen auf der Pazifikinsel Makatea  zusammen.

Ein Buch wie ein wunderschöner Bildband. Es gilt, die Beschreibungen zu genießen, sich an ihnen erfreuen. Oder auch wie ein sehr unterhaltsam geschriebenes Sachbuch. Oder ein Gast, der zwar geistreich und unterhaltsam ist, aber einen Tick zu lange bleibt.

Wer es liest, erfährt viel Wissenswertes, eine enorme Menge über das Meer und seine Bewohner, über Spielen in allen möglichen Formen und über die Emtwicklung künstlicher Intelligenz. So plätschert es über viele, viele Seiten geistreich dahin. Sprachlich ist alles politisch sehr korrekt. Die Guten, das sind die Minderheiten, die Benachteiligten, die Frauen. Vielleicht weil Todd, der ganz offensichtlich als Erzähler fungiert, es so darstellen will.

Eine echte Handlung kommt erst nach auf den letzten von 500 Seiten zustande. Dann aber taucht ein Hauch von unzuverlässigem Erzählen auf und es enthüllt sich ein Spiel mit der Wirklichkeit, in dem absichtlich unklar bleibt, ob manche der Personen nur in Todds Fantasie - als von ihm geschaffene Avatare - existieren oder in der "Realität". Oder ob das heutzutage noch einen Unterschied macht. Gleiches gilt für die Insel Makatea - ist das am Ende nur eine virtuelle Welt, die Todd geschaffen hat?